Weltmusik überwindet viele Grenzen: Das 33. Rudolstadt-Festival

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Das Weltmusikfestival im thüringischen Rudolstadt fand nun zum dreiunddreißigsten Mal statt – seine Wurzeln reichen aber ins Jahr 1955 zurück. Man hätte also auch siebzigsten Geburtstag feiern können. Hieß es doch, als in der jungen DDR das „Fest des deutschen Volkstanzes“ eröffnet wurde, das dann bis 1989 in Rudolstadt stattfand: „Wer miteinander tanzt, wird nicht aufeinander schießen.“ Das war damals national-innerdeutsch gemeint, denn auch siebenundvierzig westdeutsche Ensembles waren angereist. Nach dem Mauerbau kamen dann Gruppen aus anderen sozialistischen Ländern.

In diesem Jahr betonte die stellvertretende Ministerpräsidentin Thüringens, Katja Wolf, in ihrer Eröffnungsrede, wie Musik und Tanz Gemeinschaft stiften – und bekannte, selbst seit dem siebzehnten Lebensjahr alljährlich am ersten Juliwochenende nach Rudolstadt zu pilgern. 1993, als sie erstmals kam, wurde ein „Länderschwerpunkt“ im Konzept verankert. Der lag diesmal auf Mali – einem von Kämpfen zerrissenen riesigen, dünn besiedelten und teils staatlich unkontrollierten Vielvölkerstaat, in dem, wie an den vier Tagen in Rudolstadt zu lernen war, Musik ein einigendes Band bleibt.

Zwischen Blues und malischer Tradition

Für die Festivalbesucher ist der Länderschwerpunkt einigendes Element in der musikalischen Vielfalt zwischen der Heidecksburg und dem Park an der Saale. Unter 120 Bands und Solisten findet jeder sein eigenes Programm. Es gibt aber Höhepunkte, zu denen doch die meisten zusammenkommen: Zum Eröffnungskonzert mit Sadio Sidibé aus dem Süden Malis oder zu Prominenten wie Vieux Farka Touré, der längst die Fußstapfen seines Vaters Ali Farka ausfüllt, mit einem lässig präsentierten, aber hochkomplexen Gitarrenspiel zwischen Blues und malischer Tradition.

 Der Pianist Abdullah IbrahimRiss das Publikum von den Sitzen: Der Pianist Abdullah IbrahimRudolstadt Festival/Frank Szafinski

Und selbstverständlich sind fast alle im Hof der Heidecksburg versammelt, als bei Einbrechen der Nacht der neunzigjährige Abdullah Ibrahim, der große südafrikanische Jazzer, gestützt von einer Begleiterin zum Piano schreitet. Tausende verharren lauschend in Stille, während ­Ibrahim langsam in die Melodie zu „Trieste My Love“ findet. Am Ende des ersten Parts, nach über einer halben Stunde, bleibt er am Piano sitzen – alle Zuhörer reißt es von den Sitzen, um ihm, der einst die Amtseinführung von Präsident Nelson Mandela in Südafrika musikalisch umrahmt hatte, im Stehen zu applaudieren.

Durch die Straßen der ehemaligen Residenzstadt streifend, begegnet man dann dem Duo Bozó & Asadi, das Bettina Wegners Lied „Alles was ich wünsche“, unter dem Titel „Orchidee“ ein iranischer Hit, in Persisch und mit einer Stachelgeige vorträgt. Man stößt auf die Geschichte von 1200 Kindern und Jugendlichen aus dem griechischen Bürgerkrieg, die in die DDR, und zwar nach Sachsen, evakuiert wurden und dort hängen blieben. Die Leipziger Liedermacherin Susanne Grütz hat dazu mit Kostas Kipuros nicht nur das Buch „Zwischen Heimat und Fremde“ und den gleichnamigen Dokumentarfilm produziert, sondern auch für Rudolstadt ein Liederprogramm mit griechischen Nachkommen dieser politischen Migranten.

Die Grundlage eines Rave?

Von den „Liederjan“-Gründern, den norddeutschen Pionieren des Deutschfolk, erfährt man, wie sie, die ursprünglich nur schottische und irische Musik kannten, in einem Pub aufgefordert wurden, doch einmal „own stuff“ zu spielen. Da fiel ihnen nur „Der Mond ist aufgegangen“ und davon auch nur die erste Strophe ein. Dann lernten sie um.

 hier das Duo Crepes SucetteAuch in den Straßen von Rudolstadt gibt es viel Musik: hier das Duo Crepes SucettePicture Alliance

Das vielfältige Mali-Programm hat gezeigt, dass es in dem ökonomisch armen und musikalisch reichen Land nicht „die“ Musik gibt. Zu hören waren auch noch die hypnotischen Dozo-Klänge der Jäger, die als Heiler auch Lebenskunde in ihrer Musik vermitteln und deren Trance Festivalbesuchern wie die Grundlage eines Rave vorkam; auf einer anderen Bühne bestaunte man Petit Goro mit den archaischen Rhythmen und Maskentänze aus Dogon-Dörfern, die in Mali allwöchentlich von Dschihadisten attackiert werden.

Den auf dem Festival verliehenen Weltmusikpreis erhielt Ezé Wendtoin. Den Sohn von Kirchenmusikern hatte ein Germanistikstudium aus Burkina Faso nach Dresden geführt. In seinen Liedern kreist er mit Witz und Ernst, mit verbalem Holzhammer und sprachkundiger Raffinesse um seinen „Migrationsvordergrund“, so der Titel eines seiner Songs.

Vernetzungen unter jungen Folkies

Das Rudolstadt-Festival hat ein treues Publikum, das mit ihm altert. Musiker aus Mali, wo das Durchschnittsalter etwa siebzehn Jahre ist, konnten sich in einer Methusalem-Veranstaltung wähnen. Um das Festival zu verjüngen, erfand man letztes Jahr das Projekt „Jugendfolkorchester“. In Abweichung vom Rudolstädter Festivalprinzip, Künstler nicht wiederholt einzuladen, bekam das Jugendfolkorchester auch dieses Jahr einen Auftritt. Im Gespräch berichtete Melf Torge Nonn von hoffnungsvollen Vernetzungen unter jungen Folkies, von eigenen Veranstaltungen mit Altersobergrenzen und von jungen Folkmusikgruppen wie seinem Duo „Pabameto“, sodass auch Rudolstadt nicht um die Zukunft des Festivals bangen müsse.

Die iranische Tar-Spielerin Mitra Behpoori zitierte in einer Diskussion über Folkmusiktrends das Bonmot, Tradition sei es nicht, die Asche zu bewahren, sondern das Feuer weiterzugeben. Die Festivalorganisatoren verkündeten, dass die Fackel von Mali an Österreich als Länderschwerpunkt 2026 weitergereicht wird.

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