Wirtschaftspolitik: Arbeiten die Deutschen zu wenig?

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Deutschland diskutiert, wieder einmal, über die Arbeitszeit. „Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten“, mahnte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) vergangene Woche, „mit Viertagewoche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand nicht erhalten können.“ Die Bild beschwor am Wochenende „die große Fleißdebatte“, und die Tagesthemen erhoben eine neue Studie zur Spitzenmeldung, die zeige, dass die Menschen hierzulande weniger arbeiteten als die Beschäftigten in anderen Ländern, zum Beispiel in Spanien oder in Griechenland.

Dass die Diskussion ein wenig aufgeregt daherkommt, zeigt sich, wenn man die besagte neue Studie liest: Es handelt sich um einen eineinhalbseitigen Kurzbericht des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, in dem der Autor die durchschnittlichen jährlichen Arbeitsstunden in verschiedenen OECD-Mitgliedsländern vergleicht. Nichtarbeitende Bürger fließen dabei mit null Stunden ein. Ein Deutscher im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 Jahren kommt demnach durchschnittlich auf 1036 Stunden, ein Grieche auf 1172 Stunden, ein Pole auf 1304 Stunden. Spitzenreiter ist Neuseeland, ein Einwohner im erwerbsfähigen Alter arbeitet dort im Schnitt 1393 Stunden. Fazit, so sieht es zumindest das IW: In Deutschland wäre noch ein wenig mehr drin.

Viele kümmern sich neben der Arbeit um Haushalt oder Kinder

Das ist, einerseits, zwar ein zulässiger Schluss, zugleich aber ist er ein wenig irreführend. Mehr Arbeitszeit ist in Deutschland vermutlich drin, wenn man auf die Teilzeitbeschäftigten schaut. Elf Prozent der berufstätigen Männer arbeiten reduziert, bei den Frauen sind es 49 Prozent. Mit fehlendem Fleiß hat das aber häufig nicht zu tun – sondern damit, dass sie sich neben der Arbeit um den Haushalt, um pflegebedürftige Angehörige oder um Kinder kümmern.

Dieses Problem sieht auch die neue Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD): In der Bild am Sonntag forderte sie, Arbeitgeber müssten „die Arbeitswelt so umgestalten, dass mehr Mütter in Vollzeit arbeiten können“. Zudem versprach sie, die Bundesregierung werde die Kinderbetreuung ausbauen und steuerfreie Prämien für Arbeitnehmer ermöglichen, die von Teilzeit in Vollzeit wechseln.

Die Frage ist darüber hinaus, wie aussagekräftig die reine Zahl an Arbeitsstunden ist. Sie sagt nämlich noch nichts darüber aus, wie viel Arbeit die Beschäftigten schaffen, also wie produktiv sie sind. In den Statistiken der Arbeitsorganisation ILO kommt Deutschland hierbei auf deutlich bessere Werte als viele andere OECD-Länder – auch als Spanien, Griechenland oder Polen. Mangelnder Fleiß lässt sich den Beschäftigten auch noch aus einem weiteren Grund nicht vorwerfen: Die Zahl der in Deutschland pro Jahr geleisteten Arbeitsstunden lag zuletzt mit 55 Milliarden Arbeitsstunden auf einem Rekordhoch. Auch die Erwerbsbeteiligung – also der Anteil der Menschen, die in Deutschland arbeiten – ist mit 77 Prozent deutlich höher als in vielen anderen Ländern, etwa in Frankreich.

Schwierig ist vor allem der Mangel an Arbeitskräften

Der Trend in Deutschland geht nicht hin zur Viertagewoche, das zeigt auch ein Blick auf die größeren Tarifrunden der vergangenen Zeit. Im öffentlichen Dienst etwa verabredeten Arbeitgeber und Gewerkschaften eine Flexibilisierung der Arbeitszeit, künftig sind dort bis zu 42 Arbeitsstunden möglich. Flexiblere Modelle will auch die Bundesregierung stärken: Union und SPD wollen bald eine wöchentliche Höchstarbeitszeit einführen und so den gängigen Acht-Stunden-Tag aufweichen. Außerdem sollen die Zuschläge für Überstunden steuerfrei gestellt werden.

Mehr und flexibleres Arbeiten allein aber wird Deutschland nicht dabei helfen, die zentrale wirtschaftliche Herausforderung der Zukunft zu bewältigen. Diese Herausforderung besteht nach Ansicht führender Ökonomen im sich bereits jetzt abzeichnenden Mangel an Arbeitskräften. 1,4 Millionen Stellen können derzeit nicht besetzt werden, so hat es das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung errechnet; die Liste der sogenannten Engpassberufe der Bundesagentur für Arbeit umfasst inzwischen 183 Professionen, darunter etwa Pflegekräfte, Handwerker, Kellner und Verkäufer.

In den nächsten Jahren werden sich die Probleme am Arbeitsmarkt noch deutlich verschärfen. Etwa 16 Millionen sogenannte Babyboomer gehen einer Schätzung zufolge bis Mitte der 2030er-Jahre in Rente. Zugleich rücken deutlich weniger Menschen in den Arbeitsmarkt nach.

Die einzige Chance, dem entgegenzuwirken, liegt darin, dass Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland ziehen. Verschiedene Analysen sehen den Bedarf bei 300 000 bis 400 000 Menschen pro Jahr. Schon die Ampelkoalition hatte deshalb das Ziel ausgerufen, den Zuzug nach Deutschland zu erleichtern, in ihrer Regierungszeit trat das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft. Die Zahlen – im ersten Jahr lagen die erteilten Arbeitsvisa bei etwa 200 000 – können die Fachkräftelücke allerdings noch nicht schließen.

Nach Ansicht von Fachleuten liegt das daran, dass die bürokratischen Hemmnisse für ausländische Bewerber weiterhin zu hoch sind. Die Anerkennung von Berufsabschlüssen und die Visa-Vergabe dauern noch zu lange, Botschaften und Ämter sind überlastet. Die Bundesregierung hat angekündigt, die Regeln verbessern zu wollen, und sie wird auch daran gemessen werden, ob ihr das gelingt.

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