Verkehrte (Finanz-)Welt: Wie Privatanleger zur Lösung der globalen Infrastrukturkrise beitragen können

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Verkehrte (Finanz-)Welt

 Christian Charisius/dpa

Wie Privatanleger zur Lösung der globalen Infrastrukturkrise beitragen können

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Die Weltwirtschaft steht vor einem gewaltigen Umbau. Um den steigenden Energiebedarf zu decken, den Klimawandel zu bekämpfen und die digitale Transformation voranzutreiben, sind massive Investitionen in die Infrastruktur notwendig. Doch wer soll diese gigantische Rechnung bezahlen? Nun kommt auch für Privatanleger Bewegung in diesen Markt.

Die Staaten stehen weltweit vor einer beispiellosen Herausforderung: Der zunehmende Energiebedarf, der Klimawandel, die Digitalisierung und das starke Bevölkerungswachstum erfordern massive Investitionen in ihre Infrastruktur. Zahlen des BlackRock Investment Institute deuten darauf hin, dass bis zum Jahr 2040 allein im globalen Energiesektor jährlich 4,5 Billionen US-Dollar nötig sind.

Diese Investitionen zu stemmen, wird jedoch für viele Staatshaushalte schwierig werden. Hat sich doch die Verschuldung öffentlicher Haushalte seit Mitte der 1970er Jahre verdreifacht und beträgt mittlerweile 92 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts, wie der Internationale Währungsfonds feststellt.

Um die Finanzierungslücke zu schließen, sind private Investitionen daher unerlässlich. So investieren institutionelle Anleger bereits seit mehreren Jahren zunehmend in Infrastrukturprojekte. Diese bieten regelmäßige und vorhersehbare Renditen sowie Inflationsschutz und passen damit zu den langfristigen Verpflichtungen von Versicherern und Pensionsfonds. Das Ziel der Anlagestrategie dieser sogenannten Liability-Driven-Investoren ist, die künftigen Erträge so zu steuern, dass sie mit den erwarteten Verpflichtungen, etwa Rentenzahlungen, übereinstimmen. Für Privatanleger lohnt es sich, zwei Lösungen für Infrastrukturinvestments - die neue Fondskategorie ELTIF und Infrastruktur-Aktienfonds – genauer unter die Lupe zu nehmen.

Mit der Novelle des European Long-Term Investment Fund (ELTIF) wird in der EU der Zugang zu nicht börsennotierter Infrastruktur nun in Form eines semiliquiden Produktes auch für Privatanleger vereinfacht. Jedoch ist zu bedenken, dass die Bedürfnisse von Privatpersonen deutlich von denen institutioneller Investoren abweichen können. Eine plötzliche Veränderung der persönlichen Lebensumstände kann unerwartet kurzfristige Liquiditätsbedürfnisse hervorrufen. ELTIFs sind so gestaltet, dass Anleger als Entschädigung für eine geringere Liquidität und Handelsfrequenz eine sogenannte „Illiquiditätsprämie“ erhalten. Vorzeitige Anteilsrückgaben sind bei ELTIFs möglich, dürften aber die Rendite schmälern.

Infrastruktur-Aktienfonds

Eine weitere Anlagemöglichkeit im Segment Infrastruktur sind Aktienfonds. Langfristig erzielten Infrastruktur-Aktienfonds dieselbe Rendite wie Direktanlagen und sind im Gegensatz zu ELTIFs täglich handelbar. Allerdings kann die kurzfristige Volatilität vorübergehend Buchverluste verursachen. Gut für Anleger: Viele Infrastrukturaktien sind derzeit günstig bewertet, insbesondere in den zukunftsträchtigen Bereichen erneuerbare Energien und digitale Infrastruktur. Der Grund für dieses Phänomen ist der massive Zinsanstieg im Jahr 2022, der zu einer Diskrepanz zwischen der langfristigen Rentabilität von Wind- und Solarprojekten und der kurzfristigen Bewertung an den Finanzmärkten geführt hat. Betroffen davon waren in den vergangenen zwei Jahren vornehmlich Unternehmen aus Infrastruktursegmenten mit dem größten Investitionsbedarf.

Beispiele für Infrastrukturprojekte

Die jüngsten Übernahmen in der Branche bestätigen die skizzierte Entwicklung: Der schwedische Windparkentwickler OX2 wird von der Investmentgruppe EQT mit einem Aufschlag von 43 Prozent auf den Aktienkurs von der Börse genommen. Das nachhaltige Infrastrukturunternehmen Atlantica Sustainable Yield erhielt ein Angebot von dem auf die Energiewende spezialisierten US-Investor ECP. Seit Bekanntwerden der Übernahmepläne stieg der Aktienkurs um knapp 20 Prozent. Derweil strebt der kanadische Asset Manager Brookfield eine Mehrheitsbeteiligung am französischen Erneuerbare-Energien Anbieter Neoen SA an (Aufschlag: 27 Prozent). Zudem hat kürzlich der Finanzinvestor KKR den Hamburger Solar- und Windpark-Betreiber Encavis von der Börse genommen.

Ähnliche Entwicklungen sind im Bereich der digitalen Infrastruktur zu beobachten. Der Funkmastenbetreiber Cellnex nutzt die Bewertungskluft zwischen börsennotierten und privat gehaltenen Infrastrukturassets, indem er Teile seines europäischen Bestands mit erheblichen Preisaufschlägen verkauft. Die hohen Prämien im Vergleich zur aktuellen Börsenbewertung von Cellnex bei den Verkäufen von Assets in Dänemark und Schweden an Stonepeak (+45 Prozent), in Irland an Phoenix Towers (+50 Prozent) und an ein Konsortium in Österreich (+23 Prozent) zeigen, dass der Privatmarkt die langfristigen Wachstumsaussichten von digitaler Infrastruktur deutlich höher bewertet als der Aktienmarkt.

Unter dem Strich bieten beide Anlagevehikel Zugang zu einem attraktiven Investmentsegment. Infrastrukturinvestments liefern langfristig zuverlässige Erträge und leisten einen Beitrag zur Finanzierung der Energiewende und Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie. Langfristig erscheint eine Kombination aus liquiden und illiquiden Investments sinnvoll.

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