TV-Kritik: Markus Lanz: Warum sind Sie kein politisches Neutrum, Frau Klöckner?

vor 1 Tag 2

Und immer wieder dieses „Kannitverstan“ von Markus Lanz. Ich kann Sie nicht verstehen, Frau Klöckner, sagte Lanz, Sie sind doch Bundestagspräsidentin, sind also Amtsinhaberin der politischen Neutralität, wie können Sie da überhaupt noch nicht-neutrale Positionen einnehmen; wie eine anlassbezogene Regenbogenfahne auf dem Reichstag verbieten; wie Abgeordnete mit politischen Pullovern aus dem Plenarsaal werfen; wie eine Art politisches Redeverbot für die Kirchen erlassen; wie Veranstaltungen „ihrer“ rheinland-pfälzischen CDU mit einem rechtsgerichteten Medienunternehmer als Zentralgestalt besuchen; wie Blockbildungen von Medien anhand von „Nius“ und „taz“ illustrieren wollen, und sei es nur methodisch respektive methodologisch?

Lanz, dergestalt „all in“ gebend (alles in einen Topf) und damit zu viel auf einmal selbst für ihn, den pressierenden Dazwischengeher, Lanz also gibt zu verstehen: kannitverstan, kannitverstan. (Mit im Nichtverstehen eingeschlossener, hier aufploppender Rollenproblematik seiner selbst: kann ich, die öffentlich-rechtliche Figur Lanz, überhaupt noch als Privatmann Lanz sprechen, Putin gut finden beispielsweise?)

Klöckners Erklärungsversuche

Lieber Herr Lanz, so immer wieder die Klöckner begütigend, erklärend, sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassend, verstehen Sie doch bitte dieses hier: Die Rollenproblematik, unter der Sie leiden, ist keine solche. Vor allem sollten Sie sie bitte nicht anderen aufzwingen! Rollen lassen sich trennen, vertrauen Sie mir! Ich habe den Bundestag qua präsidialer Amtsausübung in seiner Gesamtheit zu vertreten. Mein Präsidentenamt steht insofern unter einer Neutralitätspflicht, als ich auf Einhaltung der parlamentarischen Regeln ohne Ansehen der Parteien zu achten habe. Ich selbst, lieber Herr Lanz (dem Nichtverstehenden beim ansatzweisen Dochverstehen geduldig wie ausfallsweise furios auf die Sprünge helfen wollend), ich selbst bin jedoch, das verstehen Sie richtig, kein politisches Neutrum, bin frei gewählte CDU-Abgeordnete in Rheinland-Pfalz und deshalb befugt und befähigt, selbst auch politische Meinungen haben und äußern zu dürfen, dabei aber Putin nicht gut zu finden beispielsweise.

Lanz: Selbst kein politisches Neutrum? Aber Neutralitätspflicht qua präsidialem Amt? Kannitverstan, kannitverstan.

Die hohe Kunst der Rollentrennung

Klöckner versucht es im folgenden noch einmal andersherum, führt aus, dass ihre unverstandenen Einlassungen sich zum einen dem Neutralitätsgebot ihres präsidialen Amtes verdanken (Durchsetzung von selbst gegebenen Regeln des Hohen Hauses, die es entweder zu befolgen oder zu ändern gelte), zum anderen (Achtung, Herr Lanz: Rollentrennung!) ihrer politischen Willensbildung als MdB, als Abgeordnete eines deutschen Parlaments, mit Direktmandat für den Wahlkreis Bad Kreuznach in Rheinland-Pfalz.

Lanz: Bad Kreuznach? So weit weg von Berlin und doch so nahe? Kannitverstan, kannitverstan.

Kulturkämpferischer Elan

Was Klöckner ein ums andere Mal einen Vorteil gewinnen, einen Punkt machen lässt in diesem Gespräch mit Markus Lanz, ist ihre Freiheit des Ansetzens. Sie setzt bei der Durchleuchtung von Problemen grundsätzlich nicht da an, wo Medien erwartungsgemäß ansetzen (schon gar nicht in ihrer Gesamtheit, also: wo alle Medien ansetzen), sondern setzt sich mit wahlweise diebischen Spaß oder kulturkämpferischem Elan über deren Ansetzungspunkte hinweg, dabei von der Voraussetzung ausgehend, wie kontingent, wie zufällig mediale Ansetzungspunkte sind, wie bereitwillig sie sich den Gesetzen der digitalen Aufgipfelung verdanken, wie sie im Zweifel (und das heißt vielfach: in Zeitnot) die Probleme so sehen, dass blasenförmige Gefolgschaften bei der Stange gehalten werden und die Welt sich im Modus von Zuspitzung und Verkürzung immer wieder neu erledigen lässt. In der akademischen Philosophie läuft das unter der Überschrift „Kampf um Anerkennung“, wiewohl im politisch-medialen Komplex – auch das für Klöckner eine burschikos vertretene Selbstverständlichkeit – nicht Kämpfe geführt, sondern Lethargien (akademisch gesprochen: Eigenlogiken) ins Kraut schießen.

Klöckner möchte in ihrem demokratietheoretischen Selbstverständnis (und darin dann rollenübergreifend) so ansetzen, dass sie gesitteten Streit freisetzt, persönliche Herabwürdigungen unterbindet. Einigkeit sei außer im Prozeduralen nie eine vorherrschende Stärke der liberalen Demokratie gewesen. Deshalb darf sie nach eigener Einschätzung bei den Kirchen so ansetzen, dass Klöckner gefragt, was sich gegen deren Mitgliederschwund tun lässt, antwortet: Sie, die Kirchen sollten ihr Spezifisches ausstellen, statt nur lauter gute Sachen zu predigen, die auch von anderen NGOs vertreten werden. Als Lanz (Herrje) erwartungsgemäß mit einem Kannitverstan dazwischengeht (dürfen denn Kirchen nicht politisch werden, Frau Klöckner?), pariert Klöckner als Kirchenmitglied, welches sie trotz Bundestagspräsidentin zu bleiben gedenkt: Doch, doch, Herr Lanz, Sie hören nicht zu, die Kirchen dürfen auch politisch werden. Da hatte Lanz sich aber schon auf sein Kannitverstan festgelegt, zu spät, zu spät.

Und was hat der Moderator für ein moralisches Aufhebens darum gemacht (er kriegte sich gar nicht mehr ein), dass Klöckner vor Monaten einen Post geteilt hatte, in dem unter Einbeziehung des Bundeskanzlers und einer Fernsehkollegin der Begriff des „Fertigmachens“ vorkam. Nun wurde Kannitverstan dramatisiert. Lanz: Uns kann es doch nicht ums Fertigmachen von Menschen gehen, Frau Klöckner, nie und nimmer kann es darum gehen. Und siehe, Julia Klöckner stimmte zu: Nein, Herr Lanz, darum kann es tatsächlich nicht gehen, freilich sprach sie dies mit dem Zusatz: Sie haben wieder nicht genau hingeschaut.

Die performative Bereicherung

Julia Klöckner ist eine performative Bereicherung unserer Demokratie, in welcher Rolle auch immer. Statt einem Konformismus des „Geht gar nicht!“ zu huldigen, ist ihr Habitus auf „Doch, seht her: das geht!“ gerichtet. Die Freiheit des Ansetzens genau dort, wo andere nicht ansetzen, ist unmittelbar demokratiefördernd. Die zweithöchste Amtsinhaberin im Staate argumentiert noch jede Gegenmeinung nieder (macht sie aber nicht fertig, nein, das tut sie nicht). Dabei unberirrt auch ihre Fehlbarkeit als Stärke ausgebend dort, wo sie sich nicht übersehen lässt.

Proportional gesehen nimmt sich Julia Klöckner nicht mehr und schon gar nicht abwegigere Freiheiten des Ansetzens heraus als ihre Kritiker. In der Talkshow sagte sie sinngemäß, sie wolle dafür sorgen, dass Demokratie eine Zumutung bleibe. Man muss das richtig verstehen – so wie Lanz es diesmal zu verstehen schien, der da keine Einwände erhob.

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