Unter Polizeischutz: Die Kneipe „Bajszel“ wird von Judenhassern belagert

vor 18 Stunden 4

Im Schaufenster hängen Plakate gegen Antisemitismus. An den Wänden: Fotos der von der Hamas verschleppten israelischen Geiseln. Veranstaltungen zu jüdischem Leben, Feminismus und Rassismus gehören zum festen Programm. Das Bajszel in Berlin-Neukölln ist mehr als eine Kneipe – es ist ein politischer Ort: links, israelsolidarisch und engagiert. Und seit Monaten steht es unter Polizeischutz.

Eine Serie von Angriffen

„Wir machen Veranstaltungen, wir bieten Raum für Debatten – aber ich frage mich wirklich: Wie kann es sein, dass wir unter Polizeischutz stehen müssen?“ An­drea Reinhardt, eine der drei Betreiberinnen, stellt diese Frage bei einem Treffen in dieser Woche nicht nur den Gästen, sondern auch der Politik. Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, und Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel sind ins Bajszel gekommen. Ihr Besuch ist eine Geste der Solidarität – aber auch eine Reaktion auf eine Serie von Angriffen, die das Lokal seit Monaten treffen.

Das „Bajszel“ muss von der Polizei vor permanenten Angriffen geschützt werden.Das „Bajszel“ muss von der Polizei vor permanenten Angriffen geschützt werden.dpa

Die Liste der Vorfälle ist lang: Pflastersteine flogen in die Fensterscheibe – die Scheibe zerbrach nicht, weil sie aus Sicherheitsglas besteht. Schlösser werden verklebt, im September gab es einen Brandanschlag, während einer der Betreiber und Gäste noch in der Kneipe waren. Immer häufiger würden sie als „jüdische Kindermörder“ beschimpft. Unbekannte betreten den Laden und rufen Parolen wie „Fuck Israel“, „Viva Hamas“, „Tod den Juden“, „Destroy Israel“. Auch wer sich dem Lokal nur nähere, werde angefeindet.

Islamisten, Maoisten und Neonazis

Die Belagerung der Kneipe hat sich auf die Straße verlagert – direkt vor den Eingang. Nach Angaben der Betreiber versammeln sich dort regelmäßig Islamisten, Maoisten und Neonazis. Gruppen, die in ihrer Ideologie kaum unterschiedlicher sein könnten und sich hier mit einem gemeinsamen Feindbild begegnen. „Man denkt, dass alle Gruppen nicht miteinander können – aber Judenhass verbindet“, sagt Alexander Carstiuc, einer der Betreiber. Für ihn steht fest: „Das sind keine propalästinensischen Aktivisten, sondern Hamas-Unterstützer.“ Ihr Hass, sagt er, richte sich nicht nur gegen Jüdinnen und Juden, sondern auch gegen queere Menschen und säkulare Muslime – genau jene, die im Bajszel ihren Schutzraum gefunden hätten.

Immer wieder tauchen rote Dreiecke an der Fensterscheibe auf – ein Symbol, das die Terrororganisation Hamas einsetzt, um ihre Feinde und potentielle Anschlagsorte zu markieren. „Da soll niemand sagen, das sei nur eine Schmiererei“, sagt Felix Klein während seines Besuchs. Das Symbol sei inzwischen verboten worden. Doch das allein reiche nicht. Klein fordert mehr Urteile zum Thema Antisemitismus und eine bessere Schulung von Polizei und Justiz: „Sie müssen Antisemitismus erkennen, benennen und verfolgen können.“

Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD, l,) und der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein mit den Betreibern Alexander Carstiuc, Andrea Reinhardt und Alexander Renner im „Bajszel“.Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD, l,) und der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein mit den Betreibern Alexander Carstiuc, Andrea Reinhardt und Alexander Renner im „Bajszel“.dpa

Bevor Klein das Bajszel betritt, ist er gemeinsam mit Hikel durch die Sonnenallee gegangen. Was er dort gesehen habe, sei „unerträglich“. Für ihn ist klar: Hass beginnt mit Worten. Und Worte führen zu Taten – wie im Fall des jüdischen Studenten Lahav Shapira, der brutal zusammengeschlagen wurde. Der Täter wurde inzwischen zu drei Jahren Haft verurteilt. Dass eine Kneipe wie das Bajszel – die sich lediglich solidarisch mit Jüdinnen und Juden zeigt – zur Zielscheibe wird, sei nicht hinnehmbar. „Wer das Bajszel angreift, greift unsere offene Gesellschaft an“, sagt Klein. Natürlich dürfe man über die Politik Israels, auch im Gazastreifen, kritisch diskutieren und die Frage nach der Verhältnismäßigkeit stellen. Aber es könne nicht sein, dass Menschen, die sich gegen Antisemitismus engagieren, für das Handeln der israelischen Regierung verantwortlich gemacht werden. Zum Abschluss seines Besuchs zieht Klein einen Vergleich: Die Kneipe in der Sonnenallee erinnere ihn an das unbeugsame gallische Dorf aus den Asterix-Comics. „Aufgeben ist keine Option“, sagt er.

Auch Martin Hikel spricht Klartext. Seit dem 7. Oktober 2023 sei Neukölln ein „Hotspot für antisemitische Angriffe“. Sympathie für die Hamas werde offen geäußert – etwa durch das Verteilen von Süßigkeiten. Antisemitische Narrative fänden in bestimmten Milieus Anklang, oft unter dem Deckmantel der Israelkritik. Das Bezirksamt habe Akteure aus der arabischen Community unterstützt – unter anderem eine arabische Schule, die sich öffentlich gegen den Hamas-Terror positionierte und dafür selbst unter Druck geriet. Moscheeverbände habe man ebenfalls angesprochen. Doch ihre Antwort sei „sehr verhalten“ gewesen, sagt Hikel. „Sie wollten sich nicht beteiligen, da es aus ihrer Sicht zu politisch war.“

„Bei diesem Thema brechen alle Dämme“

Die Betreiber des Bajszel zeigen sich ratlos. Veranstaltungen zu Themen wie Rassismus oder Feminismus verlaufen ohne Zwischenfälle, beim Thema Antisemitismus hingegen benötigen sie regelmäßig einen Sicherheitsdienst. „Bei diesem Thema brechen alle Dämme“, heißt es. Der psychische Druck ist hoch. Eine jüdische Mitarbeiterin hat aufgrund der Bedrohungssituation gekündigt. Angst wollen die Betreiber dennoch nicht zeigen. „Wir verstecken uns nicht“, sagen sie. Sie hätten lediglich ein „erhöhtes Aufmerksamkeitslevel“, das Personal indes belaste das Kesseltreiben sehr.

Zu den Angriffen kommen gezielte Versuche, dem Betrieb wirtschaftlich zu schaden. Schlechte Google-Bewertungen häufen sich. Das Gesundheitsamt wurde anonym informiert. „In den Rezensionen heißt es, unser Bier sei warm – was absolut nicht sein kann“, sagt Andrea Reinhard und verfällt dabei in großes Gelächter.

 das rote Dreieck ist ein Zeichen der Hamas.An der Fassade des „Bajszel“: das rote Dreieck ist ein Zeichen der Hamas.dpa

Es sei ihnen wichtig zu betonen, dass das Bajszel nicht nur israelsolidarisch ist. Auch Palästinenser fänden hier Raum – insbesondere jene, die selbst unter dem Terror der Hamas leiden. So fand wenige Tage vor dem Besuch eine Veranstaltung mit palästinensischen Geflüchteten aus Gaza statt, die vor der Hamas geflohen sind. Auch an sie richteten sich die Anfeindungen – und ihnen werde in Neukölln si­gna­li­siert: „Ihr habt hier keinen Platz.“

Die Betreiber betonen, dass der Antisemitismus in Neukölln nicht erst mit dem 7. Oktober begonnen habe. „In Neukölln dominiert ein antisemitisches Grundklima, das es auch vor dem 7. Oktober gab“, sagt Carstiuc. „Seit Jahren warnen wir davor und betonen, dass jüdische Menschen hier Angst haben.“ Der Terrorangriff der Hamas habe jedoch eine deutliche Radikalisierung bewirkt. Seitdem „dominieren Hamas- und Intifada-Symbolik die Straßen“. Es habe gezielte Angriffe auf Hebräisch sprechende Menschen gegeben, dazu Auftritte offener Terror-Unterstützer.

Dass der Antisemitismus in Berlin nicht auf Neukölln beschränkt ist, betonen alle Gäste an diesem Nachmittag. Auch in anderen Bezirken komme es regelmäßig zu Übergriffen. Doch Pauschalisierungen seien, so Klein, nicht hilfreich. „Es bringt nichts zu sagen: In der Lausitz sitzen nur Rechtsextreme – genau solche Zuschreibungen helfen auch in Neukölln nicht weiter.“ Was jedoch bleibt: eine Kneipe, die nicht weicht. Und eine Frage, die alles zusammenfasst – und bis heute keine befriedigende Antwort bekommen hat: „Wie kann es sein, dass wir unter Polizeischutz stehen?“

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