Umweltschutz: Operation mundtot

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Nächsten Dienstag wird Aktenzeichen 30-2019-CV-00180 wieder aufgerufen, in einem kleinen Distriktgericht in North Dakota. Und wenn es ganz dumm läuft für Greenpeace, bedeutet es den Untergang der Organisation in den USA. Nicht weniger steht auf dem Spiel, und das ist womöglich auch Sinn und Zweck der Übung. Ein Geschworenengericht hat Greenpeace zur Zahlung von aberwitzigen 660 Millionen Dollar Strafe und Schadenersatz verurteilt, am Dienstag könnte der Richter das Urteil bestätigen. Es wäre eine Summe, die Greenpeace kaum wird aufbringen können.

Seit Jahrzehnten schon feiern Umweltverbände Erfolge vor Gericht. Sie fechten Genehmigungen an, stellen Planungen infrage, pochen auf die Einhaltung geltender Gesetze – und bekommen häufig recht. Doch nun drehen zunehmend Unternehmen den Spieß herum. Sie verklagen Umweltschützer, die sich gegen ihre Projekte stellen, und ziehen sie in langwierige, oft teure Prozesse. „Primär kennen wir solche Klagen aus den USA“, sagt die Hamburger Umweltrechtlerin Roda Verheyen, die für Umweltverbände sowohl als Klägerin als auch als Verteidigerin unterwegs ist. „Aber es schwappt über nach Europa.“

Die Methode hat längst einen Namen: Slapp – „Strategic lawsuits against public participation“

Der Fall in den USA liegt schon Jahre zurück. 2016 wehrten sich Indigene in North Dakota gegen den Bau einer knapp 1900 Kilometer langen Ölleitung, der Dakota Access Pipeline. Sie sollte quer durch das Stammesgebiet der Standing Rock Sioux führen, und die wehrten sich. Es gab Blockaden hier und Tränengas dort. Unterstützt wurde der Widerstand von Tausenden anderen Indigenen – und Greenpeace. 2019 reichte Energy Transfer, einer der Konzerne hinter der Pipeline, Klage bei dem Distriktgericht ein: Greenpeace habe das Unternehmen verleumdet und die Proteste aufgewiegelt. Mit „zig Millionen Dollars“ an Spenden seien die Taschen der Organisation gefüllt gewesen, heißt es in der Klageschrift.

Die Geschworenen in Morton County, gleich am Ort des Geschehens, überzeugte das. „So sieht Gerechtigkeit in Amerika aus“, jubelte anschließend der republikanische Senator von North Dakota, Kevin Cramer. Greenpeace und seine „Umwelt-Buddies“ ereile die gerechte Strafe.

Derlei Gerechtigkeit hat längst einen Namen: Slapp. Die Abkürzung Slapp („Strategic lawsuits against public participation“) steht für Verfahren, die öffentliche Beteiligung vereiteln und Organisationen einschüchtern sollen – mundtot machen. Zwischen 2011 und 2023 zählt die Anti-Slapp-Koalition (Case) in ihrem jüngsten Report 1049 solcher Verfahren, mit einem starken Anstieg seit 2016.

Auch in Rumänien sollen Umweltschützer in den Ruin getrieben werden

Der jüngste Fall spielt sich in Rumänien ab, wo vorige Woche der staatliche Gaskonzern Romgaz Klage einreichte – ebenfalls gegen Greenpeace. Wieder geht es um ein Großprojekt, diesmal das geplante Gasfeld „Neptun Deep“ im Schwarzen Meer. Greenpeace hatte gegen das Projekt, das Romgaz zusammen mit einer Tochter der österreichischen OMV vorantreibt, geklagt, war aber unterlegen. Und nun schlägt Romgaz zurück.

„Im Rahmen eines missbräuchlichen Vorgehens“ wolle Greenpeace das Gasprojekt vor Gericht „um jeden Preis verhindern“, heißt es in der Klageschrift. Allerdings fehlten der Organisation die Mittel, um es mit milliardenschweren Vorhaben aufzunehmen. Auch Ungereimtheiten bei Bankkonten und Steuernummern wollen die Kläger entdeckt haben. Weshalb Romgaz nun nicht weniger fordert als die Auflösung von Greenpeace Rumänien. Die Kosten dieses Rechtsstreits soll Greenpeace aber noch tragen.

Auch Romgaz hat Verbündete in der Politik, allen voran Rumäniens Energieminister Sebastian Burduja. Der hatte sich schon im März öffentlich über die „missbräuchliche Belästigung“ durch Klagen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) beschwert. „Genug ist genug“, twitterte er seinerzeit, man werde sich gegen „böswillige Aktionen“ zur Wehr setzen. Zumal ihm sein Ministerpräsident die Devise „Drill, Sebi, drill“ mit auf den Weg gegeben habe. Sebi Burduja soll bohren, nach Gas.

Der Minister stehe auch hinter der Attacke auf Greenpeace, vermutet Vlad Catuna, Kampagnen-Chef der Organisation in Rumänien. Andere NGOs seien so schon in die Knie gezwungen worden – weil sie Gerichtskosten nicht zahlen konnten. „Das ist ein wachsender Trend in Rumänien“, sagt Catuna. „Unternehmen treiben die Gerichtskosten hoch und versuchen dann, die klagenden NGOs zu schließen.“ Auch Greenpeace Rumänien muss 60 000 Euro an die Gegenseite zahlen, weil es ein erstes Verfahren gegen Neptun Deep verloren hatte.

Eine EU-Richtlinie soll potenzielle Opfer schützen

Einen solchen Trend beobachtet auch Umweltanwältin Roda Verheyen. „Wir erleben auch bei normalen umweltbezogenen Klagen, dass die Gegenseite versucht, die Kosten hochzujubeln, etwa durch Gutachten“, sagt sie. Klägern solle das Angst machen. „Aus rechtsstaatlicher Sicht ist das wirklich beunruhigend.“ Sollte obendrein ein Urteil wie jenes in den USA bestätigt werden, könne dies das Ende der Meinungsfreiheit für kritische, gemeinnützige Organisationen dort bedeuten.

Zumindest in der EU gibt es aber eine Antwort darauf, die Anti-Slapp-Richtlinie. Sie soll derartige Klagen erschweren und die potenziellen Opfer schützen. Erlassen im vorigen Jahr, soll sie auch in Deutschland rasch umgesetzt werden. „Die Arbeiten daran haben begonnen“, heißt es aus dem Bundesjustizministerium. Ein Entwurf solle bald vorgelegt werden.

Ein erster Test auf die Richtlinie läuft schon. Vor einem niederländischen Gericht hat Greenpeace International, Sitz Amsterdam, Klage eingereicht – gegen die US-Pipelinefirma Energy Transfer. Sie soll den Schaden ersetzen, der Greenpeace durch die Dakota-Klage in den USA entstanden ist. Schließlich gehe es um Gerechtigkeit, sagt Martin Kaiser, Greenpeace-Chef in Deutschland. „Wer glaubt, uns mit Klagen stoppen zu können, hat die Kraft unserer Bewegung unterschätzt.“

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