SPD-Wahlkampfauftakt: „Deshalb habe ich die FDP aus der Regierung entfernt“

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Meteorologisch gesehen geht es trüber kaum. Die VW-Fabriktürme sind im Winternebel maximal schemenhaft zu sehen; ebenso die roten SPD-Fahnen vor dem Congresspark zu Wolfsburg. Man könnte jetzt ja allerhand Wortspiele anstellen über doch sehr neblige Chancen der Kanzlerpartei, in fünf Wochen noch das Blatt zu wenden. Auch für den die Stadt prägenden Autobauer Volkswagen ist vieles gerade ungewiss. Doch drinnen, in der in rot getauchten Halle, bietet sich eine andere Welt. Olaf Scholz hat eine Erzählung im Gepäck, warum er ausgerechnet hier den Wahlkampf startet.

„Highlightveranstaltungen“ hat das Willy-Brandt-Haus diese Großformate getauft, vier Stück gibt es, neben Wolfsburg in Wiesbaden, Leipzig und zum Wahlkampfabschluss in Dortmund. Rund 1500 Menschen sind hier, viele SPD-Mitglieder. Doch statt Scholz ist eher Daniela Cavallo der heimliche Star, die Vorsitzende des Gesamt- und Konzernbetriebsrats von Volkswagen, der von den SPD-Granden attestiert wird, „wie eine Löwin“ gegen Werkschließungen und Kündigungen gekämpft zu haben.

Wolfsburg passt perfekt zur neuen Erzählung der SPD. Beim Parteitag, der Scholz erneut als Kanzlerkandidaten nominiert hatte, benutzte er 19-mal in seiner Rede den Passus „normale Leute“. Vor allem entdeckt die SPD die Arbeiter und die Mitte wieder, nachdem vor der letzten Bundestagswahl Themen wie das Bürgergeld und die Überwindung von Hartz IV breiten Raum eingenommen hatten. ­­­­­

Der riesige Rückstand auf Merz? Die Gelegenheit für Bedenken ist hier nicht

„37 Tage sind es noch und ich glaube, wir merken alle, es ist was drin“, ruft SPD-Generalsekretär und Wahlkampfmanager Matthias Miersch in den Saal, in dem dutzende „Olaf statt Merz“-Plakate hochrecken. „Wir merken jetzt schon, der Zuspruch ist enorm. Es geht um eine Richtungsentscheidung.“ Hier ist kein Platz für die bereits intern und vor allem medial beginnenden Debatten für den Fall, dass der Rückstand von fast 15 Prozentpunkten auf die Union nicht mehr aufgeholt werden könnte. Intern wurde das letzte Januarwochenende als Marke ausgegeben, bis zu dem sich etwas drehen müsste. Auch die AfD liegt derzeit deutlich vor der SPD auf Platz zwei hinter der Union.

SPD-Chef Lars Klingbeil, der unter Druck steht, weil er der größte Fürsprecher einer erneuten Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz war, betont: „Wir fangen in Niedersachsen an. Da weiß man, wie man kämpft, wie man Wahlen gewinnt.“ Hier regieren seit zwölf Jahren Sozialdemokraten. Klingbeil sagt, die wichtigste Frage für ihn in diesem Wahlkampf sei: Wie geht es weiter bei den Industriearbeitsplätzen?

Man sei bereit, Energiepreisrabatte für die Industrie noch im Januar, Februar beschließen, aber die Union mit ihrem Kanzlerkandidaten und Fraktionschef Friedrich Merz stelle sich da quer. „Der braucht die negativen Überschriften für seinen Wahlkampf.“ Auch der Grünen-Konkurrent Robert Habeck bekommt von Klingbeil unter dem Jubel in der Halle einen mit. Er wolle keinen Wirtschaftsminister, „der Bücher schreibt, sondern der arbeitet“.

Er spricht davon, dass einige gerade versuchten, die Bürger „hinter die Fichte zu führen“

Ein bisschen Klassenkampf weht durch die Halle, als Scholz die Bühne betritt, er erzählt erst einmal von seiner Prägung als Arbeitsrechtsanwalt. Cavallo hat zuvor berichtet, wie Scholz sich während der harten Verhandlungen bei VW um die Rettung möglichst vieler Arbeitsplätze mehrfach persönlich gemeldet habe, „um mich auch in dieser Lage zu unterstützen“. Da wolle sie wirklich den Dank hier mal zurückgeben.

„Mit Sicherheit – Mehr Wachstum“, flackert rechts neben der Bühne mit einem Scholz-Bild auf der Leinwand. Doch die Wirtschaft schwächelt, seine Koalition ist zerbrochen, und Scholz versucht die Verantwortung abzuwälzen. Er erläutert seinen Plan eines „Made in Germany“-Bonus für Investitionen in Deutschland, aber vieles ist eben nur machbar mit mehr Schulden, also einer Reform der Schuldenbremse. Daran ist im Endeffekt auch die Ampelkoalition zerbrochen. Scholz sagt: „Deshalb habe ich die FDP aus der Regierung entfernt.“ Dafür gibt es mit den lautesten Jubel in der Halle. Er habe das Gefühl, „ich hätte das früher machen sollen“. Noch lauterer Jubel. Scholz berichtet von den Härten des Regierungsalltags, etwa beim Bürokratieabbau. „Das ist Arbeit im Unterholz.“

Er spricht davon, dass einige gerade versuchten, die Bürger „hinter die Fichte zu führen“ – die Union erkläre nicht, wie Hilfen für die Ukraine und Mehrausgaben für die Verteidigung finanziert werden sollen. Er stellt sich als Mann mit Haltung und Coolness dar, immer wieder wird der Unterschied zu Merz betont, der noch nie ein Regierungsamt hatte und als leicht reizbar gilt. Wladimir Putin zum Beispiel habe bisher keines seiner Ziele erreicht. Deshalb werde er jetzt alle diplomatischen Möglichkeiten sondieren, „ob es einen Frieden geben kann“.

Immer wieder stören Palästina-Aktivisten die Reden: „Free, free Palestine, Völkermörder“, rufen sie Richtung Scholz, reihenweise werden sie von Ordnern aus der Halle gebracht. Scholz redet einfach weiter, deutlich lauter. Sein Stoizismus hat ihn durch die letzten Jahre getragen, damit will er es noch mal schaffen.

Am Montag kehrt Donald Trump ins Weiße Haus zurück; Scholz setzt auf Kooperation und enge Zusammenarbeit, aber als Trump seine Absichten einer Abtrennung Grönlands von Dänemark kundgetan hat, da habe er getan, was der Regierungschef des größten EU-Landes da tun müsse: „Nicht zu schweigen.“

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