Die kurzfristige Verschiebung der Wahl von drei Richtern für das Bundesverfassungsgericht im Bundestag schlägt weiter hohe Wellen im politischen Berlin. Noch ist unklar, wie und wann es in dieser Frage weitergeht.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier machte deutlich, dass er die schwarz-rote Koalition wegen ihrer Entscheidung für „beschädigt“ hält. Während die Opposition auf eine schnelle Lösung dringt, sieht Kanzler Friedrich Merz (CDU) keine Eile für einen neuen Termin. Die SPD will unbedingt an der von ihr vorgeschlagenen Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf festhalten.
Die Staatsrechtlerin wies nun Darstellungen zurück, sie sei „ultralinks“ oder „linksradikal“. Solche Einstufungen seien diffamierend und realitätsfern, heißt es dem Deutschlandfunk (DLF) zufolge in einer Erklärung der Professorin der Universität Potsdam. Auch das ZDF berichtet darüber. Die Berichterstattung über sie und ihre Standpunkte sei in Teilen der Medien „unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent“ gewesen, so Frauke Brosius-Gersdorf demnach.
In Zeiten, in denen Politikerinnen und Politiker für sich zu Recht stärkeren Schutz vor verbalen Angriffen fordern (....), befremden anonyme Äußerungen aus den Reihen politisch verantwortlicher Funktionsträger des Staates.
Frauke Brosius-Gersdorf, Staatsrechtlerin
Am Freitag waren die Wahlen zweier neuer Richterinnen und eines Richters für Karlsruhe kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestags abgesetzt worden. Der Druck gegen Brosius-Gersdorf war in der Union zu groß geworden. Die Fraktionsführung konnte die mit dem Koalitionspartner verabredete Unterstützung nicht mehr garantieren.
Brosius-Gersdorf schreibt den Berichten zufolge, es sei etwa die Behauptung verunglimpfend, sie habe sich für eine Legalisierung und eine Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt ausgesprochen.
Auch ihre Positionen zu einem Kopftuchverbot und zu Paritätsmodellen für die Wahl des Bundestags seien häufig falsch dargestellt worden, betont die 54-Jährige demnach. Eine eingehende Befassung mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit zeige vielmehr, dass ihre Positionen im Ganzen betrachtet der demokratischen Mitte zuzuordnen seien.
Vorwürfe macht Brosius-Gersdorf demnach auch einigen – namentlich nicht genannten – Politikern, die sich an der Kritik an ihrer Person beteiligt hätten. Anonym an „medialer Kritik bis hin zu Schmähungen anderer mitzuwirken und gleichzeitig für sich selbst Schmähungsschutz zu fordern“, stehe im Widerspruch, schreibt Brosius-Gersdorf.
„In Zeiten, in denen Politikerinnen und Politiker für sich zu Recht stärkeren Schutz vor verbalen Angriffen fordern (....), befremden anonyme Äußerungen aus den Reihen politisch verantwortlicher Funktionsträger des Staates“, schreibt die Professorin demnach. In der Stellungnahme äußert sie sich den Berichten zufolge nicht zu ihrer Kandidatur.
CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn gab inzwischen eine Mitverantwortung für die missglückte Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht zu. Es bestehe aber keine Dringlichkeit, weil das Verfassungsgericht voll arbeitsfähig sei. „Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam mit der SPD eine Lösung finden werden“, fügte Spahn hinzu. CSU-Chef Markus Söder legte der SPD einen Austausch der Kandidatin nahe. „Auf der umstrittenen Kandidatur liegt und lag kein Segen“, sagte Söder.
Auch rund 300 Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler kritisieren den öffentlichen Umgang mit Brosius-Gersdorf. In einem offenen Brief, über den zuerst das Rechtsmagazin „Legal Tribune Online“ berichtete, heißt es demnach, dass man dagegen nachdrücklich protestiere.
Im Richterwahlausschuss eine Kandidatin zunächst zu bestätigen, um dann gegenüber ideologisierten Lobbygruppen und mit Unwahrheiten und Diffamierungen gespickten Kampagnen zurückzurudern, zeuge zumindest von fehlendem politischem Rückgrat und mangelnder interner Vorbereitung.
Brosius-Gersdorf sei eine hoch angesehene Staatsrechtslehrerin. Das sei in Fachkreisen völlig unstreitig. Alle Äußerungen, die ihre wissenschaftliche Reputation infrage stellten, seien schlicht unzutreffend und unsachlich.