Wanderaltar geht nach Rom: Wanderaltar statt Wandelaltar

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Wer je in Danzigs Nationalmuseum vor dem gigantischen Weltgericht des Seligenstädters Memling stand, wird diesen Eindruck nie vergessen. Auf einer Breite von 3,60 Metern werden die Verdammten auf jede erdenkliche Weise gequält, um auf der Seite der Guten, heraldisch rechts, als brave Seelen ätherisch in die Himmelskathedrale einzuziehen. Der monumentale Altar wirkt unverrückbar, und doch trat er – unfreiwillig – von Danzig aus eine lange Reise nach Paris an, weil Napoleons Kunstraffzahn und Großkonfiskator Denon ihn unbedingt im Louvre haben wollte. Zusammen mit Tausenden weiterer Kunsttrophäen aus allen Teilen Europas wurde das Triptychon der Marienkirche 1806 beschlagnahmt und nach Napoleons endgültiger Niederlage 1815 mit Zwischenstopp in Berlin und Triumphzug durchs Brandenburger Tor zurückgebracht. Zugespitzt: Erst nach zeitweiligem Verlust und Wiedergewinnung wurde der Altar so richtig geschätzt und einer der Auslöser des Mittelalterfiebers im 19. Jahrhundert.

Die Stifterfiguren von Naumburg blickten nicht sich, sondern den Altar an

Die vielen in Kriegen und Säkularisationen aus Kirchen entfernten und teils über Jahrhunderte auf dem Kunstmarkt flottierenden Werke haben seit drei Jahren einen modernen Wiedergänger im Naumburger Dom. Dort wurde der im Bildersturm teilzerstörte Flügelaltar Cranachs im Westchor 2022 durch den Leipziger Maler Michael Triegel ergänzt. Den Denkmalwächtern der UNESCO gefiel das nicht, weil er die Sicht auf Uta und Co. verstelle, was Unsinn ist, da bis auf die beiden Stifterfiguren an der Stirnwand nichts verdeckt wird, im Gegenteil diese historisch immer auf den Altar im Zentrum des Chors ausgerichtet waren. Da aber mit dem Entzug des Welterbestatus gedroht wurde, musste der Altar weichen und wandern. Von Dezember 2022 bis Juni 2023 wurde er im Diözesanmuseum Paderborn gezeigt, anschließend in Stift Klosterneuburg bei Wien.

 Deckel eines Buches, in dem der Kunsthistoriker Georg Habenicht den seit Enthüllung des Triegel-Cranach-Altars im Jahr 2022 tobenden Naumburger Bilderstreit dokumentiertEin Bild im permanenten Umzug: Deckel eines Buches, in dem der Kunsthistoriker Georg Habenicht den seit Enthüllung des Triegel-Cranach-Altars im Jahr 2022 tobenden Naumburger Bilderstreit dokumentiertMichael Imhof Verlag

Danach durfte er wieder die Dombesucher erfreuen, das Zähneknirschen des Internationalen Rats für Denkmalpflege (Icomos) in Paris aber war bis in den Chor zu hören. Vor Kurzem dann der Bescheid von dort: Der Altar könne im Dom verbleiben, müsse aber ins Nordquerhaus abgeschoben werden, das vom Publikum kaum besucht wird.

Der Vatikan als Herbergsvater

Schluss mit den Spielchen, dachten sich Naumburgs Vereinigte Domstifter. Der Vatikan höchstselbst wird nun künftig das Meisterwerk auf Dauerherbergssuche zeigen, und zwar in der Kirche des Campo Santo Teutonico gleich neben dem Petersdom, wo seit Karl dem Großen illustre Größen wie Arnold Böcklin bestattet sind. Schon bald wird man also zum Altar in Rom pilgern können. Die naheliegende Redeweise vom Propheten, der nichts gilt im eigenen Land, ist dennoch falsch: Die Naumburger, die dortigen Domstifter, die Landeskirche Sachsen-Anhalt, die vielen Besucher, sie alle wissen ja den Altar, vor dem wie seit Jahrhunderten an dieser Stelle geheiratet und Messe gefeiert wird, zu schätzen, nur eben die Denkmallordsiegelwahrer vom Icomos mit Sitz im fernen Paris nicht. Doch würde es nicht wundern, wenn das Werk, das dann fast so viel gereist ist wie weiland Johannes Paul II., dereinst an seinem angestammten Platz im Naumburger Dom zur Ruhe kommt. Ein triumphaler Einzug wie jener des Danziger Altars wäre ihm gewiss.

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