Ach Gott, der Arme! Man müsste fast für ihn beten. Der Freiburger Erzbischof Stephan Burger leidet. An der „belastenden“ Lage, die durch die Kündigung des Domkapellmeisters Boris Böhmann entstanden sei – auch „für ihn persönlich“, wie er mehrfach betonte.
Die Lage hat er freilich selbst zu verantworten, und belastend ist sie in erster Linie für die Chöre: Domsingknaben, Domchor, Domkapelle. Die Choralschola, zuständig für die Gregorianik in der Messe, hat sich mittlerweile selbst aufgelöst. Die verbleibenden Ensembles haben bis auf Weiteres ihre Teilnahme an Proben und Gottesdiensten ausgesetzt. Manche Sänger überlegen, nicht nur aus dem Chor, sondern gleich aus der Kirche auszutreten. Andere suchen „Asyl“ in Nachbargemeinden.
Skandalös wird das Ganze durch den Ort des Geschehens: Das Freiburger Münster, architektonisch und historisch ohnehin ein erhabenes Monument, bildete bisher auch mit seiner Kirchenmusik eine „feste Burg“ des Glaubens und der Kunst, galt gerade als Hort der Chormusik mit langer, sorgfältig gepflegter Tradition. Dass Freiburg überhaupt als die Chorstadt Deutschlands gilt, geht auf die Münstermusik zurück. Und in diesem Bewusstsein sangen dort die Chormitglieder bisher, mit Stolz, Verantwortungsgefühl und Liebe zu ihrem Gotteshaus.
Dem Domkapitel, Weihbischof Peter Birkhofer und Erzbischof Burger, scheint dies entgangen zu sein. Mit doppelter Ignoranz der Musik und den Menschen gegenüber, die sie machen, werfen die geistlichen Herren die Chormitglieder aus ihrer geistigen Heimat: Ein Chor, zumal mit diesem Qualitätsbewusstsein wie in Freiburg, ist nämlich mehr als ein musikalischer Verbund. Das gemeinsame Atmen schafft auch eine soziale Gemeinschaft mit hohem Zusammengehörigkeitsgefühl. Gegenseitige Hilfsbereitschaft gehört dazu. Gemeinsame Chorreisen verbinden, Freundschaften entstehen. Bis sich ein solcher „Stimmkörper“ freiwillig auflöst, wie die Freiburger Choralschola, muss es dick kommen.
Maßlose Enttäuschung und grundsätzliche Zweifel an Religion und Kirche haben diese Entscheidung ausgelöst. Am gravierendsten ist das fahrlässige Verhalten der geistlichen Herren wahrscheinlich für die Domsingknaben. Sie wachsen ganz selbstverständlich in eine Chorgemeinschaft hinein, bezeichnen die großzügigen Räumlichkeiten der Domsingschule in Freiburg als „zweites Wohnzimmer“ in der Stadt, entwickeln dort musikalische und soziale Kompetenz. Und können daher am wenigsten begreifen, was ihnen widerfährt.
Nun hat ein Treffen zwischen zwei Müttern und dem Weihbischof in Begleitung des Domkustos stattgefunden. Die beiden Frauen haben daraufhin ihr Amt als Elternvertreterinnen niedergelegt, zu groß sei der Vertrauensbruch durch die Bistumsleitung. Denn herausgekommen war bei der Unterredung – gar nichts. In der Presseerklärung heißt es, Maßnahmen zur Unterstützung der Kinder durch die Bistumsleitung würden „angedacht“. Weitere Gespräche mit dem Domchor, so wurde inzwischen bekannt, lehne der Weihbischof ab.
Als Reaktion darauf trat der Vorstand des Domchores am Freitag geschlossen zurück. Er sieht laut Presseerklärung keine Grundlage mehr für eine Zusammenarbeit. „Die Weigerung, mit uns zu sprechen, ist umso irritierender, als Erzbischof Stephan Burger noch in seiner Silvesterpredigt an die Chöre gewandt erklärt hatte: ,Wir brauchen Sie alle‘“, heißt es wörtlich. Es werde sich zeigen, „ob und wie viele Chormitglieder nach der Kündigung und Freistellung von Domkapellmeister Professor Boris Böhmann im Domchor weitersingen werden“.
Was muss eigentlich noch geschehen, bis die Kirchenleitung kapiert, welchen Schaden sie angerichtet hat? Wie viele Protestveranstaltungen müssen noch stattfinden, bis dieses Bollwerk an Hartherzigkeit fällt, zumindest einmal Risse zeigt? Führungsversagen hat zu dieser Situation geführt, und ausbaden müssen es die Chöre, die hinter Boris Böhmann stehen. Wobei er selbst seine Jungs konsequent aus den Querelen heraushalten wollte. Mit „andenken“ ist hier nichts mehr zu retten.
Unabhängig vom juristischen Ausgang – Böhmanns Anwalt hat Einspruch gegen die Kündigung erhoben – hinterlässt seine Entlassung einen Scherbenhaufen, aus dem keine neuen Tabernakel mehr gekittet werden können: Die Kirchenmusik in Freiburg ist kaputt. Sie ist an Herzversagen gestorben.