Ukraine: Selenskij baut die Regierung um

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Die Ukraine steht vor einer lange erwarteten Regierungsumbildung. Seit einem Jahr wurde spekuliert, dass Andrij Jermak, Stabschef von Präsident Wolodimir Selenskij und zweitmächtigster Mann der Ukraine, den seit Jahren regierenden Ministerpräsidenten Denys Schmyhal gegen einen ihm enger verbundenen Politiker austauschen wollte. Jetzt ist es so weit: Präsident Selenskij gab am Montag in den sozialen Medien bekannt, er habe sich mit der für Wirtschaft zuständigen Vize-Ministerpräsidentin Julia Sviridenko getroffen und sie gebeten, Regierungschefin zu werden.

„Wir starten, das System der Exekutivmacht in der Ukraine zu transformieren. Ich habe Julia Sviridenko vorgeschlagen, die Regierung der Ukraine zu führen und ihre Arbeit deutlich zu verbessern. Ich freue mich auf das Aktionsprogramm, das die neue Regierung in naher Zukunft präsentieren wird“, schrieb der Präsident.

Julia Sviridenko ist bislang Vizeministerpräsidentin.
Julia Sviridenko ist bislang Vizeministerpräsidentin. (Foto: GENYA SAVILOV/AFP)

Formell steht es überhaupt nicht in Selenskijs Macht, einen Ministerpräsidenten zu entlassen und eine neue Regierung zu ernennen. Dieses Recht hat in der Ukraine das Parlament, das allerdings mit 231 von 450 Sitzen von der Selenskij-Partei „Diener des Volkes“ dominiert wird. Für eine neue Regierungsbildung muss Ministerpräsident Schmyhal formell seinen Rücktritt einreichen, den das Parlament annimmt oder ablehnt. Dass Schmyhal diesen Schritt tut, gilt als Formsache nach einem Treffen mit dem Präsidenten am 13. Juli, bei dem Selenskij zufolge „strategische Schritte zur Transformation des Systems der ausführenden Macht“ - im Klartext: Schmyhals Rauswurf als Regierungschef - diskutiert wurden.

Siridenko hat mit den USA das umstrittene Mineral- und Investitionsabkommen ausgehandelt

Nimmt das Parlament den Rücktritt an – auch das gilt als Formsache –,  hat das Parlament 30 Tage, um über einen neuen Ministerpräsidenten abzustimmen. Dass dies die 39 Jahre alte Sviridenko wird, die vor ihrem Wechsel in die Regierung im November 2021 knapp ein Jahr für Wirtschaft zuständige Stellvertreterin von Andrij Jermak in der Präsidialverwaltung war, gilt ebenfalls nur als Formsache.

Wirtschaftsfragen sind für die faktisch bankrotte, von ausländischen Krediten abhängige Ukraine, neben Waffenlieferungen das wichtigste Thema. Sviridenko handelte in den vergangenen Monaten ein umstrittenes Mineral- und Investitionsabkommen mit den USA aus, das US-Präsident Donald Trump zur Bedingung für weitere Hilfe an Kiew gemacht hatte.

Laut dem oppositionellen Parlamentarier Jaroslav Schelesnik, der die Regierungsumbildung bereits Mitte Juni treffend vorausgesagt hatte, wird Noch-Premier Schmyhal möglicherweise neuer Verteidigungsminister. Der bisherige, oft kritisierte Amtsinhalber Rustam Umerow wird Schelesniak und anderen ukrainischen Medien zufolge neuer ukrainischer Botschafter in den USA. Umerow schaffte es offenbar nicht, das immer noch weitgehend undurchsichtige Verteidigungsministerium zu reformieren und hielt sich öffentlich stark zurück.

Auch der Chef des Militätgeheimdienstes stand zur Disposition

Eine andere Personalie ging indes bisher nicht nach dem Willen Jermaks aus: Berüchtigt ist seine Fehde mit General Kyrylo Budanow, dem auch öffentlich oft mit Interviews hervortretenden Chef des einflussreichen und für spektakuläre Aktionen gegen die Russen verantwortlichen Militärgeheimdienstes HUR. Dem englischen Economist zufolge soll die US-Regierung Kiew gewarnt haben, Budanow nicht zu entlassen.

Neben spektakulären Erfolgen trat Budanow auch mit spektakulären Misserfolgen hervor: etwa mit seiner Ankündigung von 2023, die Ukraine werde schon bald die von Russland besetzte Krim zurückerobern. Seine Anhänger allerdings preisen Budanov als einen der wenigen, der es in der zunehmend durch Ja-Sager bestimmten Präsidialverwaltung noch wagt, Präsident Selenskij Dinge zu sagen, die dieser nicht hören will, so das englische Magazin.

Laut Berichten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und anderer Quellen könnte eine neue Regierung bereits in der kommenden Woche stehen. Der Einfluss von Andrij Jermak, der diplomatischen Quellen zufolge bei ausländischen Gesprächspartnern wegen seiner belehrenden Art zunehmend unbeliebt sein soll, wäre damit in der Ukraine auf dem Höhepunkt.

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