Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) erwartet von Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) eine schnelle Reaktion auf die Eilentscheidungen des Berliner Verwaltungsgerichts zu den Zurückweisungen an den deutschen Grenzen. „Für mich ist klar: Der Bundesinnenminister muss nun sehr rasch die von ihm zugesagte Begründung nachliefern“, sagte Hubig. Es werde sehr schwierig sein, eine Begründung für das Zurückweisen zu liefern, die den Voraussetzungen des EU-Rechts genüge.
„Der Bundesinnenminister hat die Zurückweisungen in eigener Verantwortung angeordnet“, sagte Hubig dem RedaktionsNetzwerk Deutschland am Donnerstag. Weitere gerichtliche Entscheidungen seien sehr genau zu beobachten. „Und natürlich werden wir dann auch darüber sprechen, ob man mit Blick darauf an den Zurückweisungen von Asylsuchenden festhalten kann“, sagte die SPD-Politikerin.
Warnung vor „gefährlicher Renationalisierung“
Derweil forderten die Flüchtlingsschutzorganisation Pro Asyl und Organisationen aus sechs weiteren europäischen Staaten die EU-Kommission am Donnerstag auf, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten. Das Zurückweisen von Asylsuchenden an deutschen EU-Binnengrenzen verstoße eindeutig gegen europäisches Recht. Und es könnte auch völkerrechtswidrig sein, heißt es in einem offenen Brief der Organisationen aus Deutschland, Österreich, Tschechien, Luxemburg, Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz sowie der Dachorganisation European Council on Refugees and Exiles (ECRE).
In dem Brief warnen die Unterzeichnenden vor einer „gefährlichen Renationalisierung“ innerhalb der EU durch Maßnahmen wie stationäre Grenzkontrollen. „Wer solche nationalen Alleingänge zulässt, verletzt die Rechte von Schutzsuchenden und riskiert den Zusammenhalt der Europäischen Union“, erklärte Pro-Asyl-Europareferent Karl Kopp. Die Europäische Union müsse beweisen, dass sie die Stärke des Rechts über das Recht des Stärkeren stelle.
Das Berliner Verwaltungsgericht hatte am 2. Juni in den Fällen von drei Menschen aus Somalia entschieden, dass die von der Bundesregierung forcierte Praxis des Zurückweisens an den Grenzen rechtswidrig ist. Es stützt damit die Argumentation zahlreicher Juristen und Kritiker, dass Deutschland bei Asylgesuchen auch bei Einreisen aus einem sicheren Drittstaat aufgrund des europäischen Dublin-Abkommens zumindest verpflichtet ist, zu prüfen, welcher Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig ist, und nicht einfach zurückweisen darf.
Die Bundesregierung will vorläufig an den Zurückweisungen festhalten. Innenminister Dobrindt argumentiert mit einer Notlage sowie dem Schutz der öffentlichen Ordnung und strebt nach eigenen Worten eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs an.Aus Sicht von Justizministerin Hubig kann es bis zu einer Klärung durch den Gerichtshof jedoch dauern. Sollten auch nach einer Vorlage der Begründung für das Zurückweisen durch Dobrindt unabhängige deutsche Gerichte weiterhin zu der Auffassung gelangen, dass das Vorgehen rechtswidrig ist, wäre es nach den Worten Hubigs „schwer vermittelbar, solange daran festzuhalten, bis auch der Europäische Gerichtshof dazu geurteilt hat“.