TV-Kritik: Maischberger: Guttenbergs Comeback-Tour und Gysis Diskrepanz

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Eine politische Talkshow kreiert im besten Fall einen politischen Salon, der das Publikum mit guten Argumenten für ihren eigenen Meinungsaustausch ausstattet. Diesen Anspruch verfolgt auch die Sendung „Maischberger“ in der ARD. Sie hat sich vom klassisch mäandernden Konzept mit sechs Gesprächspartnern mit unterschiedlichem ideellen Hintergrund verabschiedet.

Statt einen direkten Schlagabtausch zwischen „Volk“ und Spitzenpolitikern zu inszenieren, glüht sie die Debatte unter Rückgriff auf mehr oder weniger stringent argumentierende Journalisten an, bevor die Moderatorin mit politischer Prominenz weiterdiskutiert.

Die bestand am Dienstagabend aus drei Männern: dem ehemaligen Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, vor seinem tiefen politischen Fall ein Liebling der Medienwelt. Dem unverwüstlichen Gregor Gysi, der sich für seine These, für ein Ende des Ukrainekriegs müssten die Konfliktparteien mehr miteinander reden, einen Ausweg durch ständigen Verweis schuf, er wolle mehr über die Inhalte der Alaska-Gespräche zwischen Trump und Putin wissen.

Der schmale Grat der Talkrunden

Beide haben soeben neue Bücher vorgelegt. Und zuletzt war da der Mainzer Ministerpräsident Alexander Schweitzer, dem viele zutrauen, bei einer Körpergröße von 2,06 Meter nicht nur der längste (und einzige vegane), sondern auch ein besonders einflussreicher Ministerpräsident der kriselnden SPD zu sein.

Solche Sendungen schwanken immer zwischen Floskeln, populistischem Applaus-heischendem Verkürzen und interessanter politischer Erkenntnis. Das Personal ist meistens ähnlich und rekrutiert sich aus Politik, Medien und akademischem Umfeld. Zwei Dutzend der möglichen Teilnehmer sind echte Quotenbringer, die Unterhaltsamkeit mit politischer Substanz zusammenbringen. Wie gut das Setting funktioniert, hat vor allem mit der Zielstellung der Sendung zu tun: Was will eine Moderatorin erreichen, und wie stringent stellt sie Fragen?

Auch wenn die Maischberger-Sendung unter dem anfangs beschriebenen Muster leidet, die „üblichen Verdächtigen“ einzuladen und zum wiederholten Mal über ähnliche Fragen zu diskutieren, gelingt es Sandra Maischberger ganz gut, die Probleme eines solchen Formats zu umschiffen und dem Anspruch näher zu kommen, zur politischen Erkenntnis beizutragen.

Schweitzer als neuer Sparringspartner

Der Auftritt Schweitzers, der kurz vor Mitternacht beginnt, dient mehr dem Zweck, den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten (SPD) als Sparringspartner für bundespolitische Themenstellungen zu etablieren. Durch einen breiten Fragenkatalog hangelt er sich recht behände durch. Dass er seinen Parteikollegen Olaf Scholz wegen seines (vor allem im kleineren Kreis zu erlebenden) Humors vermisst, ist ihm abzukaufen.

Seit Juli 2024 ist Alexander Schweitzer Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz.Seit Juli 2024 ist Alexander Schweitzer Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz.WDR/Thomas Kierok

Dass er die Amtsführung seiner Landsfrau Julia Klöckner (CDU) als Bundespräsidentin mit der Bemerkung kommentiert, die mache das, wie sie für richtig halte, darf man als polit-kulturelle Grenzziehung betrachten. Zu später Stunde hat Schweitzer den vergleichsweise unkontroversen, mehr auf die Persönlichkeit zielenden Part zu absolvieren. Über das Ergebnis kann sich niemand beschweren.

Mit dem Pärchen Gysi und Guttenberg ist es etwas schwieriger. Die beiden haben sich zunächst beschnuppert, dann zu einem gemeinsamen Politik-Podcast (mit zwischenzeitlicher Buchveröffentlichung) durchgerungen, in dem sie für einen respektvollen Umgang mit abweichenden Meinungen eintreten, und nun jeweils Bücher zur Lage veröffentlicht. Guttenberg arbeitet sich an „Drei Worten“ ab, Gysi versucht, sein Leben in „13 Büchern“ zu erfassen.

Irritierende Diskrepanz bei Gysi

Sie reden über die Ukraine, Trump, das Attentat auf Charlie Kirk und die Wehrpflicht. Alles ist wohlinformiert, durchdacht und pointiert – durchaus in Abgrenzung zum vorhergehenden Journalisten-Talk mit Christian Rach, Iris Sayram und Ansgar Graw (dem konzisesten des Trios). Die beiden beherrschen ihr Geschäft und können in drei Sätzen einen Standpunkt zuspitzen.

Bei Gysi irritiert die Diskrepanz zwischen dem Wunsch, Frieden in der Ukraine über Dialog herzustellen, und seinem realen Unwissen über Gesprächsinhalte zwischen Trump und Putin. Da er seit Jahren den Dialog anmahnt, wirkt der Umgang mit den tatsächlichen Gesprächen in Alaska etwas ernüchternd.

Denn bei einer klaren Betrachtung der Lage und einem vehementen Eintreten gegen eine militärische Unterstützung der Ukraine hätte es ja Teil seines Kalküls sein müssen, dass genau diese beiden Akteure (Trump und Putin) miteinander verhandeln würden – mit allen Unwägbarkeiten, die eine frühe Einigung darauf, dass die Ukraine nach ihrer Vorstellung Gebiete abgetreten soll, mit sich bringt. Oder war er davon ausgegangen, dass statt Trump für den Westen Matthias Platzeck und Ralf Stegner die Verhandlungen führen würden?

Ein Ex-Politiker auf Comeback-Tour

Guttenberg ist inhaltlich wohl präpariert, kann die Verfassungshürden einer Wiedereinführung der Wehrpflicht genauso pointiert zusammenfassen wie die Bedeutung des rechtsklerikalen Attentatsopfers Charlie Rich herausarbeiten. Sein Amerika-Aufenthalt hat ihm eine zusätzliche Perspektive verschafft. An seinen Auftritten irritiert nicht so sehr die inhaltliche Substanz als die wieder latent einsetzende Begeisterung für einen letztendlich doch sehr glatten und kalkulierenden Ex-Politiker, dem man anmerkt, dass er nach dem unrühmlichen Ende durch seine plagiierte Doktorarbeit wieder im politischen Diskurs mitmischen will.

All das darf das Konzept Talkshow präsentieren. Und die genannten Gäste sind eine sichere Bank, die für ein ausgewogenes Verhältnis von Unterhaltsamkeit und politischer Substanz stehen. Das Anglühen mit drei Journalisten erlaubt, wesentliche Positionen schon einmal vorab auszutesten, ohne durch einen direkten Schlagabtausch von Wählerrepräsentanten und politischen Personal in Kleinklein zu versinken.

Maischberger gelingt es, durch ihre politische Versiertheit erkenntnisfördernd durch die Sendung zu führen. Und doch bleibt ein Gefühl der Sättigung. Zwei alternde Politiker, die (längst nicht zum ersten Mal) Bücher vorgelegt haben, tragen ihren andernorts kultivierten Schlagabtausch auf anderer Bühne aus. Journalisten hangeln sich durch eine Vielzahl von Themen. Und eine Moderatorin stellt viele Fragen nicht zum ersten Mal. Die Sendung zählte eher zu den besseren Beispielen einer Talkshow. Dass man sich davon übersättigt fühlt, liegt an dem Überangebot vergleichbarer Formate.

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