Candice Breitz in der Berliner Nationalgalerie: Die Künstlerin als Paria?

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Die Neue Nationalgalerie, eines der wichtigsten Museen Deutschlands, hat eine Schwäche für antiisraelische Künstlerinnen. Wo vor wenigen Monaten noch die amerikanische Künstlerin Nan Goldin stand und unter Intifada-Rufen ihrer propalästinensischen Anhänger für einen Eklat sorgte, sitzt am Mittwochabend eine zweite, nicht weniger leidenschaftliche Aktivistin gegen den Staat Israel: Candice Breitz. „Zerreißprobe Talks“, so der symptomatische Titel der Veranstaltung – Breitz soll im Kontext der gleichnamigen Sammlungsschau über ihr künstlerisches Werk sprechen.

Zur Erinnerung: Breitz hatte nach dem 7. Oktober 2023 ihre künstlerische Praxis gegen scharfe Worte eingetauscht, mit denen sie online wie offline gegen Israel und den in ihren Augen ähnlich diktatorischen deutschen Staat agierte. Im November 2023 war eine geplante Solo-Show von ihr im Saarlandmuseum abgesagt worden. Seitdem inszeniert sich Breitz öffentlich als Opfer von Zensur, spricht von „McCarthyismus“ in Deutschland, also der gezielten staatlichen Verfolgung Andersdenkender, wie sie beispielsweise Putin, Trump oder Xi Jinping tatsächlich praktizieren.

Solidarisierung mit Strike Germany

Schon für das Symposion, das Nan Goldins Skandal-Auftritt in der Neuen Nationalgalerie kritisch begleiten sollte, war die südafrikanische Künstlerin eingeladen. Ihre Teilnahme hatte sie allerdings medienwirksam abgesagt und sich mit Goldin und der antiisraelischen Boykott-Bewegung Strike Germany solidarisiert. Trotzdem scheint der Nationalgalerie jetzt niemand Besseres einzufallen, um die vor­belastete Bühne in ihrem Haus zu ­füllen.

 Künstlerin Candice Breitz mit dem Soziologen und Politikwissenschaftler Eric Otieno SumbaZerreißprobe Talks: Künstlerin Candice Breitz mit dem Soziologen und Politikwissenschaftler Eric Otieno SumbaJonathan Guggenberger

Und Candice Breitz wäre nicht Candice Breitz, hätte sie sich dafür nicht einen weiteren pseudo-kritischen Stunt überlegt: Verkleidet ist sie an diesem Abend als Christoph Schlingensief – so, wie der 1999 in seiner Performance „Deutschland versenken“ aufgetreten ist, als orthodoxer Jude mit Schläfenlocken und Hut, dazu einen Deutschlandschal.

Irgendwie, so stellt sich in der Fragerunde am Ende heraus, will Breitz damit das „Jewfacing“, wie sie sagt, also das gewaltsame Aneignen jüdischer Kultursymbole durch den vermeintlichen deutschen Nazitäter-Erben Schlingensief, kritisieren. Sie könnte aber auch als Mitglied der holocaustrelativierenden jüdisch-orthodoxen Messias-Sekte Neturei Karta durchgehen. Deren antizionistischen Inhalte teilt Breitz online oft.

Schlingensiefs Arbeit „Deutschland versenken“ wird gerade in der Neuen Nationalgalerie ausgestellt. Joachim Jäger, der stellvertretende Direktor des Hauses, bedankt sich für Breitz’ Schelte und versucht sich danach in einem argumentlosen Gegenstatement. Niemand weist auf den künstlerischen Sinn oder den historischen Kontext von Schlingensiefs Deutschland-Performance hin, stattdessen gibt es Applaus.

Candice Breitz hat es wieder einmal geschafft: Sie kann sich als selbstgerechter Paria inszenieren. Viel braucht es dazu offensichtlich nicht – nur eine Nationalgalerie, die sie hofiert, und ein Publikum, das sie trotz oder gerade wegen ihrer antiisraelischen Eskapaden liebt.

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