Zwischen Wissenschaft und Freiheit: Das plant der neue Drogenbeauftragte Hendrik Streeck

vor 1 Tag 1

Hendrik Streeck geht auf Nummer sicher. Bei seinem ersten Auftritt als Bundesdrogenbeauftragter im Foyer des Gesundheitsministeriums liest er sein Statement Wort für Wort vom Blatt ab. Er will bei der Vorstellung seiner Agenda jetzt bloß nichts Falsches sagen.

Bisher kannte die breite Öffentlichkeit Streeck nicht als Mitglied des Teams Vorsicht. In der Corona-Pandemie plädierte der Bonner Virologe – im Gegensatz zu seinem Counterpart Christian Drosten von der Berliner Charité – für einen lockereren Umgang mit dem Virus. „Leben mit dem Virus“ lautete damals Streecks Credo.

Auch nach dem Ende der Pandemie suchte Streeck weiter Aufmerksamkeit. Er veröffentlichte erst das Buch „Nachbeben“ – seine persönliche Aufarbeitung der Coronazeit. In diesem Frühjahr folgte ein am Massachusetts Institute of Technology spielender, wissenschaftskritischer Thriller, der eher schlechte Kritiken erhielt.

Ich verstehe dieses Amt nicht rein politisch, sondern auch medizinisch.

Hendrik Streeck (CDU), Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen

Vor allem aber drängte Streeck in die Politik. Für die CDU gewann er bei der Bundestagswahl zum ersten Mal seit 1998 wieder das Direktmandat in Bonn – im früheren Wahlkreis von Konrad Adenauer.

„Ich möchte erreichen, dass die Debattenkultur wieder mehr von Wissenschaft und Objektivität und weniger von Ideologie und Emotionen bestimmt wird – und mich für pragmatische Lösungen einsetzen“, begründete Streeck im Tagesspiegel-Interview seine Kandidatur.

In Berlin galt der polarisierende Virologe, dessen Heinsberg-Studie zur Verbreitung des Coronavirus bis heute umstritten ist, dann gleich manchen als kommender Gesundheitsminister. Stattdessen wurde der 47-Jährige nun Bundesdrogenbeauftragter. Ein Amt, in dem man mit Mahnungen vor den Gefahren des Drogenkonsums zwar viel Aufmerksamkeit erhält, aber eher wenig politischen Einfluss hat.

Unklare Haltung zu Cannabis

Was also hat sich der neue Drogenbeauftragte vorgenommen? Besonders spannend wird sein Umgang mit der von der Ampel durchgesetzten Legalisierung von Cannabis. „Ich habe natürlich eine Grundhaltung zu Cannabis“, sagte Streeck bei seiner Vorstellung. Aber er lasse sich durchaus mit wissenschaftlichen Argumenten überzeugen. „Wobei ich nicht meine, dass es da viel zu ändern gibt“, setzte er nach und meinte seine Haltung zu dem Thema, die dann weiterhin geheim blieb.

Zuvor hatte er sich eher liberal geäußert, auf seiner Website stand bis kurz vor seiner Ernennung zum Drogenbeauftragten aber ein Absatz mit dem Titel „Die Legalisierung von Cannabis schadet unserer Gesellschaft“. Die Signale bleiben also gemischt, Streeck will bis zum Herbst abwarten, wenn die erste Evaluation des Cannabisgesetzes vorgelegt wird.

„Ich verstehe dieses Amt nicht rein politisch, sondern auch medizinisch“, sagt Streeck. Nicht aus der Perspektive der Sitte oder des Rechts, sondern aus der gesundheitlichen wolle er das Thema betrachten.

Wir müssen bei denen ansetzen, die im Lebensverlauf zuerst in eine Sucht hineinschlittern können.

Hendrik Streeck (CDU), Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen

Er erzählte von seiner Praktikumszeit in einer Berliner HIV-Praxis, in der er als Blutabnahmeassistent Geschichten von drogenabhängigen Patientinnen und Patienten hörte. „Diese Menschen konsumierten nicht die Droge, die Droge konsumierte sie“, sagte Streeck.

Er wolle sich dafür einsetzen, dass die zuständigen Ministerien und Behörden das Thema sähen und angingen. „Ich möchte, dass das Thema präsent ist in Notaufnahmen, wo vermeidbare Intoxikationen oft auftauchen, möchte Beratungsstellen und Suchthilfe stärken.“

Auf die Frage, wie er die finanzielle Misere vieler Suchthilfeeinrichtungen lindern wolle, verwies er auf „knappe Kassen“ und dass man es über Synergien und Kooperationen versuchen wolle. „Ich bin aber politischer Unterstützer der Suchthilfe“, sagte Streeck.

Fokus auf Opioiden

Nun ist es Teil des Dilemmas des Amtes als Bundesbeauftragter für Drogen- und Suchtfragen, dass der Amtsträger weder ein nennenswertes Budget verwaltet noch direkten Einfluss auf Gesetzgebungsprozesse hat. Die Suchthilfe ist außerdem kommunale Aufgabe, aber nicht Teil der Daseinsfürsorge, weshalb sie mit Budgetstreichungen und kurzen Planungszeiträumen zurechtkommen muss.

Spannend sind deshalb vor allem die eigenen Initiativen des neuen Beauftragten und was sie über seine Agenda sagen: Streeck will verhindern, dass es eine Opioidkrise in Deutschland gibt, als zweiten Punkt nennt er die noch zu definierende Cannabispolitik und als dritten die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.

„Wir müssen bei denen ansetzen, die im Lebensverlauf zuerst in eine Sucht hineinschlittern können“, sagte Streeck. Die Pandemie habe „tiefe psychische Spuren“ bei Kindern und Jugendlichen hinterlassen.

Ein besonderes Anliegen ist ihm dabei der Umgang mit digitalen Medien. Laut DAK konsumiert ein Drittel aller Jugendlichen soziale Medien auf eine riskante Art und Weise, die Heranwachsenden verbringen demnach pro Tag drei Stunden oder länger auf sozialen Medien oder mindestens zwei Stunden pro Tag mit Spielen und/oder Streaming-Diensten.

Zu diesem Thema will Streeck bald mit den Ministerinnen Nina Warken (Gesundheit, CDU) und Karin Prien (Familie, Senioren, Frauen und Jugend, CDU) sprechen.

Schwieriges Verhältnis zu Alkoholverteuerung

Wie schwierig das Vorhaben werden könnte, einen wissenschaftlichen Anspruch an die Debatte über Drogen in Deutschland einzuführen, zeigt sich bei den legalen Drogen: Um die 99.000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland an den Folgen des Tabakkonsums, beim Alkohol sind es laut Jahrbuch 2025 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) etwa 47.500.

Betrachtet man alleine das Risikoprofil, sind Drogen wie LSD oder MDMA/Ecstacy medizinisch gesehen wesentlich weniger schädlich. Bei einer Beurteilung gängiger legaler und illegaler Drogen landete Alkohol auf Platz vier (hinter Crack, Methamhetamin und Heroin), Cannabis auf Platz 16 und Nikotin auf Platz 19.

Drogenpolitik ist also von vorneherein nicht wissenschaftsbasiert, sondern kulturell und historisch gewachsen. Risikofreien Konsum gibt es bei keiner Droge, auch bei Alkohol ist man mittlerweile bei dieser Erkenntnis angekommen.

Welche Drogen man überhaupt zulässt, ist eine Abwägung, die viel mit kulturellen und religiösen Präferenzen der jeweiligen Gesellschaft zu tun hat – ein weiteres Dilemma des Amtes. Und dann kommt obendrauf eben noch Parteipolitik, die auch einen Wissenschaftler und Mediziner wie Streeck, der 2017 in die CDU eintrat, bis zu einem gewissen Grad bindet.

Auf die Frage hin, ob er sich für eine Verteuerung von Alkohol ausspreche, wird es kurz still im Foyer des Ministeriums, die Antwort fällt dem Mediziner und Politiker sichtlich schwer.

Eine Verteuerung würde sicher zu weniger Konsum führen, antwortet Streeck schließlich, ebenso wie bei Zucker. Trotzdem sei diese Strategie erst einmal kein Ansatz für ihn. „Man kann sich auch beim Medienkonsum fragen, ob Einschränkungen sinnvoll wären“, sagt er. Diese wären aber kaum akzeptiert.

Zu sehr, das wird mehrfach deutlich, will Streeck die Bürger bei den legalen Drogen nicht einschränken, auch wenn die Wissenschaft dafür plädiert. Er setze auf andere „Stellschrauben“, sagt Streeck, damit der Konsum von Alkohol eher genussvoll, nicht aber missbräuchlich oder süchtig geschehen soll.

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