Das ist nicht real: Dokumentation zum Videospiel „Stalker 2“

vor 17 Stunden 2

Auf dem offiziellen Youtube-Kanal der Spielekonsole „Xbox“ ist neben den üblichen Werbefilmchen für neue Gamingprodukte seit einigen Tagen ein anderthalbstündiges Video abrufbar, mit dem Titel „War Game: The Making of S.T.A.L.K.E.R. 2“. Dahinter verbirgt sich ein kompliziertes Bewegtbildangebot. Kompliziert, weil es hinsichtlich seiner Motive vielschichtig genannt werden muss: Es erscheint auf einer Werbeplattform, versehen mit dem Firmenlogo von Xbox (der Mutterkonzern ist Microsoft). Das Video dreht sich um ein Unternehmen, das ein Produkt (den Ego-Shooter S.T.A.L.K.E.R. 2) bewerben und verkaufen will: das ukrainische Entwickler-Studio GSC Game World. Es hüllt sich in die Form einer Dokumentation, die den Reaktorunfall von Tschernobyl ebenso verhandelt wie den Angriffskrieg der Russen auf die Ukraine. Es ist mit Vorsicht zu genießen und doch sehenswert. Gerade weil es ein Puzzlestück in diesem auch von russischer Seite mit Hochdruck und Finesse betriebenen Krieg der Bilder und Erzählungen ist.

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Das Videospiel, um das es geht, ist die Fortsetzung von „Stalker: Shadow of Chernobyl“. 2007 erschienen, wurde es in Osteuropa und Russland ob seiner atmosphärisch dichten Erzählweise gefeiert. Es lehnt sich deutlich an Arkadi und Boris Strugazkis Science-Fiction-Roman „Picknick am Wegesrand“ (1971) und Andrei Tarkowskis filmische Adaption „Stalker“ an. Wie in der Vorlage schlüpft der Spieler in die Rolle eines „Plünderers, Eindringlings, Abenteurers, Einzelgängers, Mörders, Entdeckers und Räubers“ (im Englischen ergeben die Anfangsbuchstaben „Stalker“). Er durchstreift die Sperrzone auf der Suche nach Schätzen und begegnet physikalischen und biologischen Anomalien.

Der Film schlägt sich auf die Seite seiner Erzähler

Die Quellen lässt der Film von Andrew Stephan, der bisher vornehmlich Firmenfilme mit Videospielbezug im Repertoire hat, weitestgehend unerwähnt, ebenso wie die seines Materials. Stattdessen widmet sich die erste halbe Stunde der Sperrzone um Tschernobyl und der Erkundung durch die Mitarbeiter von GSC Game World. Erzählt wird die Geschichte eines Teams, das sich, um eine gute Geschichte zu erzählen, zum wahren Kern des Ganzen begibt, ins „Herz von Tschernobyl“. Es wird kein Zweifel daran gelassen, dass der Film sich klar auf die Seite seiner Erzähler schlägt, die als Opfer zweier Katastrophen dargestellt werden, für die Russland verantwortlich ist: die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 und der Angriffskrieg, der im Februar 2022 beginnt. Natürlich gehört der Widerstandswille dazu, das Weitermachen und der Stolz eines Unternehmens, einer Nation.

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Und so problematisch es ist, wenn man, wie es dieser Tage allzu häufig geschieht, Kreative mit Führungsverantwortung zu ihrem eigenen Produkt befragt, bekommt der Film doch spätestens mit der Kriegserzählung eine dringendere, unmittelbarere Dimension. „Stalker 2“ sollte 2022 veröffentlicht werden. Doch plötzlich mussten CEO Evgeniy Grygorovych und seine Frau Mariia darüber nachdenken, was aus dem Studio wird, wenn Russland Ernst macht. Als sich die Drohungen Russlands in den Wochen vor dem Großangriff am 24. Februar verschärften und durch Satellitenbilder russische Truppenbewegungen erkennbar wurden, parkten vollgetankte Reisebusse vor dem Studio. 183 Mitarbeiter sollten im Ernstfall umgesiedelt werden. 139 Mitarbeiter wollten bleiben. Männer erzählen, dass sie nicht wissen, warum sie sich sofort freiwillig zum Wehrdienst gemeldet haben. Schnell finden sie sich in rastlosen Gruppen wieder, die gezwungen sind zu warten: auf Waffen, auf Befehle, „darauf, dass wir alle von einer Rakete getroffen werden“. Andere schildern den Alltag in Kellern und Schutzräumen, zusammen mit ihren einjährigen Kindern.

„War Game“ ist die filmische Erzählung von Menschen, die ihr Geld damit verdienen, andere Menschen spielerisch in einen fiktiven Ausnahmezustand zu versetzen. Es sind Menschen, die nun selbst im Ausnahmezustand leben. Als wären die oft miserablen Arbeitsbedingungen in der Videospielindustrie noch nicht genug. „War Game“ erzählt von diesem Ausnahmezustand – überwiegend in Bildern, die klar Position beziehen. Für den Zuschauer aber ist jener visuelle Vorgang interessant, in dem aus Virtualität eine Realität wird, die dann doch wieder etwas Virtuelles, Unwirkliches hat. Die Trauernotiz am Ende, mit der zwei gefallenen Mitarbeitern gedacht wird, markiert den Unterschied.

War Game: The Making of S.T.A.L.K.E.R. 2 ist bei Youtube abrufbar.

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