
Szene mit Jörg Hartmann und Karolina Lodyga: Kaffee, Zigaretten und Pils
Foto: Martin Rottenkolber / WDRDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Als Frauenversteher ist er bislang nicht auffällig geworden. Männer packt Kommissar Faber (Jörg Hartmann) psychologisch zielgenau bei ihren Eitelkeiten und Gewaltfantasien, um sie zum Sprechen zu bringen, und wenn das nicht gelingt, droht er mit seinem Baseballschläger. Frauen kapiert der multipel gestörte Stressbulle so wenig wie sich selbst, da hält er lieber die Klappe.
Jetzt macht er eine Ausnahme. Es geht nun mal um eine Frauensache. Ein Wohnhaus wurde angezündet, die Mutter zweier Kinder starb an Rauchvergiftung. War es ein Femizid? Der Verdacht fällt auf den gewalttätigen Ehemann, vor dem das Opfer zwischenzeitlich ins Frauenhaus geflüchtet war. Der Ermittler versucht zu diesem Thema die Freundin der Toten (Karolina Lodyga) zu vernehmen, doch die sitzt betrunken in ihrem mit Flaschen vollgestellten Wohnzimmer.
Faber probiert es mit seiner Art der Einfühlsamkeit, mit Kaffee, Zigaretten und Pils.

Szene mit Stefanie Reinsperger (2.v.r.): Safe Space Frauenhaus
Foto: Martin Rottenkolber / WDRDie Betrunkene hatte offenbar eine Affäre mit dem Schläger-Mann der Freundin. Sie sagt: »Ich habe ein paar Mal mit ihm gefickt. Das ist sechs Jahre her. Meike war schwanger, und er hatte keinen Bock drauf. Das hat er gesagt, und naja, er war eifersüchtig, dass sie eine Freundin hatte, und die musste er dann auch haben.« Faber verständnisvoll: »Ach so. Ja, ne, klar, wenn er das so nett erklärt hat, versteh ich auch, weshalb Sie sich drauf eingelassen haben.«
Wahnsinn mit Methode
Frauenverstehen auf die harte Tour? Dies ist ein »Tatort« über häusliche Gewalt, der Angang ans Thema gewöhnungsbedürftig. Autor Markus Busch und Regisseurin Nana Neul erzählen einen großen Teil der Handlung aus der Perspektive Fabers, der oft durch Rangeln und Rempeln die Menschen um ihn herum zum Reden bringt. Busch hatte zuvor schon Fabers Krankenhaus-Episode »Inferno« aus dem Jahr 2019 geschrieben, in der sich der Ermittler mit seiner damaligen Kollegin Bönisch zur Rekonstruktion eines Mordes lustvoll Plastiktüten über den Kopf zog. Kranker Scheiß auf hohem Niveau.
Faber kommt durch seinen strategisch eingesetzten Wahnsinn auch in der aktuellen Episode relativ weit. Den Schlägerehemann hat er schnell durchschaut, da ist der Kommissar auf seinem natürlichen Terrain unterwegs, Stichwort: Rempeln und Rangeln. Und im unkonventionellen Auftreten gegenüber der Opfer-Freundin gelingt es ihm, bei den weiblichen Charakteren ein gewisses Maß an Ambivalenz offenzulegen. So versucht sie doch tatsächlich den Schlägermann der toten Freundin zu verteidigen: »Er war wirklich nett. Wenn er will, kann er das auch.«
Zu viel Ambivalenz kann aber auch problematisch sein, sie lädt bei dem Thema leicht zur Relativierung von Gewalt ein. Nach dem Motto: Sind die Frauen nicht selbst schuld, wenn sie sich Aggressoren an den Hals werfen, so wie Fabers Zeugin?
Um solchen Relativierungen vorzubeugen, bekommt diesmal Fabers Kollegin Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) einen größeren Einsatz. Sie geht als angebliches Opfer männlicher Gewalt undercover in das Frauenhaus, wo das echte Opfer vor dem Mord Schutz suchte. In einer Szene bereitet sich Herzog auf ihren Einsatz vor und probt ihre Tarnidentität, indem sie die vermeintliche Gewalterfahrung beschreibt. Ein hochverdichteter Moment: Die Schauspielerin spielt eine Ermittlerin, die ein Opfer spielt und dabei aufwühlend von dem Mann erzählt, der angeblich gegen ihren Willen in sie eingedrungen ist.
Das Gewaltopfer muss »performen«
Die Szene offenbart das zentrale, oft unauflösbare Problem bei der Aufarbeitung von Übergriffen: Wer als Gewaltopfer anerkannt werden will, muss die Rolle des Gewaltopfers auch »performen« können.
Schade nur, dass der Frauenhaus-Strang kurz und gestückelt daherkommt. Wie eine Stippvisite, bei der die besondere Eigenart eines solchen Safe-Space lediglich erklärt, aber kaum inszenatorisch durchdrungen wird. Trotzdem gibt es diese starken Augenblicke, in denen die doppelte Grausamkeit weiblicher Gewalterfahrung erfasst wird. Beim Möhrchenschneiden in der Gemeinschaftsküche wird dem vermeintlichen Vergewaltigungsopfer Herzog klar gemacht, dass so eine Tat juristisch nicht aufarbeitbar sei, wenn sie nicht dokumentiert ist.
So erfährt die Undercoverpolizistin am Küchentisch am Beispiel einer ihrer Vorgängerinnen im Frauenhaus, wie es richtig geht: Die Misshandelte war noch einmal für zwei Monate zu ihrem Peiniger-Ehemann zurückgegangen, um penibel dessen erneuten Gewaltexzesse aufzuzeichnen, damit sie vor Gericht das Sorgerecht für ihr Kind durchsetzen konnte.
Die Gewalt findet in diesem »Tatort« also oft mittelbar statt: in der Erzählung, in der Nachstellung, in der Einfühlung. Nur einmal gibt es einen expliziten brutalen Moment, da schlägt in einer Rückblende ein Aggressor seinem Opfer wie aus dem Nichts mit der Faust ins Gesicht. Es ist übrigens dieser Typ, über den Fabers Zeugin sagt, dass er wirklich nett sein kann, wenn er will.
Bewertung: 7 von 10 Punkten
»Tatort: Feuer«, Pfingstmontag (!), 20.15, Das Erste
Foto: Petro Domenigg / ORF / ARD