
Tennisstar Aryna Sabalenka: »Ich wollte nicht, dass sie merkt, dass sie mich nervt«
Foto: Kirill Kudryavtsev / AFPDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Vollprofi in der Vollkrise: Es gibt Tennisprofis, die sind auf dem Platz ganz bei sich, unbeeindruckt vom Spielstand, von der eigenen Leistung, dem Anlass. Und es gibt Aryna Sabalenka, die beste Tennisspielerin der Welt, die sich im entscheidenden dritten Satz mit ihrem Schläger mehrfach auf den Hinterkopf schlägt, weil, man kann es nicht anders sagen, sie gerade die Vollkrise bekommt. Der Grund dafür ist 37 Jahre alt, 1,68 Meter groß und die Nummer 104 der Weltrangliste.
Das Ergebnis: Laura Siegemund, der letzte verbliebene deutsche Tennisprofi beim Turnier in Wimbledon, entnervte die Weltranglistenerste Sabalenka im Viertelfinale, musste sich am Ende aber dennoch geschlagen geben. 6:4, 2:6, 4:6 unterlag Siegemund nach 2 Stunden und 54 Minuten in einem umkämpften Match auf dem Centre Court. Die Partie können Sie hier im Liveticker nachlesen.

Laura Siegemund (r.) und Aryna Sabalenka nach dem Viertelfinale
Foto: Kirill Kudryavtsev / AFPDie Ausgangslage: Eigentlich ist Siegemund bekannt für ihre Erfolge im Doppel und Mixed. Aus beiden Wettbewerben zog sie sich in den vergangenen Tagen jedoch zurück, denn: Sie spielt das beste Rasentennis ihres Lebens und erarbeitete sich dabei einen Ruf als denkbar unangenehme Gegnerin. »Sie hat ein Spiel, das mir nicht wirklich gefällt«, monierte Solana Sierra, die Siegemund im Achtelfinale geschlagen hatte. (Mehr dazu, wie Siegemund sich ins Viertelfinale »schnitzelte«, erfahren Sie hier .) Mit Sabalenka schien jedoch eine unlösbare Aufgabe zu warten. Elf ihrer zwölf Grand-Slam-Viertelfinals hatte die Belarussin in ihrer Karriere gewonnen, Siegemund dagegen noch nie eine Weltranglistenführende geschlagen.
Der erste Satz: Mit aufgeregtem Gemurmel reagierten die Zuschauer auf dem Centre Court auf die Anfangsphase. Siegemund war die bessere Spielerin – und zog 3:0 davon. »Come on, Aryna«, schallte es schon nach einer Viertelstunde von der Tribüne. Die Weltranglistenerste war früh auf die Unterstützung der Zuschauenden angewiesen, bei denen sich Sabalenka später bedankte. Erstmals in diesem Turnier musste sie einen Satz abgeben, weil Siegemund sie keinen Rhythmus finden ließ und gleichzeitig selbst mutige Winner schlug.
Der zweite Satz: Siegemund startete erneut mit einem Break und schien drauf und dran, nicht nur Sabalenkas Aufschlag, sondern auch ihren Willen zu brechen. Die Deutsche blieb ihrem Matchplan treu, begegnete Sabalenkas Power mit Variantenreichtum. Hier ein Slice, da ein Stopp, immer wieder aber auch klassische Topspinschläge. »Ihr Spiel ist nicht nervig, es ist klug«, sagte Sabalenka nach der Partie. Dennoch fand die Belarussin im zweiten Satz besser ins Match und gewann einen Durchgang, der von Fehlern auf beiden Seiten geprägt war.
Französischer Frust: Fast genau einen Monat ist es her, da verzweifelte Sabalenka im Finale der French Open an Coco Gauff und dem Wind und zeigte sich anschließend als schlechte Verliererin. Die Emotionen hätten sie damals überwältigt, so Sabalenka vor Wimbledon: »Ehrlich gesagt bin ich irgendwie froh über das, was mir in Paris passiert ist, weil ich viel daraus lernen konnte.« Gegen Siegemund wurden ihre Lehren in Gelassenheit auf eine harte Probe gestellt.
Der dritte Satz: Sich über zwei Stunden mit der schlaggewaltigsten Spielerin der Welt in der prallen Sonne zu duellieren, schien Siegemund schließlich doch zuzusetzen. Beim Seitenwechsel saß sie noch mit einem Handtuch über dem Kopf auf ihrem Stuhl, als der Schiedsrichter schon zum Weiterspielen aufgefordert hatte. Siegemund, bekannt dafür, das Tempo zwischen den Seitenwechseln diktieren zu wollen, bewegte sich am Rande des Erlaubten. Einmal verwarnte sie der Schiedsrichter, weil sie wiederholt die Shot Clock beim Aufschlag hatte auslaufen lassen.

Die Weltranglistenerste Aryna Sabalenka beim Aufschlag
Foto: Hannah Peters / Getty ImagesSabalenka derweil wurde immer frustrierter, teilweise selbst nach Punkten, die sie gewann. Sie rollte mit den Augen, zuckte mit den Schultern, trat nach einem Ball, schlug einen anderen weg. »Ich wollte nicht, dass sie merkt, dass sie mich nervt«, sagte Sabalenka im On-Court-Interview und brachte damit das Publikum zum Lachen.
So geht’s weiter: Im WTA-Liveranking belegt Siegemund Rang 54. Sie wird trotz der Niederlage einen großen Sprung in der Einzelweltrangliste machen, verdiente sich 400.000 Pfund (rund 464.000 Euro) und Sabalenkas Respekt. »Das war eine echte Herausforderung«, sagte sie über das Match gegen Siegemund. »Ehrlich gesagt brauche ich etwas Zeit, um mich zu beruhigen und zu erholen.« Bis Donnerstag kann sie das tun. Dann trifft die 27-Jährige im Halbfinale auf die US-Amerikanerin Amanda Anisimova.