Es gebe einige Varianten, mit denen diese Leute versuchten das System Bürgergeld auszunutzen, sagt Frank Böttcher. Er kennt die Betrugsmuster gut, er leitet seit fünf Jahren das Jobcenter in Duisburg. Da sei etwa dieses Unternehmen, dass sehr viele Bulgaren und Rumänen beschäftigt habe, aber alle nur mit Minijobs. Diese Minijobber tauchten dann beim Jobcenter auf und beantragten zusätzlich Bürgergeld, weil der Minijob ja nicht zum Leben reiche.
Von dem Bürgergeld wiederum müssten die Beschäftigten einen Teil an die Drahtzieher abführen. „Dieser Arbeitgeber taucht immer wieder auf. Ich kann den Namen nicht nennen, da laufen noch Ermittlungen“, sagt Böttcher. Duisburg muss seit Langem die Zuwanderung vieler armer Menschen aus Bulgarien und Rumänien bewältigen. Ihre Integration, die Aufnahme der Kinder in den Schulen, die Unterkunft.
Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) will etwas gegen Schwarzarbeit und Sozialleistungsmissbrauch unternehmen, den Handlungsbedarf macht sie an Duisburg fest. Dort gebe es in manchen Gegenden „mafiöse Strukturen“, die man zerschlagen müsse. Wer nicht genügend Geld für sich und seine Familie verdient, kann ergänzend Bürgergeld beantragen. „Es gibt jedoch ausbeuterische Strukturen, die Menschen aus anderen europäischen Ländern nach Deutschland locken und ihnen Mini-Arbeitsverträge anbieten“, sagte sie dem Stern. Bas kennt das Betrugsmodell, sie kommt selbst aus Duisburg und hat dort ihren Wahlkreis.
Böttcher spricht von einem „lukrativen Geschäftsmodell“
Auffällig seien oft schon die Arbeitsverträge, sagt Böttcher. Die Antragsteller legten Verträge vor, in denen genaue Angaben fehlten. „Wie viel soll ich eigentlich arbeiten? Wie sieht die Tätigkeit genau aus? Das ist so eine Art Arbeit auf Abruf ohne feste Arbeitszeiten.“ Schwarzarbeit ist damit kaum noch nachweisbar. Die Beschäftigten können offiziell nur wenige Stunden eingesetzt werden, obwohl sie tatsächlich mehr arbeiten – und bekommen zusätzlich Bürgergeld vom Jobcenter. Noch schlimmer wird es, wenn der Arbeitgeber gleichzeitig Vermieter ist. Heruntergekommene Häuser würden für überzogene Mieten vollgepackt mit Zuwanderern vorwiegend aus Südosteuropa. Das seien „gnadenlos überbelegte Schrottimmobilien“, sagt Böttcher. „Das ist ein lukratives Geschäftsmodell.“
Mitunter komme noch der Betrug mit Kindergeld dazu. Es würden Kinder gemeldet, die gar nicht aufzufinden seien. „Wenn man ein Kind in der Schule hat, kann das einen Anspruch auf Bürgergeld für die ganze Familie auslösen“, sagt Böttcher. Nur: Die Kinder fehlten dann oft in der Schule. Grundsätzlich könnte das Jobcenter Druck auf die Eltern ausüben, diese sind zur Mitwirkung verpflichtet. Wer nicht zu Terminen erscheint oder Vereinbarungen mit dem Jobcenter verletzt, dem kann die Leistung gekürzt werden.
Häufiger tauchten diese Leute wiederholt nicht zu Terminen auf, doch es sei rechtssicher kaum möglich, ihnen die Leistung vorläufig zu streichen. „Das wird von Sozialgerichten äußerst kritisch gesehen“, sagt Böttcher. Man müsse bei manchen Gruppen, etwa bei psychisch Kranken, sehr genau hinsehen, ehe man die Leistung kürze. Bei anderen aber müsse dies möglich sein, sagt Böttcher.
Betrogen wird vor allem da, wo es viel günstigen Wohnraum gebe, etwa im Ruhrgebiet
Wie viele Missbrauchsfälle es gebe, das könne er nicht seriös beziffern, sagt Böttcher. Es gebe jedenfalls Stadtteile, insbesondere die mit günstigem Wohnraum, da hätten die Vorgänge „echte Relevanz“. Die Zahl der Bürgergeldbezieher aus Rumänien und Bulgarien hat sich laut Daten des Duisburger Jobcenters in den vergangenen sieben Jahren fast verdoppelt.
Anfang 2018 bezogen noch rund 6000 Menschen aus den beiden Ländern Grundsicherung in der Stadt, nach den jüngsten Daten vom Januar dieses Jahres sind es fast 11 100. Natürlich begehen bei Weitem nicht alle von ihnen Sozialleistungsbetrug. Auch ein niedrig bezahlter Vollzeitjob oder betreuungsbedürftige Kinder können der Grund für den Bürgergeldbezug sein.
Auch bundesweit ist der Missbrauch nur schwer in Zahlen zu fassen. Laut Bundesarbeitsministerium hat die Bundesagentur für Arbeit vergangenes Jahr insgesamt 123 000 Fälle von möglichem Leistungsbetrug untersucht und davon in 101 000 Fällen tatsächlich Leistungsbetrug festgestellt. Das sind die bundesweiten Zahlen der Jobcenter über alle Nationalitäten hinweg. Genauere Zahlen gebe es nicht, erklärt das Ministerium. Das Phänomen trete vor allem dort auf, wo es viel günstigen Wohnraum gebe, verstärkt im Ruhrgebiet.
Bärbel Bas fordert einen vollständigen Datenaustausch zwischen Sozial-, Finanz- und Sicherheitsbehörden, dies ist bereits im Koalitionsvertrag angelegt. Das, sagt Böttcher, würde tatsächlich helfen. Bei all dem Missbrauch und den Problemen müsse man allerdings immer beachten: „Wir haben auch sehr viele hart arbeitende Menschen aus Rumänien und Bulgarien hier.“ Ohne sie wäre die Not, zum Beispiel in der Pflege, viel größer.