Die größten Feinde der Demokratie: die Arte-Doku „World White Hate“

vor 2 Tage 3

München 2016, Halle 2019, Hanau 2020: drei Anschläge in Deutschland. Nach der Tat im Münchner Einkaufs-Olympiacenter mit neun Toten, alle mit Migrationshintergrund, legen sich die Strafverfolgungsbehörden fest; Amoklauf eines jugendlichen Einzeltäters, kein politischer Terroranschlag, so will es der erste Abschlussbericht.

Das ist ein fataler Einschätzungsfehler. In Wirklichkeit ist das Attentat, das am 22. Juli, dem Jahrestag des Massakers des rechtsextremistischen Terroristen Anders Breivik stattfindet, genauso rassistisch und antisemitisch motiviert wie sein im Internetmanifest erklärtes Vorbild. Auswertungen der Onlineaktivitäten solcher Täter zeigen, wie ihre weltweite Vernetzung funktioniert, wie sie von Hetze zu Taten gepusht werden. „Bodycount“-Hitlisten jubeln über die Zahl der Ermordeten, Taten werden live gestreamt, die Täter live angefeuert. Das „Manifest“ des Anders Breivik ist eine „Bibel“ der weltweit vernetzten Rassisten, die „Turner Diaries“ eine andere. Der Dokumentarfilmer Julian Vogel hat in seiner Trilogie „Einzeltäter“ (abrufbar auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung) nachgewiesen, dass die These unpolitischer Einzelakteure in München, Halle und Hanau nicht zutrifft.

„Einzeltäter“ bezieht sich auf Deutschland. Die materialreiche, bis ins Detail Spuren verfolgende Trilogie „World White Hate“ von Dirk Laabs dagegen verfolgt die weltweite Vernetzung rechtsextremen Terrors, zeichnet die Taten nach, aber auch die verschwörungstheoretischen Strömungen, die Netzaktivitäten wie die Manipulationen und Mechanismen, mit denen Täter über Social Media oder verschlüsselte Dienste wie Telegram rekrutiert werden. Angehörige der Terroropfer kommen zu Wort, genauso wie verdeckte Ermittler, Aussteiger aus der amerikanischen Neonaziszene, Terrorismusforscher und Geheimdienstexperten. Laut UN-Generalsekretär António Guterres stellen rechte Gewalt und Terror die größte Bedrohung unserer Demokratie dar. In „World White Hate“ wird gezeigt, warum.

2022 erschoss der achtzehnjährige Payton Gendron im US-amerikanischen Buffalo zehn schwarze Menschen in einem Supermarkt. Er wurde inspiriert durch Videos eines britischen Rechtsextremisten. Auch Brenton Tarrant, der 2019 im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen ermordete, bezog sich auf die Ideologien und Manifeste anderer. In ihren „Manifesten“ schreiben die Täter voneinander ab, beziehen sich insbesondere auf Breivik, der am 22. Juli 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya (heute Gedenkstätte) 77 Menschen tötete.

Der erste Teil von „World White Hate“ beleuchtet das Netzwerk des rechtsextremen Terrors. Im zweiten Teil „Söldner, Soldaten und Veteranen“ belegt der Film, wie sich ehemalige und aktive Soldaten, insbesondere US-Veteranen mit Kampferfahrung, rechtsextrem radikalisieren und etwa als Söldner mit Zugang zu modernen Waffen das Problem weltweit exportieren. „World White Hate“ trägt Beispiele für die Verbindung von umsturzbereiten Rechtsextremisten und Militär unter anderem aus Spanien, Frankreich, Deutschland und den USA zusammen. Zu sehen ist, dass rechte Netzwerke gezielt Soldaten und Veteranen ansprechen, Anschläge planen und versuchen, Regierungen zu destabilisieren.

Der dritte und letzte Teil, „Widerstand“, ist besonders beeindruckend. Er stellt Menschen in den Mittelpunkt, die sich als Angehörige, Überlebende oder Aussteiger der Aufklärung, Versöhnung und Arbeit für die Demokratie verschrieben haben. Wie Zeneta Everhart, deren Sohn bei dem Anschlag von Buffalo schwer verletzt wurde, oder Serpil Unvar in Hanau, Mutter des getöteten Ferhat und Gründerin einer bemerkenswerten Bildungsinitiative. Wie den US-Veteran Kris Goldsmith, der Ex-FBI-Agent Scott Payne oder die Juristin Amy Spitalnick.

Auf dem jährlich stattfindenden Kongress „Eradicate Hate“ in Pittsburgh, wo 2018 bei einem Angriff auf die jüdische Gemeinde der Täter elf Menschen ermordete, treffen sich Aktivisten. Unter ihnen Roman Samótny, vor dessen LGBTQ+-Bar in Bratislava ein rechtsterroristischer Täter zwei Menschen ermordete. In Norwegen ist ein Workshop auf Utøya Teil der Lehrerausbildung. In Milwaukee, USA, gründete Pardeep Kaleka, Sohn eines 2012 beim Anschlag auf einen Sikh-Tempel Ermordeten, „The Forgiveness Project“. Mit einem Neonazi-Aussteiger, den er inzwischen Bruder nennt, sucht er amerikanische Schulen auf. Von der amerikanischen Politik, auch das zeigt „World White Hate“ mit sprechenden Beispielen, ist im Moment keine Prävention gegen rechtsterroristische Gewalt zu erwarten. Im Gegenteil.

Die drei Teile von World White Hate laufen heute von 20.15 uhr an bei Arte und stehen in der Arte-Mediathek.

Gesamten Artikel lesen