Update fürs Haftungsrecht: Wenn der Algorithmus Schäden verursacht

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Wer in Deutschland durch ein defektes Gerät zu Schaden kommt, kann sich auf ein bewährtes Prinzip verlassen: Das Produkthaftungsgesetz sorgt dafür, dass Hersteller für Fehler ihrer Waren geradestehen müssen – unabhängig von einem individuellen Verschulden. Doch was für ein defektes Bügeleisen oder eine fehlerhafte Bremsanlage in der analogen Welt reibungslos funktioniert, stößt im digitalen Zeitalter an Grenzen. Besonders bei Software und Künstlicher Intelligenz (KI) herrscht oft eine rechtliche Grauzone. Das Bundeskabinett hat daher am Mittwoch einen Gesetzentwurf zur Modernisierung des Produkthaftungsrechts auf den Weg gebracht, der diese Lücken schließen und die Regeln fit fürs 21. Jahrhundert machen soll.

Kern der Reform ist die weitreichende Gleichstellung von Software mit herkömmlichen Sachgütern. Die Bundesregierung reagiert damit auf die Realität vernetzter Systeme.

Wenn eine fehlerhafte Software in einem autonomen Fahrzeug zu einem Unfall führt oder ein KI-gesteuertes Assistenzsystem eine Fehlentscheidung mit Sach- oder Personenschäden trifft, greift künftig unmittelbar das Produkthaftungsrecht. Das stärkt die Position von Verbrauchern: Es soll künftig keine Rolle mehr spielen, ob der Schaden durch ein physisches Bauteil oder eine fehlerhafte Codezeile verursacht wurde.

Eine wichtige Ausnahme: Open-Source-Software, die außerhalb einer kommerziellen Geschäftstätigkeit entwickelt und bereitgestellt wird, bleibt von der strengen Produkthaftung ausgenommen. Das soll verhindern, dass Innovationen in der Community durch unkalkulierbare Haftungsrisiken erstickt werden.

Die Novelle folgt dabei den Vorgaben der überarbeiteten EU-Produkthaftungsrichtlinie, die bis Ende 2026 in nationales Recht umgesetzt werden muss. Der deutsche Gesetzgeber soll die Vorgaben laut dem Regierungsentwurf weitgehend übernehmen. Das soll europaweit für einheitliche Standards sorgen, stellt Unternehmen aber auch vor Herausforderungen.

Neben der reinen Software-Haftung nimmt der Gesetzentwurf die moderne Kreislaufwirtschaft und globale Lieferketten in den Fokus. Wer Produkte durch „Upcycling“ oder massive Umbauten wesentlich verändert, gilt künftig selbst als Hersteller und übernimmt damit die volle Haftungsverantwortung.

Gleichzeitig soll das Vorhaben eine Lücke beim Online-Handel schließen: Sitzt der eigentliche Produzent außerhalb der EU, können künftig auch Importeure, Fulfilment-Dienstleister und Online-Plattformen wie Amazon in die Pflicht genommen werden. Letzteres gilt vor allem, wenn der Marktplatz für den Kunden wie der eigentliche Anbieter wirkt. Damit soll verhindert werden, dass Geschädigte bei Produkten aus Drittstaaten das Nachsehen haben.

Besonders relevant für die Praxis ist die geplante Beweiserleichterung. Angesichts der Komplexität moderner IT-Systeme ist es für Einzelpersonen oft unmöglich, den exakten technischen Fehler und dessen Kausalität nachzuweisen. Das soll sich ändern: Wenn ein Mangel feststeht und ein Schaden typischerweise daraus resultiert, wird der ursächliche Zusammenhang künftig vermutet. Zudem können Gerichte Unternehmen dazu verpflichten, Beweismittel offenzulegen, wobei der Schutz von Geschäftsgeheimnissen gewahrt bleiben muss.

Das Ziel der Reform ist klar: Die rechtliche Sicherheit soll mit der technologischen Entwicklung Schritt halten. Vor allem Hersteller von Hochrisiko-KI und komplexen Softwarelösungen müssen ihre Qualitätssicherung wohl nochmals verschärfen.

Aus der Wirtschaft gab es viel Kritik am Referentenentwurf des Justizressorts. Die Verbände ZVEI und VDMA sahen vor allem in der neuen Offenlegungspflicht von Beweismitteln eine Gefahr für sensible Verfahren und technisches Know-how, da Quellcodes und Konstruktionsdaten offenbart werden müssten.

Der DIHK und der Deutsche Anwaltverein (DAV) bemängelten die faktische Beweislastumkehr bei komplexen Produkten, die vom bewährten Zivilprozessrecht abweiche und Firmen unkalkulierbaren Risiken aussetze. Hersteller von Medizintechnik warnten vor einer Klagewelle, der Bitkom rügte unklare Haftungszeiträume bei Software-Updates.

Generell befürchten Beobachter steigende Versicherungsprämien und bürokratischen Mehraufwand, der über eine reine EU-Umsetzung hinausgehe und besonders bei KI-Anwendungen die Experimentierfreude deutscher Unternehmen ersticken könnte.

Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) hält dagegen: „Wir reagieren darauf, dass Produkte immer komplizierter werden: Wir wollen es Betroffenen erleichtern, einen Schaden bei fehlerhaften Produkten nachzuweisen.“ Mit der Entscheidung des Kabinetts ist der Weg frei für das parlamentarische Verfahren, damit die neuen Regeln rechtzeitig innerhalb der EU-Frist in Kraft treten können.

(wpl)

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