Weshalb man mit dem Posten des Wassermelonen-Emoji vorsichtig sein sollte

vor 11 Stunden 1

Die Datingplattform Hinge erinnert ein bisschen an ein Freundschaftsalbum in digitaler Form. Man postet nicht nur Vorname, Alter und ein paar Fotos, sondern füllt auch drei sogenannte „Eisbrecher“ aus. Es gibt verschiedene zur Auswahl, sie lauten zum Beispiel: „Meine irrationalste Angst“, „Dieses Jahr möchte ich wirklich“ und „Typischer Sonntag“. Die Antworten darauf sind nicht immer sonderlich individuell oder überraschend. Und bei der Frage, worüber man sich einig sein müsse, scheinen viele User einer Meinung: Als Antwort reicht ihnen das Emoji einer Wassermelone. Manchmal steht da auch in Worten „Free Palestine“ – aber die Melone ist natürlich süßer, man ist ja schließlich zum Daten hier.

Für alle, die es nicht wissen: Die Wassermelone, deren Farben sich in der Flagge Palästinas wiederfinden, steht für eine propalästinensische Position im Nahostkonflikt. Der palästinensische Künstler Sliman Mansour malte sie deshalb schon in den 80er-Jahren, doch erst durch die sozialen Medien wurde die Wassermelone nun auf der ganzen Welt bekannt. Denn um zu vermeiden, dass politische Beiträge etwa auf Tiktok gelöscht werden, posten viele User statt einer palästinensischen Flagge das Wassermelonen-Emoji oder sprechen statt von Palästinenserinnen und Palästinensern von „Watermelon People“ – eine Formulierung, die nicht ganz so empathisch klingt, wie sie wohl gemeint ist.

Nicht immer eindeutig

Die Wassermelone ist im Dating so verbreitet, dass der amerikanisch-israelische Rapper Kosha Dillz mit der israelischen Comedian Or Mash sogar einen lustigen Song darüber gemacht hat. Er heißt „Watermelon“ und beginnt so: „Live from the front line of dating with no sex / Looking for a baddie that doesn’t go to protests / Need a normal bae you know real estate selling / Live laugh love not a bunch of watermelons like.“ Und im Refrain rappt Or Mash: „Met this cute guy and he said I wanna see ya / Then he ask me hey what the deal with avatiach?“ Avatiach ist He­bräisch und bedeutet: Wassermelone.

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Nun könnte man grundsätzlich darüber diskutieren, wie hilfreich es ist, politische Positionen auf Emojis herunterzubrechen. Die Wassermelone ist aber noch aus einem anderen Grund interessant. Zum einen ist sie, wie zum Beispiel auch die Ananas oder das Lama, oft auf harmlosen, ein bisschen mädchenhaften Modeaccessoires, auf Taschen oder Haarspangen abgebildet, die viele Leute mit sich herumtragen – ohne sich der Botschaft, die sie damit inzwischen aussenden, wohl immer bewusst zu sein.

Zum anderen ist ihre Symbolik nicht in jedem Kontext so eindeutig, wie viele offenbar meinen. Denn zumindest in den USA hatte die Wassermelone, bis sie nach dem 7. Oktober zu neuer Berühmtheit gelangte, in erster Linie eine andere Bedeutung, mit der sich propalästinensische Hinge-User wohl nicht gemein machen wollen: als rassistisches Symbol, um sich über Schwarze lustig zu machen.

Der rassistische Mythos des unmündigen Schwarzen

Diese Verknüpfung stammt aus dem 19. Jahrhundert. Nach der Abschaffung der Sklaverei verdienten viele ehemals Versklavte ihren Lebensunterhalt mit dem Anbau und Verkauf von Wassermelonen. Von denjenigen, die gegen die Abschaffung der Sklaverei waren, wurde dieser Umstand in Karikaturen und Büchern aufgegriffen. Darin standen Wassermelonen für Faulheit (wachsen schnell, sind leicht anzubauen) und Unreife (bunte, süße Frucht), kurz: für den rassistischen Glauben, dass Schwarze für ein Leben in Freiheit einfach nicht gemacht seien.

Das ist schon eine ganze Weile her, doch das Symbol hat sich gehalten. Als der Comedian Tony Hinchcliffe auf einer Wahlkampfveranstaltung für Donald Trump im New Yorker Madison Square Garden auftrat, machte er nicht nur Kommentare über Puerto Rico („im Meer schwimmende Insel aus Müll“), sondern auch einen Witz über einen schwarzen Besucher der Veranstaltung, der sich mit ihm zu einer Halloween-Party getroffen und Wassermelonen ausgehöhlt habe.

Mindestens ungünstig war ein Post der Democratic Socialists of America (DSA), in dem diese Hakeem Jeffries, Fraktionsführer der Demokraten im Repräsentantenhaus und erster Afroamerikaner in dieser Rolle, dazu aufforderten, sich für eine Waffenruhe in Gaza einzusetzen. Bebildert war der Post mit einer Wassermelone. Die DSA mag die Wassermelone tatsächlich als Symbol für Palästina verwendet haben. Doch weil die wenigsten Dinge im Internet wohlwollend aufgefasst werden, folgte die Kritik sofort: Wie man einen Post, der sich an einen schwarzen Politiker richtet, mit einer Wassermelone bebildern könne?

Diese Kontextüberschneidung mag nicht sonderlich häufig sein, schließlich ist in den meisten Fällen klar, was gemeint ist. Wobei: Ist es das? Vielleicht kann man den anderen beim ersten Date ja einfach mal darum bitten, seine Position zum Nahostkonflikt genauer zu erläutern. Wenn danach das Eis nicht gebrochen ist, hilft wahrscheinlich gar nichts mehr.

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