Unterdrückung im Iran: Sündenböcke eines gescheiterten Systems

vor 10 Stunden 2

Nach dem Waffenstillstand mit Israel erklärt Irans Regime Bahai und Juden im Land zu Verrätern und geht mit neuer Härte gegen sie vor. Ohne Beweise, aber mit klarem Ziel.

3. Juli 2025, 20:29 Uhr

2 Kommentare
 "Wir wussten immer, dass wir im Fall des Kriegs gegen Israel zur Zielscheibe werden."
Ein Mitglied der jüdischen Gemeinde des Iran sagt: "Wir wussten immer, dass wir im Fall des Kriegs gegen Israel zur Zielscheibe werden." © Abedin Taherkenareh/​epa

Nach dem Waffenstillstand mit Israel verstärkt das Regime der Islamischen Republik Iran die Repressionen im eigenen Land. Die Machthaber richten ihren Unterdrückungsapparat gezielt gegen zwei religiöse Minderheiten: die Bahai und die jüdische Gemeinde. Der Vorwurf in den meisten Fällen lautet: Spionage für Israel. Beweise legen die Sicherheitsbehörden nicht vor. Was bleibt, ist eine politische Botschaft nach innen: Schuld an der Niederlage sind nicht die Machthaber, sondern angebliche Verräter. 

In den Tagen nach der Waffenruhe wurden allein in zwei Städten – Teheran und Schiras – mindestens 35 jüdische Bürgerinnen und Bürger von den Sicherheitsbehörden zu Verhören vorgeladen. Einige Menschenrechtsaktivisten sprechen sogar von 50 Fällen. Laut der auf Menschenrechtsverletzungen spezialisierten Nachrichtenagentur Human Rights Activists (HRANA) wurden Frauen nach den Verhören wieder freigelassen, während männliche Gemeindemitglieder inhaftiert wurden. In mehreren Fällen haben die Geheimdienste Wohnungen durchsucht, Laptops und Smartphones beschlagnahmt, um sich Einblick in private Nachrichten und Chats zu verschaffen. 

Ein Mitglied der jüdischen Gemeinde, das aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte, sagt im Gespräch mit der ZEIT: "Wir wussten immer, dass wir im Fall des Kriegs gegen Israel zur Zielscheibe werden." Die jüdische Gemeinde im Iran zählt heute weniger als 10.000 Menschen – viele von ihnen haben Verwandte in Israel. Offenbar reicht allein dieser familiäre Kontakt den iranischen Sicherheitsbehörden aus, um jüdischen Bürgerinnen und Bürgern des Iran Spionage für Israel vorzuwerfen.

Demonstrative Treue schützt nicht vor Verfolgung

Unter den Festgenommenen befinden sich Berichten zufolge auch Rabbiner sowie Mitglieder des Vorstands des Tehran Jewish Committee, der jüdischen Gemeinde Teherans. Dabei präsentiert sich die Gemeinde auf ihrer eigenen Website als Unterstützerin der iranischen Staatsideologie: Die Seite ist voll mit Statements und Meldungen über den vermeintlichen "Sieg der Islamischen Republik gegen Israel". In einem Beitrag wird etwa über eine Veranstaltung in einer Teheraner Synagoge berichtet, bei der die Gemeinde ihre "Solidarität mit den heiligen Visionen der Islamischen Republik" zum Ausdruck gebracht habe. Bereits am 13. Juni, dem ersten Tag des Krieges, hatte der Gemeindevorstand die "Aggression des zionistischen Regimes gegen die heilige Erde der Islamischen Republik" verurteilt.

"Die jüdische Gemeinde musste in den Jahren nach der Islamischen Revolution stets ihre Loyalität gegenüber dem Regime demonstrieren, um in Ruhe gelassen zu werden", sagt ein Gemeindemitglied. Und trotzdem: "Wir haben immer gewusst, dass wir im Falle eines Krieges den Preis zahlen werden." Diese Sorge ist für die Jüdinnen und Juden im Iran seit Jahrzehnten Teil ihres Alltags. Nun scheint sie Realität geworden zu sein.

Innerhalb der jüdischen Gemeinde herrscht derzeit eine Atmosphäre der Angst und Ungewissheit. Viele fühlen sich an die Jahre unmittelbar nach der Revolution erinnert, als zahlreiche jüdische Bürgerinnen und Bürger verhaftet, verschleppt oder hingerichtet wurden – eine genaue Zahl existiert bis heute nicht. Aus Angst vor noch mehr Verfolgung spricht die Community selten über Repressionen, die sie erlebt. Das macht es extrem schwierig, verlässliche Informationen zu erhalten.

Mehrere Menschenrechtsorganisationen berichten über Warnnachrichten, die jüdische Gemeindevorstände an die Mitglieder verschickt haben. Darin werde vor Kontakten ins Ausland gewarnt, ebenso vor öffentlichen Äußerungen zum Krieg mit Israel. Solche Maßnahmen werden von vielen Gemeindemitgliedern als Ergebnis des wachsenden Drucks auf die eigenen religiösen Vertreter verstanden. Die Einschüchterung zeigt Wirkung: Für Journalisten und Menschenrechtsaktivisten ist es nahezu unmöglich geworden, Zugang zur Community zu bekommen.

Gesamten Artikel lesen