Und nun streiten sie wieder, die Koalitionäre, miteinander, untereinander. Jetzt über das Verbrenner-Aus in Deutschland, Autoland.
Als ob wir Streit in den vergangenen Jahren nicht schon zur Genüge erlebt hätten, selbst über Beschlossenes. Als ob deshalb die alte Koalition nicht abgewählt worden wäre. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe – Wichtigeres als sie selbst.
Was das sein soll? Na, das ist doch keine Frage: Reformen! Dafür braucht es Einigkeit, Zusammenhalt, Durchhaltefähigkeit. Es braucht die Bereitschaft, dann auch einmal am Vereinbarten festzuhalten, wenn es doch aus guten Gründen, nach gehabter Diskussion, so beschlossen wurde. Wie beim Verbrenner-Aus.
Führung wäre nötig! Gedankliche sowieso, und politische, die den Gedanken folgt. Und für den, der das herrische Wort von der „Führung“ nicht mag: Gut, dann sagen wir, der Leitspruch sei „Leite mich, wohin ich heute noch nicht geleitet werden will“. Anleiten, begleiten, leiten – das ist der Anspruch an die Politik dieser Tage, Wochen, ach was: Jahre.
Es geht längst um mehr als ums Heute. Die Agenda 2010 ist nun wirklich Geschichte. Selbst ihr Urheber meinte damals, die zu ändern, werde bestimmt nötig werden, die Beschlüsse seien ja nicht die „Gesetzestafeln Mose“. Genau, Ewigkeit ist anderen vorbehalten, wenn man daran glaubt. Die Agenda muss fortgeschrieben, neu geschrieben werden. 2030 wartet schon.
Wer das Bewährte bewahren will, muss zu seiner Veränderung bereit sein. Mit Maß und Mitte, gewiss, aber dafür bürgt das demokratische System.
Stephan-Andreas Casdorff
Die Gesellschaft auch, sehnlich. Wie wollen wir leben? Alles muss dafür neu betrachtet und bewertet werden. Es wird höchste Zeit für Inspektion und Introspektion in einem. Wollen wir nicht schlechter, sondern, wenn irgend möglich, sogar besser als gegenwärtig leben, müssen die, die es richten sollen, über ihre Generation hinausdenken. Das ist der Vertrag, den wir als Wähler mit ihnen geschlossen haben.
Soziales, Wirtschaft, Klima – das sind doch nicht bloß Chiffren, vielmehr sind damit konkrete Anforderungen verbunden. Sie unter veränderten Bedingungen zu erfüllen, sichert Leben, buchstäblich. Unser aller Leben und das derer, die nach uns kommen.
Eine Weisheit aus der Vergangenheit: Wer das Bewährte bewahren will, muss zu seiner Veränderung bereit sein. Mit Maß und Mitte, gewiss, aber dafür bürgt das demokratische System. Die Entscheidung fällt im und nach dem Diskurs. Aber sie muss fallen. Das ist tatsächlich alternativlos.
Jetzt bloß keine Planungsunsicherheit
„Was wir nicht gebrauchen können, ist Planungsunsicherheit“, sagt Matthias Miersch, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Bundestag. Er bezieht das auf die Debatte über Verbrennerverbote. Und recht hat er. Nur ganz kurz: Die Emissionsziele im Verkehrssektor werden bereits jetzt verfehlt; das kann für Deutschland Strafzahlungen der Europäischen Union in Milliardenhöhe bedeuten. Auch ist das Datum 2035 nicht willkürlich gewählt – dahinter steht ein gemeinschaftlicher Plan.
Ja, die EU-Kommission hat angekündigt, den Plan für das Verbrenner-Aus Ende dieses Jahres noch einmal zu überprüfen. Aber die Koalitionsfraktionen sollten sich prüfen, ob sie auf dem endlich eingeschlagenen Weg, dem zum Umsteuern, dem zur Elektromobilität, wirklich stoppen wollen. Unter allen Gesichtspunkten wäre das Gegenteil richtig: Tempo machen für das Klima, die Gesellschaft, die Wirtschaft. Die Chinesen können unser Zögern kaum erwarten.
Debatten, längst geführt, holen uns wieder ein. Aus Angst vor dem Morgen wird die Gegenwart verwaltet. Frei nach einem Filmtitel: Angst essen Seele auf – und die Demokratie. Dagegen hilft: Mut. Was haben die Koalitionäre zu verlieren? Ihre Ämter. Aber die gibt es sowieso nur auf Zeit. Die Macht zur Veränderung genutzt zu haben, entscheidet über den Eintrag ins Geschichtsbuch.
Union und SPD sind aufgerufen – so laut, dass es schrillt –, die Zukunft zu gestalten. Ihre Verantwortung dafür ist größer als die Verantwortlichkeit, die sie gerade zeigen. Wehe ihnen, wehe uns, wenn sie das nicht verstehen. Dann ist das Verbrenner-Aus noch das geringste Problem.