"Die betrügen uns!" Dr. Axel Friedrich war empört. Der ehemalige Abteilungsleiter für Verkehr und Lärm am Umweltbundesamt konnte seinen Ärger über die Autoindustrie kaum bändigen. Friedrich, der promovierte Chemiker, hatte erkannt, dass die Laborgrenzwerte für die Abgasnormen und die realen Messwerte in den europäischen Städten nicht zusammenpassten. Im Fokus: Der Dieselmotor und dessen Stickoxidemissionen. Selbst wenn ich eine Manipulation für möglich halte, sagte ich ihm, bräuchte ich als Journalist einen Beweis für seine Behauptung. Rückblickend weiß ich: Friedrich hatte recht. Das war 2012. Ich möchte berichten, wie ich den Skandal um Abschalteinrichtungen erlebt habe. Wann ich erste Hinweise hatte. Wann ich sicher war und warum es die USA waren, die den entscheidenden Anstoß gegeben haben.
Wir Menschen können Stickoxide (NOx) riechen. Diese chemischen Verbindungen sind chlorähnlich stechend und gesundheitsschädlich. Dieselmotoren produzieren höhere Nox-Werte als Benziner, und die Europäische Union hatte dem beliebten Antrieb einen Nachlass gewährt: Statt 60 Milligramm pro Kilometer wie beim Benziner durften es für die Selbstzünder 180 mg/km bei der Norm Euro 5 und 80 mg/km bei Euro 6 sein. Wohlgemerkt: auf dem Prüfstand. Das juristische Problem war, dass bestimmte Autos in der Lage waren, den Messzyklus zu erkennen. Das Steuergerät für den Verbrennungsmotor hat auf eine spezielle Kennlinie umgeschaltet, die die Emissionen auf das erlaubte Maß reduziert hat. Cycle Beating nennen das die Fachleute, oder auch Defeat Device. Im Realbetrieb war wieder alles anders. Volle Power ohne Restriktionen.
Mobile Messsysteme brachten den Beweis
Dass die immense Abweichung zwischen Labor und Wirklichkeit nachgewiesen werden konnte, lag an der Entwicklung von mobilen Messgeräten: Sogenannte Portable Emissions Measurement Systems, abgekürzt PEMS, wurden so weit verkleinert, dass sie in den Kofferraum und auf die Anhängerkupplung eines Pkw passten. Heute sind PEMS ein übliches Gerät, um die Emissionen nicht nur im Messlabor, sondern auch auf der Straße zu erheben. Real Driving Emissions (RDE) heißt dieses Verfahren, das inzwischen verpflichtend ist.
Ja, es gab Verdachtsmomente, und ich war 2014 im Austausch mit dem (ICCT). Der hatte 15 Fahrzeuge mit PEMS überprüft und eine durchschnittliche Überschreitung der Stickoxid-Grenzwerte um das Siebenfache festgestellt. Auffällig war, dass es Diesel-Pkw gab, die alle Limits im Realbetrieb einhielten, während andere mehr als das 24-Fache (!) darüber lagen. Leider war die Studie anonymisiert. Klar war nur: Es war technisch möglich, die Emissionen so zu senken, dass die Stickoxide auf der Straße so gut waren, wie es die Laborwerte versprechen. Der Unterschied ist das Geld: Eine wirksame Abgasnachbehandlung verursacht Kosten, und die müssen die Hersteller bei den Käufern erwirtschaften. Ich hatte die Ergebnisse des ICCT im Oktober 2014 – also elf Monate, bevor die Bombe platzte – in Die Zeit veröffentlicht. Es ist kein Geheimnis, dass das Interesse der Leser mäßig war.
18 Milliarden US-Dollar
Das hat sich am 18. September 2015 radikal geändert. Die US-amerikanische Bundesbehörde Environmental Protection Agency (EPA) beschuldigte den Volkswagen-Konzern, mit illegalen Abschalteinrichtungen gegen den Clean Air Act verstoßen zu haben. 482.000 Fahrzeuge sollten betroffen sein. Auch das hätte wahrscheinlich nicht zu einem Skandal geführt, wenn die EPA nicht eine Strafe von 18 Milliarden Dollar angedroht hätte. Wenige Tage später musste der Volkswagen-Konzern einräumen, dass in Europa etwa elf Millionen Pkw die Abschalteinrichtung hatten. Der Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn trat zurück.
Glaubwürdigkeitsverlust und angedrohte Fahrverbote
Dass der Marktanteil des Dieselmotors seitdem in Europa auf 12,4 Prozent im ersten Halbjahr 2025 zurückgegangen ist, hat mit dem anschließenden Glaubwürdigkeitsverlust zu tun – und mit Fahrverboten. Zwar wurden diese Fahrverbote nur in wenigen Gegenden hart umgesetzt. Konsequenzen gibt es trotzdem: In den Niederlanden ist zum Beispiel tagsüber auf den Autobahnen nur Tempo 100 erlaubt, um die Stickoxidemissionen zu senken. In Deutschland haben sich die Kommunen an komplizierten Durchfahrtsverboten auf einzelnen Straßen abgearbeitet. Außerdem wurden die Messverfahren für die Typzulassung eines Pkw nach 2015 erheblich verschärft. Das wiederum hat dazu geführt, dass inzwischen alle Diesel-Pkw einen aufwendigen SCR-Katalysator haben, um die Realemissionen zu reduzieren.
Das ist die Messreihe, die der ICCT im Oktober 2014 - also ein knappes Jahr vor dem 18. September 2015 - veröffentlicht hat. Diese Grafik zeigt PEMS-Ergebnisse, und es ist leicht zu sehen, dass die Stickoxidwerte in vielen Fällen radikal überschritten wurden. Die Grenzwerte sind als grüne und orange Linie auf der Y-Achse ablesbar.
(Bild: ICCT)
Erste Indizien 2007
Ich muss mir eingestehen, dass ich den eingangs erwähnten Verdacht von Dr. Axel Friedrich zwar immer für plausibel gehalten habe. Das Ausmaß aber konnte oder wollte ich mir nicht vorstellen. Wann hatte ich Hinweise bekommen? Zum Beispiel 2011 bei einem sogenannten Kaminabend in Wolfsburg. Etwa 20 internationale Fachjournalisten waren zu einem Vortrag beim Leiter der Motorenentwicklung eingeladen: Jens Hadler war klug, beeindruckend und so etwas wie der kommende Mann bei Volkswagen, ein Maschinenbauingenieur und Aufsteiger. Er berichtete von der Unzahl der weltweiten Zulassungsnormen und dass die Motoren per Software daran angepasst würden. Hadler verließ Volkswagen 2012 aus unklaren Gründen. Das Landgericht Braunschweig hat ihn im Mai 2025 zu viereinhalb Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Auch Kollegen hatten Indizien: Ein ehemaliger Ressortleiter von mir hatte in einer Archivkiste einen anonymen Leserbrief aus dem Jahr 2007 gefunden. Auf einem mit einer Schreibmaschine beschriebenen, karierten Blatt Papier beschuldigt der Leser die Audi AG, bei der Abgasnorm Euro 4 und den Sechszylindermotoren mit 2,7 und 3 Litern Hubraum mit Cylce Beating betrogen zu haben. Der Ressortleiter hatte das Potenzial erkannt; die Nachweismethoden waren allerdings damals noch nicht vorhanden. Der Tippgeber hatte keine Adresse hinterlassen, und Verlage geben ungern Geld für intensive Recherchen aus.
Warten auf die Verschrottung
Der Volkswagen-Konzern hat viele Menschen wütend gemacht. Ich glaube aber nicht, dass Volkswagen allein gehandelt hat. Ich bin überzeugt, dass auch andere Hersteller bei den Abgasemissionen manipuliert haben. Zum Beispiel außerhalb Deutschlands. Zuständig wären die jeweiligen nationalen Behörden gewesen – und die haben die Industrie im eigenen Land und die Arbeitsplätze möglicherweise mehr geschützt als die Atemluft.
Von den über 49 Millionen Autos in Deutschland haben heute rund 28 Prozent einen Dieselmotor. In der Regel gilt: Je älter, desto höhere Schadstoffwerte. Je neuer, desto besser. Irgendwann sind die Autos mit unzureichender Abgasnachbehandlung verschlissen, sie gehen in die Schrottpresse oder aufs Exportschiff. So erledigt sich das Problem zumindest bei uns absehbar. Ich bin sicher, dass jede andere Lösung politisch nicht durchsetzbar gewesen wäre.
Lesen Sie mehr zum Diesel-Skandal
(mfz)