Der nicht so nette Frankie Boy: Warum Scorseses Sinatra-Biopic stagniert

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Das Alter ist nicht schuld, auch ein Mangel an Ideen nicht. Mit 81 Jahren ist der große Regisseur Martin Scorsese („Taxi Driver“, „GoodFellas“) noch immer vital und voller Projekte. Dennoch kommt er mit zweien nicht voran. „Das Leben Jesu“ wurde mal wieder verschoben, aber auch ein kommerzielleres und heißer erwartetes Biopic über den Sänger und Schauspieler Frank Sinatra stagniert, wie die britische Zeitung „The Telegraph“ jetzt berichtet. Im April habe es eine vorläufige Ankündigung des Films ohne konkretes Datum gegeben, Leonardo DiCaprio werde als Sinatra gehandelt, Jennifer Lawrence als Sinatras Ex-Frau Ava Gardner. Studios wie Apple und Sony seien interessiert.

Das größte Problem ist wohl, paradoxerweise, Sinatras bewegtes, filmreifes Leben selbst. Trotz Hollywoods Faible für Biopics hat es bislang keinen Film über den 1998 im Alter von 82 Jahren verstorbenen Sänger und Schauspieler gegeben. Denn neben Talent, Ruhm und weltweitem Erfolg sind da eben auch die undurchsichtigen Mafia-Beziehungen, das berühmte Foto mit Gangsterboss Lucky und der Ruf, die Frauen in seinem Leben mies behandelt zu haben. Nicht zu vergessen die rassistischen Witze, die sich gegen Sammy Davis Jr. richteten, der mit Sinatra, Dean Martin, Jerry Lewis und anderen zum sogenannten „Rat Pack“ gehörte, jener Gruppe von Entertainern, die Las Vegas unsicher machte.

Für einen wie Scorsese ist das natürlich kein Problem, sondern ein Anreiz, weil Männer und Gewalt, simpel gesagt, das große Thema seines gesamten Werks sind. Wie „The Telegraph“ berichtet, habe Scorsese schon 1997 den Plan gehabt, einen Film über das „Rat Pack“ zu drehen, als Sinatra war damals John Travolta vorgesehen. Das Projekt kam so wenig vom Fleck wie der nächste Ansatz im Jahr 2009, bei dem sogar Sinatras Tochter Tina Produzentin sein sollte. Sie favorisierte George Clooney für die Hauptrolle, Scorsese DiCaprio.

 Regisseur Martin Scorsese.Muss noch warten: Regisseur Martin Scorsese.EPA

Den Dissens hätte man vermutlich auflösen können. Heikler war der Streit ums Heldenbild. Scorsese habe den gewalttätigen, trinkfreudigen, sexistischen Frankie Boy zeigen wollen, die Tochter lieber nur den großen Musiker, aus Angst, den Mythos zu beschädigen. Der hatte damals allerdings schon etliche Risse. Zudem soll Scorsese sich jetzt für das Drehbuch auf die Biographie von James Kaplan, „The Chairman“ aus dem Jahr 2015, stützen, in dem es unter anderem über Sinatra heißt:

Sinatras Hang zum Harem

„Das Beste für die psychische Gesundheit einer Frau war, ihn entweder abzulehnen oder zu verstehen, dass jede ernsthafte Beziehung mit ihm eine Mitgliedschaft in einer Art Harem bedeutete. Im Gegenzug konnte sie alles erwarten, außer Intimität: Respekt, Aufmerksamkeit, Reisen, Besuche historischer Aufnahmesessions, üppige Geschenke, Romantik, guten Sex und immer diesen absolut elektrisierenden Moment in einem Nachtclub, bei einer Aufnahmesession oder in einem Casino-Showroom, wenn er seine strahlend blauen Augen auf sie richtete und für sie und nur für sie sang.“

Als Hagiograph, als Heiligschreiber, stünde ein Martin Scorsese sicher nicht zur Verfügung. Er hat laut „Telegraph“ gesagt, er verstehe zwar die Bedenken der Familie, aber das Problem sei doch, „dass der Mann so komplex war. Jeder Mensch ist so komplex – aber Sinatra ganz besonders.“ Nicht nur wegen dieser Probleme jedoch ist es ungewiss, ob der Film je gedreht werden wird.

Die Frage ist auch, ob Scorsese für seinen episch angelegten Film ein angemessenes Budget erhält – und ob jüngere Kinogängergenerationen sich überhaupt noch für einen toten Sänger mit einem skandalreichen Leben interessieren. Gut möglich also, dass Scorsese eher einen Jesus-Film mit ähnlichem Konfliktpotential wie 1988 „Die letzte Versuchung Christi“ dreht als eine Bilanz des Lebens von Ol’ Blue Eyes.

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