
Journalist Leick: Ziemlich klug und ziemlich wagemutig
Foto: Heidrun Günther / DER SPIEGELAls der weltberühmte französische Schriftsteller Michel Houellebecq vor knapp acht Jahren seinen Rückzug aus der Öffentlichkeit beschloss, bat er den SPIEGEL-Autor Romain Leick in einer E-Mail darum, ein letztes Mal interviewt zu werden, bevor er für immer verschwinden wollte. Ein legendäres SPIEGEL-Gespräch über fast acht Seiten, bei dem man zwei alten Männern zuhört, wie sie sich über das Leben und die Politik und Frankreich und Deutschland unterhalten. Er sei, sagte Houellebecq in diesem Gespräch, sich bewusst geworden, dass er das, was er wirklich gern sagen möchte, nicht wirklich ausdrücken könne. Nun war Houellebecq so weltberühmt, dass er sich jedes Medium, jeden Journalisten hätte aussuchen können, aber er entschied sich für Leick.
Die beiden Frankophilen waren sich schon vorher begegnet, sie waren sich auch womöglich äußerlich und charakterlich ähnlicher, als man es vermuten konnte. Und wahrscheinlich hatte Houellebecq erkannt, dass der Mann von diesem Hamburger Magazin mehr war als nur einer dieser vielen Journalisten, die ihn bedrängten oder fertigmachen wollten, sondern eine außergewöhnliche Person. 1949 in Luxemburg geboren, war Leick nach seiner Zeit beim »Vorwärts« Mitte der Siebzigerjahre zum SPIEGEL gekommen. Er arbeitete als Korrespondent in Bonn, Brüssel, Washington und Paris, leitete dann das Auslands- und das Kulturressort.
Für die Jüngeren in der Leserschaft und im Kollegium: Der SPIEGEL war damals eine Maschine, die wöchentlich rund 50 Texte produzierte, die ohne Autorennamen veröffentlicht wurden. Es waren Ressortleiter wie Leick, die jede Woche aus den Zulieferungen ihrer Redakteure fünf, sechs Artikel schrieben. Sie mussten schnell arbeiten, ziemlich klug sein und ziemlich wagemutig, um der Welt ihren Stempel aufzudrücken. Unter ihnen war Leick der eleganteste, feinste, gebildetste und freundlichste in einem Biotop, wo man die Anonymität durch Arroganz und Eitelkeit kompensierte. Jahrelang verließ er mittags das Büro, ohne dass die Kollegen wussten, wohin er ging und was er tat. Es fiel nicht mal auf, dass er nicht dabei war, wenn die anderen miteinander speisten. Insofern war Leick ein perfekter Gesprächspartner, um sich über das Verschwinden zu unterhalten. Leick war ein Meister darin, und er war so gut, weil er nie das Interesse hatte, irgendwo aufzutauchen.
Romain Leick starb am 21. Mai nach langer Krankheit in Hamburg. Jetzt ist er für immer verschwunden. Wir vermissen ihn sehr.