Auf Grand Tour in Italien: Seht her, wo ich schon überall war!

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In einen Seidenanzug gehüllt, lehnt er lässig an eine Balustrade, rechts hinter ihm eine der bekanntesten Skulpturen der Antike: die schlafende Ariadne aus dem Vatikan. Den Blick hat er am Betrachter vorbei in die Ferne gerichtet, ein Lächeln umspielt seine Lippen. Es wirkt ein bisschen verlegen. Kein Wunder: Thomas William Coke, der spätere Graf von Leicester, war erst neunzehn Jahre alt, als er 1774 in Rom einem der berühmtesten Maler seiner Zeit Modell saß: Pompeo Batoni, bekannt als Erfinder des Touristenporträts. Der Italiener hatte sich auf Bildnisse junger Adliger aus England spezialisiert, die im 17. und 18. Jahrhundert auf Grand Tour gingen – jene mehrjährige Bildungsreise nach Italien, mit der ihre Erziehung zum Gentleman abgeschlossen werden sollte.

Treffpunkt Rom

Heute würden die Reisenden auf Kavalierstour ein Selfie oder einen Schnappschuss von sich mit dem Handy verschicken, um zu beweisen, wo sie überall waren. „Damals mussten sie dafür noch Modell sitzen“, sagt Maria de Peverelli. Die Kunsthistorikerin ist Sammlungschefin der Kunstkollektion von Holkham Hall, einem Schloss rund zweihundert Kilometer nördlich von London, in dem die Grafen von Leicester noch heute wohnen. Batonis Porträt hängt dort im Salon, über einem roten Plüschsofa. „Es war ein Geschenk der Gräfin von Albany“, erzählt de Peverelli. Die Ariadne, heißt es, habe ihre Züge, und den Seidenanzug soll Thomas William getragen haben, als sich die beiden auf einem Ball in Rom erstmals begegneten. „Die Gräfin war von dem jungen Mann recht angetan.“

 Canalettos Ansicht „Der Canal Grande in Venedig“ bestellte der vierte Herzog von Bedford beim Künstler für seinen englischen Wohnsitz Woburn Abbey.Sehnsuchtsort Serenissima: Canalettos Ansicht „Der Canal Grande in Venedig“ bestellte der vierte Herzog von Bedford beim Künstler für seinen englischen Wohnsitz Woburn Abbey.Woburn Abbey

Von Mitte September an ist das Reiseandenken im Mauritshuis in Den Haag zu sehen, als einer der Höhepunkte der Ausstellung „The Grand Tour – Destination Italy“. Die Schau lädt zu einer Entdeckungsreise mit den Privilegierten vor dem Massentourismus ein – in jene Zeit, als auch eine neue Form des Kunsthandels entstand und vor allem Künstler an den Reisenden verdienten. Gezeigt werden Gemälde, Skulpturen und Möbelstücke aus drei englischen Schlössern, allesamt zu groß ausgefallene Souvenirs, die auf Grand Tour oftmals direkt im Atelier der Bildhauer und Maler erworben wurden. So bestellte der vierte Herzog von Bedford, John Russell, bei Canaletto in Venedig eine Serie von 24 Stadtansichten, um damit den Speisesaal auf seinem Familiensitz Woburn Abbey zu schmücken – oder besser gesagt, zu tapezieren.

Auf das Malen solcher Ansichtskarten avant la lettre hatte sich auch der Niederländer Caspar van Wittel, genannt Vanvitelli, verlegt. Seine topographisch genauen Ansichten Roms standen bei Reisenden auf Grand Tour hoch im Kurs. Allein vom Petersplatz fertigte er sechzehn Versionen für die Kundschaft aus dem fernen England an. Idealisierte italienische Landschaften von Claude Lorrain waren gleichfalls ein beliebtes Reiseandenken.

Wenn das unterwegs das Geld knapp wurde

Einer der wichtigsten Sammler von Lorrain war Thomas Coke, erster Graf von Leicester und Großonkel von Thomas William Coke. Er absolvierte die längste und am besten dokumentierte Grand Tour: Mit fünfzehn Jahren reiste er ab, mit 21 kam er zurück. In den sechs Jahren dazwischen sammelte er Kunst, die sein zukünftiges Zuhause Holkham Hall füllen sollte, das er im Stil Palladios erbauen ließ. „Wenn unterwegs das Geld knapp wurde, schickte er überzeugende Bettelbriefe nach Hause“, erzählt die Holkham-Hall-Archivarin Lucy Purvis. Da der junge Graf von einem Buchhalter begleitet wurde, der alle Ausgaben in einem Rechnungsbuch festhielt, ist nicht nur der genaue Reiseverlauf bekannt, sondern auch der Preis vieler erworbener Kunstwerke.

 Angelica Kauffmann porträtierte in Rom „Brownlow Cecil, 9. Earl of Exeter“, 1764Eine Künstlerin, die an den „Grand Tourists“ verdiente: Angelica Kauffmann porträtierte in Rom „Brownlow Cecil, 9. Earl of Exeter“, 1764Burghley House

Thomas Cokes letzter großer Ankauf war ein Bild von Anthonis van Dyck, der „Herzog von Arenberg“. Er erstand das Gemälde auf der Heimreise bei einem Zwischenstopp in Paris für 4500 französische Livres, „umgerechnet rund 40.000 Pfund oder 46.000 Euro“, so Purvis. Bei der Gelegenheit kaufte er für 3078 Livres auch gleich noch eine voll durchgefederte Berline, sozusagen der Sportwagen unter den damaligen Reisekutschen, vergleichbar mit einem Porsche. „Mann bleibt Mann“, sagt die Archivarin schmunzelt. „Er wollte bei seiner Heimkehr Eindruck schinden. Seine Braut, die er noch nicht gesehen hatte, erwartete ihn. Eine Woche später würden sie heiraten.“

An den wichtigsten Etappenzielen der Grand Tour, also in Venedig, Florenz, Rom oder Neapel, wurden die Reisenden von sogenannten Ciceroni erwartet: Kunst- und Antiquitätenhändlern, die sich schnell auf das neue Kunstmarktsegment eingestellt hatten und den jungen Engländern den Weg wiesen. Eine Schlüsselfigur war der Schotte James Byres. Er pflegte in Rom ausgezeichnete Kontakte zu Künstlern und Adligen, die Kunst verkaufen wollten. Byres hatte sich zunächst selbst als Künstler versucht, aber schnell festgestellt, dass es wesentlich lukrativer für ihn war, als Vermittler aufzutreten. Speziell für Reisende auf Grand Tour organisierte er mehrwöchige Gruppenführungen durch die Ewige Stadt, lud sie zum Frühstück und zum Abendessen ein und versuchte dabei, Konkurrenten im römischen Grand-Tour-Geschäft wie dem Briten Thomas Jenkins immer eine Nasenlänge voraus zu sein.

Das musste man gesehen haben

Auch Künstler buhlten um die Gunst der neuen Kunden. Der große Batoni etwa musste sich von einer jungen Frau Konkurrenz machen lassen: Auch Angelica Kauffmann porträtierte in Rom Kavaliersreisende. Ihr Bildnis von Brownlow Cecil, dem neunten Earl of Exeter, ist ein weiterer Höhepunkt der Ausstellung im Mauritshuis. Die Malerin hat ihn in einem roten Wams verewigt, passend zum Vulkan im Hintergrund – unverkennbar der Vesuv. „Den musste man gesehen haben“, betont Jon Culverhouse. Er ist Kurator der Kunstsammlung von Burghley House, dem Landsitz der Grafen von Exeter, in dem das Kauffmann-Porträt normalerweise bewahrt wird.

 Pietro Fabris, „Der Aufbruch des Vesuv im Jahr 1767“Macht den Betrachter zum Katastrophentouristen: Pietro Fabris, „Der Aufbruch des Vesuv im Jahr 1767“Burghley House

Das für Culverhouse ultimative Reiseandenken steht im Speisesaal des Landsitzes: ein Tisch aus farbigen Mosaiksteinen, die aussehen wie Marmor. Aber weit gefehlt: „Es sind polierte Lavasteine“, erklärt der Kurator. Ein besseres Souvenir gebe es nicht: „Ich hab den Ätna gesehen! Den Vesuv! Ich war vor Ort! Seht, was ich mitgebracht habe!“

Dass Bildungsreisende auf der Suche nach eindrucksvollen Andenken vor Fälschungen nicht gefeit waren, beweist eine kleine Löwenskulptur aus rosafarbenem Marmor. Ein Cicerone in Rom hatte Brownlow Cecil versichert, sie stamme aus dem Sommerpalast des römischen Kaisers Hadrian und sei mehr als 1600 Jahre alt. In Wahrheit entstand der kleine Löwe erst im 18. Jahrhundert – zu Lebzeiten des „Grand Tourist“.

„The Grand Tour – Destination Italy“, Mauritshuis, Den Haag, vom 18. September 2025 bis zum 4. Januar 2026. Der Katalog kostet 26,95 €.

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