"Der Gärtner und der Tod": Wenn die Blumen plötzlich erzählen

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Georgi Gospodinov erinnert sich an seinen Vater, den Gärtner.

 Wie aus einem Gärtner ein Garten werden kann, zeigt der bulgarische Schriftsteller Georgi Gospodinov mit seinem Buch "Der Gärtner und der Tod".
Wie aus einem Gärtner ein Garten werden kann, zeigt der bulgarische Schriftsteller Georgi Gospodinov mit seinem Buch "Der Gärtner und der Tod". © Nikolay Doychinov/​NYT/​Redux/​Laif

Wahrscheinlich werden sich die Rosen wundern, wenn sie blühen dieses Jahr. Wo ist der Mann, der uns gesetzt, geschnitten, gegossen und geliebt hat, in diesem Sommer hin? Er kommt nicht mehr, zumindest nicht in der Gestalt, in der sie ihn kennengelernt haben, ihr Leben lang. Er ist gestorben, kurz nach der Blüte der Schneeglöckchen in diesem Jahr, und sein Sohn hätte es ihnen eigentlich sagen müssen. Aber er ist da etwas unbeholfen. Er ist kein Gärtner, so wie sein Vater. Er schreibt sich nicht mit Blumen und Gemüse in das Gedächtnis der Erde ein, sondern mit Geschichten. Die blühen leider nicht.

Georgi Gospodinov, der wundervolle Schriftsteller aus Bulgarien, der für seinen letzten Roman Zeitzuflucht mit dem International Booker Prize ausgezeichnet wurde und der immer schon aus der Mikroperspektive von ganz unten große Geschichten geschrieben hat – sein erstes Buch Natürlicher Roman aus der Sicht einer Fliege, sein späteres Physik der Schwermut aus der Perspektive einer Nacktschnecke –, hat ein Buch über seinen verstorbenen Vater geschrieben. Und über dessen Garten. Es ist das Buch einer Verwandlung: "Mein Vater war Gärtner. Jetzt ist er ein Garten." Und Gospodinov liest die Blumen, die Bäume, das Gemüse, alles, was sein Vater gepflanzt hat, als eine Biografie des Vaters. Das ist sehr zart und bunt und liebevoll und schön.

Gospodinovs Vater war ein Gärtner, seit er denken kann. Am Anfang des Lebens aus purer Not. Mit Zwiebeln fing er an, das war kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, und es herrschte Not und ein Mangel an Geschäftsideen. Eines Sommers gab es überall auf dem Land, wo er aufwuchs, keine Zwiebeln. So plante er fürs nächste Jahr eine große, umfangreiche Zwiebelzucht. Alle sollten seine Zwiebeln kaufen und essen und ihn etwas reich machen. Leider hatten alle um ihn herum die gleiche Idee, und niemand nahm ihm seine Zwiebelberge ab. "Mein Vater glich einem Don Quijote des landwirtschaftlichen Unternehmertums", schreibt Gospodinov. "Angeblich machte er alles richtig, aber am Ende kam nichts dabei heraus."

Na ja, "nichts" stimmt natürlich nicht ganz. Die Zwiebeln waren ja da und prachtvoll, sie waren nur leider nutzlos, und er wusste nicht einmal, wie er sie irgendwie loswerden sollte. Aber er konnte immerhin von ihnen erzählen und von dem Sommer mit diesem gigantischen Überfluss an Zwiebeln. "Aus seinen kleinen Misserfolgen machte mein Vater schöne Geschichten. Und er verstand sich aufs Scheitern." So ist dieses Buch von Georgi Gospodinov nicht nur eine unglaublich warmherzige kleine Biografie seines Vaters in Blumen geworden, sondern auch so etwas wie die Entstehungsgeschichte seines eigenen Werkes. Denn sein Vater schrieb zwar beinahe nichts auf – außer einem kleinen Notizbuch, in dem er seine täglichen gärtnerischen Tätigkeiten verzeichnete –, aber er war ein unermüdlicher Erzähler. Am Ende des Lebens gärtnerte und redete er gegen den Tod an. "Diese Scheherazade – mein Vater! Er hörte nicht auf, gewann mit jeder Geschichte einen weiteren Tag, als wüsste er, dass der Winter zurückkehren würde, sollte er nur für kurze Zeit aufhören zu erzählen, und dann würde er weder die Schneeglöckchen noch den Kuckuck, noch den Georgstag erleben."

Gospodinov erinnert sich an Wörter, die ihm sein Vater schenkte und die er in sich aufgehoben hat, "Stillsamkeit" ist eines davon, Tihnalăk auf Bulgarisch. "Komm her, lass uns ein wenig in Stillsamkeit sitzen", hat er oft gesagt. Und wann immer jetzt die Stunde der Stillsamkeit anbricht, nämlich dann, "wenn es Abend wird, wenn auch die Stille durchscheinend ist und die Vögel für kurze Zeit zu singen aufhören" – dann ist der Vater ganz bei ihm. Vor allem aber immer – in den Blumen, wenn sie blühen. "Mein Vater hat uns doch letzte Worte hinterlassen", schreibt Georgi Gospodinov. "Im Frühling werden wir sie lesen."

Er stellt sich vor, wie laut und geschichtenreich es zugeht, dort unten, wo sein Vater jetzt liegt. Zahlreiche neue Gräber sind schon entstanden in der Zeit nach seiner Beerdigung. Gospodinov ist sich sicher, dass sein Vater längst mit allen ins Gespräch gekommen ist. Vielleicht geht er einigen auch auf die Nerven. Weglaufen können sie ja nicht. Eine Scheherazade jedenfalls scheint immer im Dienst zu sein. Auch wenn das eigentliche Ziel ihres Erzählens – den Tod zu besiegen – dort unten irgendwie überflüssig geworden ist.

So ist Gospodinovs Vaterbuch in Wahrheit auch ein Buch über die Anfänge seines eigenen Schreibens. Über das Erbe des Gärtners, das er angetreten hat. Als eine Art grüner Alchimist. Die Blumen des Vaters hat er in Romane verwandelt, die in der ganzen Welt gelesen werden. Eine Freundin sagte mal zu ihm, als er verzagt und traurig das Andenken seines Vaters verschwinden sah: "Er ist überall in deinen Büchern."

Und so gelten die Sätze, die er ganz am Anfang dieses Gartenbuches schreibt, nicht nur für dieses, sondern für alle Werke Georgi Gospodinovs, des Gärtnersohnes: "Ich wünsche mir Licht auf diesen Seiten, weiches, nachmittägliches Licht. Dies ist kein Buch über den Tod, sondern über die Sehnsucht nach dem Leben, das fortgeht."

Georgi Gospodinov: Der Gärtner und der Tod. Roman; aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann; Aufbau, Berlin 2025; 240 S., 24,– €, als E-Book 17,99 €

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