Donald Trump will die Großzügigkeit der USA im Umgang mit der Staatsbürgerschaft abschaffen. Die Vereinigten Staaten vergeben automatisch die Nationalität an Kinder, die auf US-amerikanischem Boden geboren werden. Ausgenommen sind nur einige wenige Gruppen wie Diplomaten anderer Länder. Aber Kinder von Menschen ohne Aufenthaltspapiere, von Studierenden und selbst von Reisenden erhalten das Bürgerrecht. Die Praxis unterscheidet die USA von den meisten anderen Industriestaaten, die viel strengere Regeln kennen. Gleich am ersten Tag im Amt erließ Trump eine Anordnung, die rund 160 Jahre alte Tradition zu ändern. 1868 war sie nach dem Bürgerkrieg in der Verfassung festgehalten worden.
Nun ist das Bürgerrecht vor dem Supreme Court in Washington gelandet. Mehr als zweieinhalb Stunden lang beschäftigten sich die Richter am Donnerstag mit den komplexen rechtlichen Fragen, die Trumps Vorgehen aufgeworfen hat. Nachdem der Präsident die Kursänderung befohlen hatte, reichten mehr als 20 US-Staaten Klagen dagegen ein, ebenso mehrere Organisationen, die direkt betroffene Schwangere vertreten. Daraus resultierten drei Gerichtsfälle vor Bundesgerichten der untersten Stufe.

:Geburtsrecht
Wer in den USA zur Welt kommt, erhält automatisch die Staatsbürgerschaft des Landes. Nicht mehr lange, wenn es nach Donald Trump geht.
Dreimal verlor die Trump-Regierung schon bei den ersten Schritten. Ein Richter nannte die Anordnung „offensichtlich verfassungswidrig“, alle drei Richter blockierten deren Anwendung – im ganzen Land. Vor dem Supreme Court versuchte nun die Trump-Regierung, die richterlichen Verfügungen für ungültig erklären zu lassen oder zumindest einzuschränken. „Universelle einstweilige Verfügungen überschreiten die richterliche Befugnis“, sagte John Sauer, der Jurist der Regierung.
Trumps Vertreter stellte wie sein Chef in Abrede, dass die US-Verfassung ein Bürgerrecht für alle bei Geburt auf amerikanischem Boden vorsieht. Bei der Verfassungsänderung von 1868 sei es vor allem darum gegangen, nach dem Ende der Sklaverei den Kindern von zuvor versklavten Afroamerikanern den Zugang zur US-amerikanischen Nationalität zu gewähren. Einwanderer ohne Papiere sowie Touristen seien damals nicht mitgemeint gewesen. Diese Lesart der rechtlichen Situation wird allerdings nur von einer Minderheit von Verfassungs- und Einwanderungsrechtlern geteilt.
Um das Bürgerrecht ging es indes bei der Verhandlung vom Donnerstag nur am Rand. Im Zentrum stand die Debatte über die Zulässigkeit einstweiliger Verfügungen. Dennoch schien bei der Anhörung deutlich durch, dass eine Mehrzahl der Richter Donald Trumps Argumentation zum Bürgerrecht sehr kritisch beurteilt. Überraschend für viele Beobachter ließ etwa der konservative Richter Neil Gorsuch, 2017 von Trump eingesetzt, wenig Zweifel daran, dass er kaum gewillt ist, das Bürgerrecht bei Geburt infrage zu stellen.
Vor schwerwiegenden Konsequenzen warnte etwa die liberale Richterin Sonia Sotomayor, von Barack Obama berufen. In den USA geborene Kinder wären möglicherweise staatenlos, weil auch die Herkunftsländer ihrer Eltern keine Pässe ausstellen. Bei der Verhandlung wurden auch Bedenken laut, eine Systemänderung könnte im Extremfall dazu führen, dass ganze Generationen von Familien im Einwanderungsland USA das Bürgerrecht verlieren würden.
Trumps Juristen konnten allerdings auch einen Erfolg verbuchen. Die Mehrheit der Richter teilt die Bedenken über die Flut von einstweiligen Verfügungen, die in den vergangenen Jahrzehnten auf unteren Gerichtsebenen ergingen. Oftmals verbieten diese Verfügungen die vorläufige Anwendung von Erlassen des Präsidenten, während die Gerichte in langwierigen Verfahren ihr inhaltliches Urteil erarbeiten. Das Thema beschäftigt sowohl linke als auch rechte Juristen und Politiker.
Beide Parteien betreiben Gerichts-Shopping
Die Republikaner versuchten mit Klagen Barack Obama auszubremsen, die Demokraten Donald Trump, die Republikaner Joe Biden, nun wieder die Demokraten Trump 2.0. Dabei nutzten beide Seiten das Gerichts-Shopping: Sie reichten Beschwerden in einem Bezirk ein, in dem sie mit wohlgesinnten Richtern rechnen konnten. Gegen Trump etwa ging im linken San Francisco eine Flut von Beschwerden ein, in Bidens Zeit waren eher die Gerichte in einem konservativen Bezirk in Texas beliebt.
Jetzt, in Trumps zweiter Amtszeit, sind die Hauptstadt Washington, der liberale Staat Washington an der Westküste sowie das linke Maryland beliebte Orte für Klagen gegen die Trump-Regierung, von denen es Dutzende gibt. Unter anderem, weil Trump Zehntausende Bundesangestellte entlassen und Milliarden Dollar an Bundeszuschüssen blockieren wollte. Zahlreiche dieser Vorhaben wurden von Richtern gestoppt oder gebremst. Verfechter einer starken Exekutive führen ins Feld, der demokratisch gewählte Präsident müsse möglichst großen Handlungsspielraum haben. Richter könnten darum die Anwendung seiner Erlasse nicht pauschal und schon gar nicht landesweit vorläufig untersagen, sondern höchstens in Einzelfällen.
Kritiker wenden ein, dass die Regierung ihre Macht missbrauchen könnte und es logistisch undenkbar sei, dass jeder einzelne von Regierungsanordnungen Betroffene eine eigene Klage einreichen müsse. Dieser Punkt ist umso bedeutsamer geworden, als die Trump-Regierung Mitte März mit mehreren Flugzeugen eilig mehr als 200 Migranten nach El Salvador ausflog, obwohl ein Richter mündlich einen Stopp der Aktion verhängt hatte. Mindestens einen der Männer, Kilmar Abrego Garcia, müsste die Regierung in die USA zurückholen, weil er kein ordentliches Verfahren erhalten hatte, wie der Supreme Court entschied. Bisher weigert sich Trump, der Aufforderung nachzukommen.
Im Bürgerrechtsfall zeichnete sich am Donnerstag ab, dass die meisten Obersten Richter Sympathien dafür hegen, die Verfügungsgewalt der unteren Bundesrichter einzuschränken. Wie sie das zu tun gedenken, ist allerdings offen. Die Mehrheit der Richter wirkte wenig erpicht darauf, Trump noch mehr zu entfesseln, zumal sein Jurist partout nicht versprechen wollte, die Regierung werde sämtliche einstweiligen Verfügungen respektieren.
Ein Urteil ist frühestens in einigen Wochen zu erwarten. Und viele Beobachter halten es für möglich, dass dieses Urteil keine neuen Grundsätze schafft, sondern das Unbehagen des Supreme Court zum Ausdruck bringt, die einstweiligen Verfügungen in den drei Fällen mit dem Bürgerrecht aber aufrechterhält. Die Frage dahinter, ob Trumps Angriff auf das Bürgerrecht gegen die Verfassung verstößt, wird das Gericht wohl ebenfalls irgendwann erreichen.