Bundeswaldinventur: Das Klima killt den Klimaschützer

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Alle zehn Jahre bevölkern Menschen in grüner Kleidung mit Laptop und Maßband den deutschen Wald. Er wird dann gründlich vermessen. Wie groß sind die Bäume, wie alt, wie gesund? Welche Bäume stehen da überhaupt, und wie geht es ihnen? Welche stehen nicht mehr? Die Daten, zusammengetragen von Forstleuten der Bundesländer, münden dann in die „Bundeswaldinventur“. Seit diesem Dienstag liegt sie vor, und sie gibt Anlass zur Sorge.

Denn was dem Wald in den vergangenen Jahren zu schaffen machte – Waldbrände, Trockenheit, Schädlingsplagen –, findet sich dort schwarz auf weiß, gemessen in Festmetern, Totholz und Kohlendioxid. Vor allem Letzteres sollen die Wälder fleißig speichern, schließlich nehmen sie es mit dem Wachstum auf. Doch die extreme Hitze der Jahre 2018 bis 2020 hat dies umgekehrt: Statt Jahr für Jahr etwas mehr Kohlendioxid aufzunehmen und zu binden, haben sie es abgegeben – etwa dadurch, dass sich Totholz zu Humus zersetzt und dabei das klimaschädliche Gas freisetzt. Was so an Treibhausgas entsteht, müsste in neuem Grün wieder gebunden werden – doch die oberirdische Masse (in der Grafik grün) schrumpfte.

„Der Wald fällt als Klimaschützer aus.“

Um 41,5 Millionen Tonnen ging der Kohlenstoffvorrat in deutschen Wäldern allein seit 2017 zurück. Zum Vergleich: Der ganze Bereich der Landwirtschaft verursacht im Jahr 60 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen. „Der Wald fällt als Klimaschützer aus“, sagt Susanne Winter, Waldexpertin bei der Umweltstiftung WWF. Das sei mit der Inventur nun amtlich. Und ausgeschaltet haben ihn ausgerechnet Wetterextreme, wie sie mit dem Klimawandel vermehrt einhergehen.

Für die Bundesregierung ist das misslich. Sie hat den Wald als „Senke“ fest eingeplant, also als Speicher für Kohlendioxid, das in anderen Bereichen der Wirtschaft ausgestoßen wird. Seit 2021 ist das sogar im Klimaschutzgesetz festgeschrieben: Bis 2030 soll der Wald im Schnitt mindestens 25 Millionen Tonnen CO₂ speichern, jährlich. Dass er stattdessen zu einer „Quelle“ werden würde, die Deutschlands Emissionsbilanz weiter runterzieht, hatte da keiner auf dem Schirm. „Wir haben noch viel Arbeit vor uns“, gesteht auch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Schon im Mai hatte er schlechte Botschaften über den Wald verkünden müssen, damals aus Anlass der Waldzustandserhebung. Die Diagnose war ähnlich: Das Klima setzt dem Klimaschützer Wald zu.

Es gibt allerdings auch ein paar gute Nachrichten. Der Wald, der immerhin ein Drittel der deutschen Landesfläche prägt, verändert sich, er wird bunter. Seit der letzten Inventur nahm der Anteil von Laubwäldern an der Waldfläche um drei Prozent zu; was freilich auch damit zusammenhängen mag, dass vor allem Fichten und Kiefern in den vergangenen Jahren Stürmen, Dürre und Borkenkäfern zum Opfer fielen. So hat die Fichte, lange Zeit die dominierende Baumart, seit 2012 rund 460 000 Hektar an Fläche verloren.

Die Ampel berät derzeit über ein Bundeswaldgesetz

Stattdessen ist mittlerweile die Kiefer die Nummer eins im deutschen Wald, sie belegt fast 22 Prozent der Fläche. „Doch auch sie verliert im Klimawandel“, heißt es im bundeseigenen Thünen-Institut, das die Inventur federführend begleitet. „Minus 41 000 Hektar seit 2012.“ Allerdings werde sowohl Kiefer als auch Fichte hierzulande weiterhin meist in „Reinkultur“ angebaut. Das macht die Forste zusätzlich anfällig.

Özdemir sieht die Befunde auch als Argument für ein neues Bundeswaldgesetz, über das die Bundesregierung derzeit berät. Es soll stärker die „Ökosystemleistungen“ des Waldes hervorheben und damit Prioritäten verschieben. Mittlerweile liegt dem Kabinett schon ein zweiter, abgespeckter Entwurf für das Gesetz vor, doch auch der trifft auf den Widerstand von Waldbesitzern und FDP. Es drohten „ideologische Vorgaben zur Baumartenwahl“ und Beschränkungen für den Holzeinschlag, warnt etwa der Verband der Familienbetriebe. Ob das Gesetz in dieser Legislaturperiode noch erneuert wird, ist mittlerweile fraglich.

Der Wald sorgt derweil selbst für Erneuerung. Auf drei der insgesamt 11,5 Millionen Hektar Wald trafen die Forstleute auf eine neue Generation von Bäumen. In fast allen Fällen habe es sich um eine natürliche Verjüngung gehandelt.

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