
Rockband Wet Leg
Foto: Iris Luz / Domino RecordingDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Wie befreiend es sein kann, sich von Geschlechterklischees und -zwängen zu befreien, führt zurzeit eindrucksvoll die britische Musikerin Rhian Teasdale vor. Noch vor wenigen Jahren, im Nachhall ihres von Kritik und Publikum bejubelten Debütalbums mitsamt der sarkastischen Postpunk-Single »Chaise Longue«, tingelten die Sängerin der Band Wet Leg und ihre Gitarre spielende Co-Songwriterin Hester Chambers als vom Übernachtruhm sichtlich eingeschüchtertes Girlie-Duo in Blümchenkleidern durch Talkshows und Tourneen.
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Anfang 2025, als erste Bilder zum nun veröffentlichten zweiten Album erschienen, war Teasdale kaum wiederzuerkennen: Das vormals brav wirkende Mädchen mit brünetter Mähne von der Isle of Wight war zu einem rotblondierten Vamp mit abrasierten Augenbrauen mutiert. Auf dem Cover von »Moisturizer« dreht die immer noch zurückhaltende Chambers ihrem Publikum nach wie vor den Rücken zu, wie auch auf dem ersten Album und oft bei Liveauftritten. Teasdale jedoch grinst wie zum Sprung bereit dämonisch in die Kamera. Beide tragen monströse Krallen an ihren Händen.
In der Late-Night-Show von Jimmy Fallon, wo die Band kürzlich ihre kantige, rifflastige Single »Catch These Fists« vorstellte, trat Teasdale mit Boxhandschuhen aus Schwermetall auf, dazu trug sie ein freizügiges Aerobic-Kostüm und präsentierte herausfordernd ihre offenbar im Gym gestählten Oberarmmuskeln. Was für eine krasse Transformation. Schüchternheit? Mädchenhaftigkeit? War gestern.
Ebenso gestrig wirkt die Mutmaßung, Wet Leg und ihre beiden Hits »Chaise Longue« und »Wet Dream« könnten ein reines One-, beziehungsweise Two-Hit-Wonder bleiben. »Moisturizer«, dessen Übersetzung in »Feuchtigkeitscreme« man sowohl unschuldig als auch erotisch lesen kann, stellt zumindest klar, dass die Band über genug Schlagkraft für ein paar weitere Wirkungstreffer verfügt. Muskulöser präsentieren sich Wet Leg auch personell, denn die drei Männer der Livebegleitung sind jetzt feste Mitglieder einer Formation, die in Teasdale eine eindeutige Anführerin und Frontfigur gefunden hat.
Auslöser für die Unbefangenheit und spielerische Angriffslust, mit der sich die Sängerin jetzt präsentiert, war ihre Erkenntnis, nicht hetero zu sein. Seit Ende 2021 ist sie laut eigener Aussage mit einer nonbinären Person zusammen und entdeckte nicht nur Romantik, sondern vor allem ihre eigene Sexualität neu.
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Das wirkt sich fundamental auf den Sound von Wet Leg aus. Die Musik wildert über Teile des Albums hinweg immer noch nassforsch in den gut geölten Indie-Hits der Neunziger- und Nullerjahre, von Pixies und Breeders bis Elastica und Franz Ferdinand. Während Songs wie »Catch These Fists« oder »Mangetout« jedoch mit wütenden Tiraden gegen dumpfe Aufreißer in Klubs noch einmal kompetent den männermordenden Duktus des Debüts reproduzieren, lässt Teasdale gleich im atemlosen Eröffnungsstück »CPR« durchblicken, dass die Zeiten ruppig-defensiver Breakup-Hymmen eigentlich vorbei sind: Sie brauche dringend Wiederbelebungsmaßnahmen in Form von Küssen, singt sie lasziv, weil sie sich verliebt habe und nicht sicher sei, ob das nicht Selbstmord sei.
Je mehr sie sich mit dieser neuen Rolle, Kuscheldomina statt Kratzbürste, anfreundet, desto expliziter werden die Texte. Nicht nur sexuell, auch popkulturell: In »Davina McCall«, benannt nach einer in UK berühmten »Big Brother«-Moderatorin, wird heiß auf dem Sofa gefummelt, in »Pokémon« niedlich vom Durchbrennen nach Tokio geträumt, in »Jennifer’s Body« lesbischer Erotik im Horrorkino nachgesonnen. Die Musik dazu wird weicher und diverser, streckt sich jetzt auch mal nach dem melodiösen, eleganten Pop der Cardigans.
In »Pillow Talk« (»Bettgeflüster«) springt Teasdale endgültig von der Chaiselongue mitten rein ins Lotterbett: »When you tell a joke, you make me laugh like so maniacal/ I can make you sticky, make your heart scream even after sun/ I can make you beg, can make you wild like an aquarium«, flötet sie beim abwechslungsreichen Liebesspiel – und bringt damit auch den Reiz ihrer Band auf den Punkt: Wet Leg sind cool, aber auch kinky, bringen einen mit trockener Ironie zum Lachen, sind aber auch ernsthaft sexy. Sie versetzen einen mit pumpenden Bassläufen, Gitarrenriffs und suggestiven Hooks in Ekstase und bringen einen zum Schwitzen – bis man sich gehörig durchgeknuddelt fühlt, süchtig nach mehr. Egal, welchem Geschlecht man sich zurechnet.
Wenn das jetzt, inmitten eines offensichtlichen Transformations- und Findungsprozesses, erst einmal musikalisch disparat wirkt, ist das nicht schlimm. Langweilig wie erwartbar wäre ein Album gewesen, das die Gestik und Thematik des erfolgreichen Debüts schlicht noch einmal mit banalen Tour- und Erschöpfungsgeschichten nachzeichnet, wie es bei zweiten Alben oft Usus und Zumutung ist.
2021 waren Teasdale und Chambers noch diejenigen, die von den überraschenden Ereignissen überrollt wurden, jetzt haben sie den Spieß umgedreht und brüsten sich lustvoll mit ihrer Unberechenbarkeit. »Maybe we could start again/ It’s some kind of joke«, flöten sie zum Schluss in »U And Me at Home«, der reinsten, lässigsten Festival-Handylampenhochhalte-Hymne, die sie bisher geschrieben haben. Wenn das alles ein Witz ist, ist es ein sehr guter. (8.2/10)
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Wertung: Von »0« (absolutes Desaster) bis »10« (absoluter Klassiker)