Ihr junges Gesicht ist gezeichnet von einer großen Ernsthaftigkeit. An eine schnelle Lösung durch Donald Trump und sein Gerede von einem Frieden innerhalb von 24 Stunden nach Amtsantritt glaubt sie nicht. „Wir haben schon so viele Menschen verloren. Was für ein Frieden soll das sein?“
Da widerspricht ihre Freundin Vlada sanft. Aber die Europäische Union und die NATO, sagt sie, ebenfalls sechzehn, die könnten die Ukraine doch nach den Gebietsabtritten schützen. In ihren Augen stehen Tränen. „Mein Bruder ist bei der Sturm-Brigade, er kämpft in Kursk.“ Er sehe jeden Tag, wie seine Freunde sterben. Manchmal hört Vlada wochenlang nichts von ihm, weiß nicht, ob er noch lebt. Jede Art des Friedens würde sie von ihrer Angst befreien.
„Die Ukraine braucht Atomwaffen“
Und Maksym? „Bei einem Kriegsende müsste beschlossen werden, dass die jetzt von Russland besetzten Gebiete irgendwann zurückgegeben werden“, sagt der Siebzehnjährige. Er glaubt nicht an einen vollständigen Schutz durch die EU und die NATO. Die Ukraine müsse so stark bewaffnet werden, dass es kein Putin dieser Welt mehr wage, anzugreifen. „Das Budapester Memorandum war ein Fehler. Die Ukraine braucht wieder Atomwaffen.“
Ein Café in Berlin Friedrichshain. Schneegestöber, dämmriges Licht. Hinter den Jugendlichen liegt ein langer Tag. Olivia, Vlada und Maksym gehen seit dem Frühjahr 2022, nachdem sie vor Putins Angriffskrieg nach Deutschland geflohen sind, auf ein Gymnasium in der Nähe. Sie kommen aus Kiew, Salischtschyky und Odessa, wo sie ein normales Leben lebten, Schule, Freunde, abhängen, was Jugendliche eben so tun. Die Welt schien ihnen zu Füßen zu liegen.
Jetzt sind sie hier, und die Welt scheint sehr weit weg. Ja, sie leben in Sicherheit, aber sie leben getrennt von Menschen, die sie lieben. Vlada wohnt bei ihrer Tante, Olivia lebt mit ihrer Mutter am Rande Berlins, „beinahe schon in Brandenburg“, sagt sie und klingt tapfer. Und Maksym lebt mit seinem Vater und dessen Frau zusammen. In letzter Sekunde hat der Vater es noch aus der Heimat geschafft. Kehrte er zurück, dürfte er sein Land nicht wieder verlassen. Die drei Jugendlichen haben sich inzwischen in ihrem neuen Leben eingerichtet, sie sagen, sie kämen zurecht mit der Sehnsucht, dem Heimatverlust, der Angst. Mal besser, mal schlechter. Den Krieg verfolgen sie hauptsächlich über Telegram, sie wissen, wo russische Raketen fliegen, wo Menschen gestorben und Bomben eingeschlagen sind. Und wo die Ukrainer Erfolge feiern wie im russischen Engels, wo bei einem Drohnenangriff ein Munitionslager der Russen getroffen wurde, in dem Lenkbomben und Raketen lagerten.
Ständige Angst um die Liebsten
Wenn in Kiew der Luftalarm ertönt, bekommt Olivia eine Nachricht auf ihr Handy – und sofort quält sie die Frage: Geht es meinem Vater gut? Vorletzten Sommer hat sie ihn in Kiew besucht, zehn Tage lang waren Vater und Tochter zusammen. Sie sei glücklich gewesen, sagt sie, trotz des Krieges.
Maksym Oliynichenko, der für seine Worte mit seinem vollen Namen stehen möchte, hat etwas Verschmitztes. Er ist ein freundlicher junger Mann, der seinen Schulkameradinnen nie ins Wort fällt. Putin und Selenskyj werden niemals untereinander einen Frieden verhandeln, sondern allein Trump werde über das Schicksal der Ukraine bestimmen. Die drei diskutieren über Trumps Ego, seine Wankelmütigkeit, seinen Größenwahn. Sie lachen, als das Gespräch auf Trumps Chefpropagandisten Elon Musk kommt, als wüssten sie noch nicht so recht, wie ernst sie den Milliardär nehmen sollen. „Krass, wie so ein kluger Mann, der Tesla erfunden hat, so abdrehen kann“, sagt Olivia.
Untereinander sprechen sie ukrainisch, nur Maksym spricht russisch, aber die Mädchen antworten ihm auf Ukrainisch. Das Deutsch der drei ist für die kurze Zeit ihres Aufenthalts schon erstaunlich gut, nur das Lesen von Texten in der Schule sei manchmal schwierig. Auch nehme nicht jeder Lehrer Rücksicht darauf, dass ihr Tempo langsamer sei als das der Muttersprachler. Aber sie seien sehr freundlich aufgenommen worden, wirklich sehr freundlich!
Und doch, sagt Olivia, spüre sie auch eine mentalitätsbedingte Distanz. Das Fehlen gemeinsamer Erinnerungen an Fernsehserien aus der Kindheit, an gelesene Bücher und ukrainisches Essen, das sie liebe, wiege schwer. Auch ein anderes Verständnis von Humor trenne sie von ihren Mitschülern. Olivia hat zudem mitunter Falschheit unter deutschen Mädchen erlebt, als sei die Freundlichkeit lediglich eine Maske, die sie ablegen, sobald man ihnen den Rücken kehrt. Manchmal fragt sie sich: Lästern sie auch über mich? Schulische Alltagssorgen, über die die drei Freunde häufig sprechen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich ihr Leben nicht besonders von dem anderer Jugendlicher: Die Schule mit ihren Herausforderungen, der Klatsch und Tratsch, die Lehrer, die nerven, all das beschäftigt sie und lenkt davon ab, dass der russische Angriffskrieg ihnen eine unbeschwerte Jugend geraubt hat.
Soll die AfD verboten werden?
Und das Vermissen? Maksym spielt mit seinen Freunden in der Ukraine abends oft Computerspiele, Multiplayer-Games wie „Counterstrike“, wenigstens etwas, sagt er, um gemeinsam Spaß zu haben. Vlada telefoniert jeden Abend per Facetime mit ihren Eltern. Olivia sagt: „In der Schule konzentriere ich mich auf den Unterricht.“ Vor Unterrichtsbeginn und danach verfolgt sie die Nachrichten aus der Ukraine, aber in der Schule versucht sie, Abstand zu halten. Sie fürchtet, bei einer schlimmen Nachricht weinen zu müssen, das wäre ihr vor den deutschen Mitschülern peinlich.
Nicht immer ist dieser Abstand möglich, denn die Politik spielt thematisch bisweilen in den Unterricht hinein. Neulich besuchte Olivia einen Kurs, in dem die Frage diskutiert wurde: Soll die AfD verboten werden? Olivia sagt: „Ich finde, nein. Das Gedankengut, das die AfD verbreitet, ist ja trotzdem in vielen Köpfen. Es verschwindet nicht, wenn man die Partei verbietet.“ In jedem Land, sagt Maksym, gebe es eben verrückte Leute. Von ressentimentgeladenen AfD-Sätzen werden sie in der Schule indes verschont. Aber natürlich gibt es Mitschüler, die gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sind. Die glauben, dass die NATO Putin derart in die Enge getrieben hat, dass er die Ukraine angreifen musste. Olivia zuckt mit den Schultern. Was soll sie sagen? Sie akzeptiere andere Meinungen, halte sich aber meistens zurück. Nur in der Kantine bei der Essensausgabe, als eine Mitarbeiterin aus der Slowakei, mit der sie ins Gespräch kam, sagte, die Ukraine gehöre doch zu Russland, da widersprach sie vehement.
Was halten sie vom Bündnis Sahra Wagenknecht? „Wagenknecht ist korrupt“, sagt Maksym, sie werde von Putin und Gazprom bezahlt. Olivia nickt.
Anders als Olivia und Maksym liest Vlada keine deutschen Nachrichten. Die Schule, die Sorge um den Bruder an der Front, die fernen Eltern – verständlich, dass ihr die Kraft dazu fehlt, sich mit den ausländerfeindlichen Parolen der AfD zu beschäftigen. Sie erzählt, dass ihre Tante Hoffnungen in die CDU und Friedrich Merz setze, sie hat ihr von wirtschaftlich und politisch guten Jahren mit Angela Merkel erzählt. „Also CDU“, sagt Vlada beinahe schüchtern. Auch Maksym ist für Merz. Olaf Scholz’ Zögerlichkeit bei der Unterstützung der Ukraine vergleicht er mit jener der amerikanischen Demokraten. Scholz hat gerade verkündet, ukrainischen Waffenlieferungen in Höhe von drei Milliarden Euro nur dann zuzustimmen, wenn die Schuldenbremse dafür ausgesetzt wird. Maksym hat den Eindruck, Scholz warte einfach nur, dass andere handeln – oder Putin vielleicht tot umfalle.
Selbst wenn der Krieg in ihrer Heimat wirklich bald vorbei wäre, möchte weder Maksym noch Vlada oder Olivia zurück in die Ukraine gehen, jedenfalls nicht dauerhaft. Studieren und arbeiten wollen sie lieber in Deutschland, hier seien die Gehälter höher und die Chancen größer. Und doch spürt man beim Abschied eine Sehnsucht nach zu Hause, die höher ist als alle Vernunft und stärker als alle Berechnungen.