Sozialdemokraten: Die SPD sucht mehr Leute mit Strahlkraft und Visionen

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Vor seiner Wahl zum SPD-Generalsekretär hatte Lars Klingbeil Ende 2017 zugesagt, dass er „jeden Stein umdrehen werde“. Eine externe und unabhängige Evaluierung wurde in Auftrag gegeben, das in mehreren Monaten entstandene 108-seitige Papier trug den Titel „Aus Fehlern lernen“.  Nun landete die SPD bei der jüngsten Bundestagswahl nur noch bei 16,4 Prozent und es musste wegen der vielen Rufe nach einer Aufarbeitung der historischen Niederlage schneller gehen. Eine interne Kommission wurde eingesetzt. Dieses Mal soll ein 14-seitiges Papier reichen, um die SPD neu aufzustellen.

Von Klingbeil, nun Parteichef und Vizekanzler, werden vor allem bei dem vorgezogenen Bundesparteitag vom 27. bis 29. Juni in Berlin Antworten erwartet, wie der damit angestoßene Prozess jenseits der Beteiligung an der Koalition mit CDU/CSU aussehen soll. Das Papier mit dem Titel „Erneuertes Vertrauen in die Sozialdemokratie“ liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Beteiligt waren unter anderem Gesine Schwan, Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, und der Ökonom Gustav Horn.

Keine klare Haltung bei Schlüsselthemen

„Die SPD wirkt oft getrieben“, heißt es darin. Sie verfolge zu wenig eine eigene Vision gesellschaftlicher Gestaltung, werde „heute vielfach als Partei der Spiegelstriche“, wahrgenommen, die ausgewählte Wählergruppen bediene. „Diese Wahrnehmung hat in den vergangenen Jahrzehnten erheblich zum Vertrauensverlust in die Partei beigetragen“. Und bei einigen Schlüsselthemen habe man keine klare Haltung. Im Bereich der Migration bringe es nichts, „entweder den Populisten nach dem Mund zu reden oder zu versuchen, das Thema auszuklammern“.

Auch der designierte neue Generalsekretär Tim Klüssendorf, der den erneuten Erneuerungsprozess gestalten soll, vermisst die große Zukunftserzählung, die Wähler wie früher für die SPD begeistern könnte. Am interessantesten und wichtigsten sind die Erkenntnisse, dass vor allem die Partei organisatorisch wieder belebt werden muss. Bis in die Bundestagsfraktion wird beklagt, dass die SPD zur Akademiker- und Funktionärspartei geworden sei, wo oft ideologische Anpassungsfähigkeit über den Aufstieg entscheide und kritische Geister zu wenig gehört werden. Auch auf kommunaler Ebene, wo die SPD viele Oberbürgermeister stellt, wird das beklagt.

„Die SPD muss wieder mehr Bewegungspartei statt Funktionärsapparat sein“, wird von der Kommission gefordert. Die SPD solle die Partei der Beteiligung vor Ort sein, „keine passive Newsletter-Partei.“ Das macht die SPD insgesamt attraktiver, auch für neue Mitglieder und für Menschen, die sich beteiligen wollen.

Stärkere Ortsvereine werden gebraucht

Dazu gehöre vor allem eine strategische Stärkung der Ortsvereine auch mit Blick auf bundespolitischen Fragen, dass sie mehr gehört werden und Einfluss auf die Programmatik bekommen. Ebenso müssten die kommunalen Stimmen von der Basis viel stärker im Bundesvorstand vertreten sein. Und bei der Personalauswahl müsse künftig gelten: Mehr Leute mit Strahlkraft und Zukunftsvisionen, „Glaubwürdigkeit und Haltung müssen zukünftig wichtiger sein als Funktionshistorie“. Deshalb sollten alle, die einen aussichtsreichen Listenplatz oder Wahlkreis gewinnen wollen, eine Mindestanzahl an Unterschriften von Nicht-Parteimitgliedern beibringen müssen.

Generell müsse die Erneuerung dort beginnen, „wo sie (noch) über eine starke Machtbasis verfügt und der direkte Kontakt zur Bevölkerung am engsten ist: in den Kommunen und lokalen Gemeinschaften“. Beim Bundesparteitag soll dies nun den Auftakt bilden für die Erarbeitung einer „Zukunftsvision 2040“.

Die Aufgabe erscheint groß, vor allem die Frage der inhaltlichen Schärfung. Gefordert wird „eine überzeugende Vision einer fairen und solidarischen Gesellschaft, die im öffentlichen Diskurs untrennbar mit ihr verbunden ist“. Es müsse neu definiert werden, was Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts bedeuten. Eine bloße Verwaltung des Status quo sei „ein sicherer Weg in den politischen Bedeutungsverlust“.

Richtig konkret werden viele Vorschläge jedoch noch nicht – und schon die erste Woche der Koalition hat gezeigt, wie schwierig es ist, parallel ein eigenes Profil zu stärken, wenn man politisch vorerst nur durchsetzen kann, was im Koalitionsvertrag mit CDU/CSU steht.

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