Das hat sich ja wunderbar gefügt: Nur einen Tag bevor Maybrit Illner ihre Gäste begrüßte, war bekannt geworden, dass der amerikanische Präsident neuerdings mit „schlechten Gefühlen“ auf das geplante Treffen mit Wladimir Putin blickt, dessen freundschaftliche Nähe er zuvor immer wieder gerühmt hatte. Das Illner-Thema am Donnerstagabend, „Trump und Europa gegen Putin – hat die Ukraine wieder eine Chance?“ hätte also viel aktueller nicht ausfallen können.
Zu Beginn führte die Gastgeberin ihre Zuschauer durch das bisherige Hin und Her zwischen dem amerikanischen und dem russischen Präsidenten. Schien es lange Zeit so, als könnte Trump die Aufopferung der Ukraine gar nicht schnell genug vonstattengehen, hatte sich die Stimmung zwischen den beiden Staatschefs seit ihrem Treffen in Alaska getrübt. Putin soll wohl endlose historische Vorträge gehalten haben und auf Trumps Vorschläge, wie ein Frieden zu erreichen sei, nicht eingegangen sein.
Zurück in die gute alte transatlantische Zeit?
„Gehen Trump und Europa plötzlich wieder gemeinsam gegen Putin?“ fragte Maybrit Illner vor diesem Hintergrund und bekam einen (trotz New Yorker Stau) gut gelaunten Andrij Melnyk zu Gesicht, der dem deutschen Fernsehpublikum zu Beginn des Krieges als ukrainischer Botschafter in Deutschland bekannt geworden ist und inzwischen als Ständiger Vertreter der Ukraine bei den Vereinten Nationen arbeitet. Er freute sich darüber, dass Trump „endlich nach langem Warten auch die Peitsche herausgeholt hat“, statt nur mit dem Zuckerbrot zu locken.
Andrij Melnyk war aus New York zugeschaltet.ZDF/Jule RoehrKurz zuvor hatten die Amerikaner angekündigt, die großen russischen Ölfirmen mit Sanktionen zu belegen; außerdem hatte auch die Europäische Union sich auf ein weiteres Sanktionspaket geeinigt. Der Westen nun endlich wieder geeint? Auch Norbert Röttgen, als CDU-Bundestagsabgeordneter Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, war erleichtert über die scheinbare Wiederherstellung der alten transatlantischen Zustände: Es handle sich um eine „gewaltige Maßnahme“, zum ersten Mal komme „der Westen aus dem Reaktionsmodus in einen Aktionsmodus hinein“.
Ähnlich sah das im Prinzip auch Hannah Neumann, Sprecherin für Außen- und Sicherheitspolitik der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament. Zwischen ihr und Röttgen passte außenpolitisch an diesem Abend kein Blatt Papier. Trump wolle nicht hinter den Europäern zurückbleiben, man habe Trump und die USA „ein Stück weit“ mitgezogen. Auch in der amerikanischen Regierung gebe es noch Amtsträger mit außenpolitischem Handwerkszeug und Sachverstand.
Den Preis haben die Ukrainer zu entrichten
Es brauchte Frederik Pleitgen, Auslandskorrespondent für CNN, und Reinhard Merkel, der bis zu seiner Emeritierung Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg lehrte, um diese transatlantische Illusion zumindest ein wenig zu zerstreuen. Pleitgen, gefragt, ob nun eine „neue Ära das Umgangs von Trump mit der Ukraine“ angebrochen sei, blieb skeptisch: Auch jetzt wieder habe der amerikanische Präsident ein Hintertürchen offengelassen, um die Sanktionen möglichst schnell zurücknehmen zu können. „So etwas kann sich schnell in Luft auflösen“.
Endlose Geschichtslektionen, keine Einigung: US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin am 15. August 2025 in Anchorage, Alaska.AFPReinhard Merkel, der mit seiner auf das Argument und die Sache konzentrierten Art der Gesprächsführung positiv auffiel, hatte grundsätzlichere Einwände. Natürlich könne die Ukraine aus einer Position der Stärke besser verhandeln, doch der Preis dafür hätten eben die Ukrainer zu entrichten. Es sei gut, dass die Ereignisse nun auf Verhandlungen zuliefen – doch als er zu Beginn des Krieges in der F.A.Z. geschrieben habe, dass auch die Ukraine zu Verhandlungen bereit sein müsse, hätte er sich dafür einen Shitstorm eingefangen.
Auffällig war, wie sehr sich die Sendung um das Innenleben Putins, aber vor allem Trumps drehte. Das Gespräch kreiste immer wieder um die Frage, wie die beiden Herren in Washington und Moskau auf die Welt blickten, was sie wollten oder nicht wollten, wie man ihnen entgegenkommen oder nicht entgegenkommen müsse. Dieser Umstand ist aber nicht nur ein Problem der Sendung: Darin spiegelt sich die geopolitische Situation der Europäer insgesamt.
Europa bleibt machtloser Beobachter
Ohne amerikanische Waffensysteme, die man der Ukraine liefern kann, käme man nicht besonders weit. Auch bei den Verhandlungen ist man bisher weitgehend außen vor. Mögliche Sicherheitsgarantien, die im Zuge eines Waffenstillstandes und Friedensvertrages zu leisten wären, sind ganz ohne Beteiligung aus Washington kaum vorstellbar; um den nuklearen Schutzschirm gar nicht zu erwähnen.
„Man respektiert uns nicht als geopolitische Großmacht“ – so brachte Andrij Melnyk die Sachlage auf den Punkt. Auch Maybrit Illner bekam keine wirkliche Antwort, als sie fragte, wo genau denn die große europäische Alternative zum Geschacher zwischen Washington und Moskau bleibe. Das hat nur wenig mit mangelnder Initiative zu tun, aber sehr viel mit mangelnden Fähigkeiten.
Es ist nur konsequent, dass sich ein Kontinent, der zwar ökonomisch stark, aber militärisch abhängig ist, darauf beschränken muss, die Gefühlsregungen Trumps zu beobachten und ansonsten das Beste zu hoffen. Als die römischen Kaiser der Republik ein Ende gesetzt hatten, wurde die ständige Beobachtung des höfischen Privatlebens zum letzten verbliebenen Politikum.
Immerhin in Sachen Finanzhilfe scheint sich in Europa etwas zu tun. Es sieht so aus, da waren sich die Gäste in der Runde einig, als würde die EU eine Möglichkeit finden, das russische Zentralbankvermögen völkerrechtskonform als Sicherheit für die ukrainischen Kredite zu hinterlegen – für den Fall, dass Russland sich weigert (was als gesichert gelten darf), Reparationszahlungen zu leisten.
Steht das Völkerrecht etwa dem Frieden im Weg?
Als es schließlich noch einmal um Völkerrechts- und Machtfragen ging, geriet einiges durcheinander. Reinhard Merkel bestand zu Recht darauf, die Zwangsvollstreckung möglicher Reparationszahlungen sei im Sinne des Völkerrechts, müsse dann jedoch auch in Bezug auf die USA konsequent angewendet werden. Andernfalls erscheine der Westen aus dem Blickwinkel etwa des Südens als Macht mit „gespaltener Zunge“. Andere Länder würden die Bigotterie, die sich etwa im Irak gezeigt habe, wahrnehmen.
Gleichzeitig verwies er aber darauf, dass das Ziel einer „Wiederherstellung des Völkerrechts“ einem Friedensschluss im Weg stehe, weil mit dieser Maximalforderung, die die Rückgabe sämtlicher ukrainischer Territorien bedeutet, einschließlich der Krim, Putin gar nicht an den Verhandlungstisch zu bewegen sei. Und wenn man nicht verhandeln wolle oder könne, dann müsse man versuchen zu gewinnen – doch „eine Atomkraft kann man nicht besiegen, ohne den Preis eines nuklearen Konflikts“ zu entrichten.
Macht scheint Recht zu schlagen, woraus Röttgen Merkel gleich einen Vorwurf machte, dessen Berechtigung ersterer wiederum gleich eingestand. Doch wäre es im Sinne des Völkerrechts, einen Krieg – mit all dem Leid, das er mit sich führt – fortzusetzen, weil man hinsichtlich des Territoriums zu keinerlei Kompromissen bereit ist? Und wie könnten solche Kompromisse überhaupt aussehen? Wer, außer Trump und Putin, könnte sie erwirken?
Am Ende – und auch das ist völlig konsequent – widmete sich die Runde nicht diesen Fragen, sondern abermals der Staatsmännerpsychologie, dem Verhältnis von Xi Jinping, dem chinesischen Präsidenten, und Putin. Ein Europa, das weder unparteiisch für das Völkerrecht eintritt, noch militärisch und strategisch in der Lage ist, es durchzusetzen, muss wohl auf dem Beobachterstandpunkt stehenbleiben.

vor 19 Stunden
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