"Tiktok beutet Kinder aus": 14 US-Staaten verklagen Tiktok

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"Tiktok hat wissentlich unsere jungen Menschen ausgebeutet. Für Profit", sagt Kaliforniens Justizminister und Generalstaatsanwalt Rob Bonta, "Es ist wirklich so simpel. (...) Abhängigkeit Jugendlicher ist ein wichtiger und zentraler Pfeiler des Geschäftsmodells Tiktoks." Gleichzeitig führe der Videodienst die Öffentlichkeit in die Irre, indem er Maßnahmen zum Schutz Jugendlicher verspreche, wobei es sich bestenfalls um leere Gesten handle. All das wollen Kalifornien, zwölf weitere US-Bundesstaaten und der Hauptstadtbezirk District of Columbia gerichtlich verbieten lassen.

Sie bringen daher, jeweils vor einem Gericht ihres Gebietes, Klagen gegen Tiktok ein. Dabei berufen sie sich auf ihr jeweiliges Staatenrecht. Typischerweise sind das Gesetze gegen unlauteren Wettbewerb sowie irreführende Darstellung von Produkten und Dienstleistungen. Die Klagen sind Ausfluss einer zweieinhalb Jahre laufenden Untersuchung der Geschäftspraktiken Tiktoks und wie sich diese auf die geistige und körperliche Gesundheit junger Menschen sowie deren Wohlbefinden auswirken. In den Verfahren sollen insbesondere interne Unterlagen der beklagten Firma sowie von Tiktok selbst durchgeführte Studien über die Auswirkungen verschiedener Funktionen des Videodienstes als Beweismittel dienen.

Beantragt werden gerichtliche Unterlassungsverfügungen, Abschöpfung mit illegalen Methoden erzielter Gewinne, Geldstrafen und Ersatz von Verfahrenskosten. Tiktok stellt die Vorwürfe in einer Stellungnahme gegenüber heise online in Abrede. "Wir glauben, dass viele der Behauptungen ungenau und irreführend sind. Wir sind stolz auf und weiterhin verpflichtet zu der Arbeit, die wir zum Schutz von Teenagern geleistet haben, und werden unser Produkt weiter updaten und verbessern." Tiktok biete "robusten" Schutz, lösche Konten von Nutzern die als zu jung vermutet werden.

Außerdem gäbe es voreingestellte Nutzungsbeschränkungen. Diese lösen bei den Behörden allerdings besonderen Unmut aus: Zwar stoppt Tiktok nach 60 Minuten durchgehender Nutzung, doch können Kinder dann einfach ihr Passwort eingeben, um weiterzumachen. Zudem könnten sie die Zeit zwischen den Hinweisen auf über zwei Stunden ausdehnen.

"Sicherheit und Wohlbefinden speziell von Teenagers ist eine Top-Priorität für Tiktok", hat dessen Chef Shou Zi Chew vor dem US-Parlament ausgesagt. Bonta hält das für schale Worte: "Tiktok hatte die ganze Zeit seine eigenen internen Informationen und eigenes Wissen, dass es schädlich ist", zeiht der Minister, "Und es nutzt diese Features und Designs, die jungen Menschen schaden, weiter." Tiktok nutze unterentwickelte Selbstkontrolle und Hirnfunktionen junger Menschen bewusst aus, um Häufigkeit und Dauer deren Tiktok-Nutzung zu maximieren.

"Der Algorithmus ist dazu gebaut, Kinder anzulocken und sie so lange wie möglich (bei der Stange zu halten). Unglücklicherweise, tragischerweise funktioniert das", so Bonta. Gleichzeitig führe Tiktok die Öffentlichkeit in die Irre: "Sie haben sich mehr gesorgt über den Eindruck, dass sie etwas für junge Menschen tun, als tatsächlich etwas zum Schutz junger Menschen zu unternehmen", sagte Bonta bei einer Rede am Dienstag.

Im Zentrum des Grolls stehen acht "manipulative Funktionen, die die psychologische Verwundbarkeit junger Menschen ausnutzen", allen voran sogenannte Schönheitsfilter. Diese würden unrealistische Schönheitsideale verfestigen, das Selbstbewusstsein der Nutzer untergraben, Körperbildstörungen hervorrufen und sogar körperliche und psychische Krankheitsbilder auslösen.

Ununterbrochenes Abspielen neuer Videos schalte die Selbstkontrolle Jugendlicher, auszusteigen, ab. Im Unterschied zu anderen Videodiensten erlaube Tiktok nicht, das Autoplay abzuschalten. Auch das unendlich mögliche Scrollen verleite dazu, mehr Zeit mit Tiktok zu verbringen. Denn damit entfalle der natürliche Endpunkt einer Sitzung, die Wahrnehmung der verstrichenen Zeit werde verzerrt.

Zwei weitere Angebote Tiktoks, Tiktok Live und Tiktok Stories, würden gezielt die Angst jugendlicher Ausnützen, etwas verpassen zu können (Fear of Missing Out, FOMO). Diese Inhalte sind nämlich nur als Livestream oder kurze Zeit abrufbar.

Gelinge es einem Kind, sich doch loszueisen, löse Tiktok automatische Mitteilungen aus, um das Kind zurückzuholen. Diese Push Notifications erfolgten "zu allen Zeiten, Tag und Nacht, wenn sie in der Schule sind, wenn sie schlaffen sollten…" kritisiert Bonta. Schließlich sind da noch "Likes" und Kommentare. Damit beute Tiktok den Wunsch junger Menschen aus, geliebt und von ihren Altersgenossen akzeptiert zu werden.

Mit diesen Features mache Tiktok seinen Dienst absichtlich süchtig machend, manipulativ und schädlich. "Sie ziehen Profit der Gesundheit unserer Kinder vor", ärgert sich Bonte über Tiktok. Doch auch Meta Platforms hat er wegen vergleichbaren Features im Visier. Dazu ist bereits eine Klage von 41 US-Bundesstaaten und dem District of Columbia anhängig.

Während die US-Staaten ihre Klage gegen Meta gemeinsam bei einem US-Bundesbezirksgericht eingebracht haben, ist ihnen dies im Falle Tiktoks verwehrt, wie Bonte am Dienstag ausführte. Um vor ein Bundesbezirksgericht zu ziehen, müssen Verstöße gegen US-Bundesrecht behauptet werden. Die einschlägigen Bestimmungen seien aber bereits Gegenstand einer Klage der US-Regierung gegen Tiktok. Daher könnten sich die jetzt beteiligten Staaten nur auf ihr jeweiliges Staatenrecht berufen und müssten separat vor ihren Gerichten klagen.

Die nun gemeinsam vorgehenden Staaten sind Illinois, Kentucky, Louisiana, Massachusetts, Mississippi, North Carolina, New Jersey, Oregon, South Carolina, Vermont, Washington, der Hauptstadtbezirk District of Columbia, allesamt koordiniert von Kalifornien und New York. Bereits wegen behaupteter Rechtsverstöße zum Schaden Jugendlicher haben Utah, Nevada, Indiana, New Hampshire, Nebraska, Arkansas, Iowa, Kansas und Texas Tiktok verklagt.

Als Beispiel für die neuen Klagen dient California v Tiktok, Bytedance et al, anhängig am Superior Court of California in Santa Clara. Das Aktenzeichen lag zu Redaktionsschluss noch nicht vor.

(ds)

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