TV-Kritik Maybrit Illner: Europa braucht Plan für Trumps Präsidentschaft

vor 22 Stunden 1

Bye, bye, Völkerrecht: Donald Trump greift nach Kanada, Panama, Grönland. Ein Zusammenschnitt mit maximaler Dramatik und dem üblichen Best-of des Schreckens leitete die Runde ein, die bei Maybrit Illner über Trumps anstehende zweite Präsidentschaft reden sollte. Das Tänzchen von Elon Musk bei der Trump-Jubelveranstaltung. Die Pressekonferenz, auf der der Wahlsieger nicht deutlich ausschließen wollte, dass er sich Grönland, Panama oder Kanada auch mit militärischer Gewalt einverleiben könnte. Ja, gruselig, und die Dramatik kommt vom Diskussionsgegenstand selbst.

Aber: Nicht alles, was Trump sagt, wird er auch in die Tat umsetzen, das lehrt seine erste Amtszeit. So ordnete es auch Elmar Theveßen ein, der aus Washington zugeschaltete ZDF-Studioleiter. Trump agiere häufig so: Maximale Forderungen raushauen und dann sehen, was umsetzbar sei, meinte auch Wolfgang Ischinger, bis 2022 Chef der Münchener Sicherheitskonferenz und ehemaliger Botschafter in den USA. Mit ihnen diskutierten die grüne Bundestagsabgeordnete Ricarda Lang, ihr CDU-Kollege Norbert Röttgen und der Investor Achim Berg, den Illner als gut vernetzt in der globalen Tech-Welt vorstellte.

Außenpolitischer Schnellerfolg

Etwas konsterniert schien man schon, dass Trump nach der langwierigen Vorarbeit der Regierung von Joe Biden nun vermutlich seinen ersten außenpolitischen Erfolg verbuchen kann. Ischinger jedenfalls hielt es für wahrscheinlich, dass sowohl die Hamas als auch der israelische MInisterpräsident Benjamin Netanjahu mit ihrem Abkommen auch auf Druck von Trump reagieren. Der hatte das Losbrechen einer „Hölle“ für Gaza angedroht, wenn nicht alle israelischen Geiseln bis zu seiner Vereidigung am kommenden Montag freikämen. Nun werden wohl zunächst drei Gekidnappte zu ihren Familien zurückkehren und dann in einem mehrwöchigen Prozess alle anderen, die noch am Leben sind. Auch so ein Beispiel für Trumps Verhaltensmuster, mit maximaler Rhetorik zumindest Teilerfolge rauszuholen, meinte Röttgen.

Was man in Sachen Gaza begrüßen mag, könnte in der Ukraine bedeuten, dass Trump mit Wladimir Putin über den Kopf der Europäer hinweg einen „Deal“ aushandelt, der aus europäischer Sicht eine Niederlage mit zukünftigem Gefahrenpotential wäre: „Frieden“ gegen Aufgabe eines Teils der Ukraine. Vor dem Hintergrund dieses Szenarios ergab Ischingers Einlassung Sinn, dass es sich bei der Aufregung um Trumps Drohgebärden Richtung Kanada oder Grönland im Moment aus deutscher Sicht eigentlich um nachrangige Themen handele. Gut für Schlagzeilen, aber eben auch ablenkend von dem real existierenden brutalen Angriffskrieg, den die Russen jeden Tag führen.

Während Ischinger beschwichtigte, dass Trump Putin die Ukraine schon nicht „zum Fraß vorwerfen“ werde, schätzte Lang die Lage bedrohlicher ein: Trump sei das Recht der Ukrainer auf nationale Selbstbestimmung völlig egal. Generell sollten die Europäer Trump aber nicht mit dauernder Empörung auf jeden rhetorischen Gipfel folgen, da waren sich die Diskutanten weitgehend einig. Was es nun brauche, sei eine gemeinsame europäische Außenpolitik, meinte Röttgen. Seine Prognose: „Trump wird uns Europäer verändern.“

Warnung vor den „Broligarchen“

Weiter ging es mit dem zweiten großen Thema aus deutscher Sicht: dem dreisten Eingriff von Elon Musk in den Wahlkampf, seiner Agitation für die AfD, die „Systemsprenger“ seien wie die MAGA-Bewegung in den USA – so formulierte es Theveßen. Auch hier standen diejenigen, die in Musks unverhülltem Machtstreben eine globale Gefahr sehen, zurückhaltenderen Stimmen gegenüber. Viele amerikanische Analysten warnen seit Jahren: Musk, die mit ihm vernetzten Tech-Millionäre und ein Kreis pseudo-intellektueller Einflüsterer von Curtis Yarvin bis Costin Alamariu verfolgen eine alternative Vision für die Menschheit. Manche beschreiben diese als „Techno-Autoritarismus“.

Elmar Theveßen, Norbert Röttgen und Ricarda Lang haben diese Analysen gelesen – Ziel sei nichts anderes als eine „Broligarchie“, so Lang. Musk und Trump wollten das System sprengen, eine „neue Weltordnung“ schaffen, sagte auch Theveßen. Das bedeute, so waren sich alle drei einig, letztlich die Abschaffung der Demokratie.

Ischinger und Berg schienen auch das eher für Alarmismus zu halten. Ja, es gebe diese Gedankenspiele, doch die amerikanische Demokratie könne sich auch als stärker erweisen. Und die Konfliktlinien zwischen Trump und Musk seien ja jetzt schon deutlich, gab Ischinger zu bedenken. Panik sei fehl am Platz. Besonders Berg ließ auch Sympathien für Musk und Co. durchblicken, die immerhin risikobereite Unternehmer seien, während es den deutschen Entscheidern daran doch oft fehle. Gebremst würden sie häufig durch Bedenkenträgerei und – man wartete schon auf den Hinweis – durch „woke“. An der Stelle blicke er besonders sie an, sagte Berg an Lang gerichtet – und fing sich dadurch die Retourkutsche ein, er solle „woke“ doch einmal genauer definieren. Fehlanzeige – wie so oft kam nur die vage Klage dabei heraus, man müsse heutzutage ja „auf jedes Wort aufpassen“.

Einig war sich die Runde bei allen Differenzen, dass Europa für Trumps zweite Amtszeit einen Plan brauche. Die Europäer müssten eine gemeinsame Stimme und letztlich auch eine außenpolitische Strategie abseits des Nationalen finden. Doch wie soll das gehen, wenn manche europäische Regierungen rechts sind und sich Trump andienen, wie das jüngst Italiens Premierministerin Giorgia Meloni in Mar-a-Lago tat? Eine der zahlreichen offenen Fragen.

Die Runde bot so einen gründlichen Überblick über die vielen Probleme, die auf Deutschland, Europa und vor allem auf die Ukraine mit Trump im Weißen Haus zukommen – Zuschauer, die sich bislang keine Sorgen machten, tun es vermutlich jetzt.

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