Blowjob auf offener Bühne

vor 2 Tage 10

Ist ja eh alles bald zu Ende hier. Also kann man schon mal damit anfangen abzureißen. Die letzten Standards zu unterbieten, die Tradition herunterzuholen auf C-Movie-Niveau, irgendwen wird das schon noch aufregen. Und wenn nicht, dann haben sie zumindest eine Szene, über die sie reden können: Wie da einer dem anderen doch tatsächlich auf offener Bühne einen Blowjob gab – das hat die Welt noch nicht gesehen.

„Method“ heißt der Abend, mit dem die Berliner Volksbühne ihre neue Saison eröffnet. Kurz nach Bekanntwerden der neuen Führungsidee des Kultursenators zeigt das Haus, warum es genau das dringend nötig hat: Führung. Denn im Moment läuft hier alles einfach nur noch irgendwie weiter und endet mitunter ziemlich katastrophal. So wie dieser Abend. Denn hier dreht sich, wie bei untergehenden Unternehmen meistens, alles nur noch um sich selbst. Ein Schauspielabend über das Schauspielen, über die gefährlichen Vorannahmen des „Method Acting“, also jener Vorstellung, dass eigene Erinnerungen und Erfahrungen bei der Identifikation mit fremden Rollen helfen können.

Drei Sätze Wahrheit

Hauptverursacher dieses moralkunstgewerblichen Missverständnisses ist Martin Wuttke. Er spielt, dass er spielt, und er spielt das grauenvoll schlecht. Auf ihn geht das Engagement der ungarischen Drehbuchautorin Kata Wéber und ihres Ehemanns, des Regisseurs Kornel Mndruczó, dem Vernehmen nach zurück. Nie gut, wenn ein Hauptdarsteller sich seine Auftritte selber gestalten kann, auch wenn das hier zynischerweise genau passt, denn das Stück handelt ja davon, wie ein alter, abgefuckter, nur noch seine Stimmbänder dehnender Röhrhirsch bei einem „europäischen Kunstkacke-Film“ an der Oberflächlichkeit der Dialoge und der Sinnlosigkeit seines Spiels verzweifelt. Erst versucht er es mit ein bisschen vorgetäuschtem Idealismus – „Ich will drei Sätze Wahrheit“ –, dann verlegt er sich aufs Rumgerammle und „Fuck“-Sagen. Große Persiflage auf den Untergang des Autoritätsschauspielers natürlich, Verabschiedung vom Geniekult vergangener Tage. Richtig mutig.

Dekonstruktiver Egal-Abend

Man schaut an diesem zweistündigen Abend mehr unter sich als auf die Bühne. Eigentlich will man nicht stören, aber an wen sich dieser spießbürgerlich dekonstruktive Egal-Abend eigentlich richten könnte, das fragt man sich doch. An ein Publikum? Oder nur an den eigenen Bedeutungsverlust?

Benny Claessens, dem man fast immer gerne zuschaut, versucht sich als Schauspielcoach. Immerhin hat er zwei einigermaßen lustige Szenen: In der einen bringt er seinen Schützling mit Erinnerungen an den Kindheitshund dazu, einen Werwolf zu spielen, in der anderen ruft er bei Johanna Wokalek an, um diese widerwillige „Isabelle Huppert von Aldi“ zu einer Rollenübernahme zu bewegen. Das war es dann aber auch schon mit den berichtenswerten Vorgängen.

Der Rest ist Splatterspannerei auf einer nachgebauten Raumstation für Freizeit-Astronauten. Einer nach dem anderen wird vom Werwolf Wuttke totgebissen und kann selbst durch ausdauernde Fellatio nicht mehr ins Leben zurückgeholt werden. „Die Regel Nummer eins lautet: fickt Euch“, krächzt Wuttke. Und selbiges kann man eigentlich nur zurückgeben.

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