Smarte Pille funkt aus Magen und Darm

vor 4 Stunden 1

In einem Live-Selbstversuch vor fast 2000 Zuschauern schluckte Forscherin Aniek Even eine smarte Pille, die Temperatur, pH-Wert und Redoxpotential in ihrem Magen misst. Nacheinander trank Even dann je ein Glas heißes und kaltes Wasser, um die Funktion der Sensorkapsel vorzuführen: Die per Funk aus ihrem Körper übertragenen Messwerte veränderten sich entsprechend.

Die smarte Pille wandert durch den Verdauungstrakt. Dabei funkt sie mindestens 24 Stunden lang alle 20 Sekunden neue Messwerte an einen portablen Datenlogger mit der Größe einer Zigarettenschachtel. Der speichert die Messwerte und lässt sich mit einem Nacken- oder Bauchgurt am Körper tragen. Das Protokoll des Redoxpotentials soll etwa bei der Diagnose chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen zum Einsatz kommen.

Die Technik soll manche medizinischen Untersuchungen vermeiden, die Patientinnen und Patienten belasten, Fachpersonal binden, viel Zeit erfordern und dadurch teuer sind. Magen- und Darmspiegelungen (Gastroskopie, Koloskopie) können zudem einige Vorbereitungen voraussetzen. Vor einer gründlichen Darmspiegelung etwa müssen Patienten reichlich unappetitliches Abführmittel trinken und dürfen nichts essen. Mit den Untersuchungen gehen zudem Risiken einher, etwa durch Verletzungen oder infolge einer eventuell nötigen Narkose.

Eine endoskopische Probenentnahme zeigt zudem nur eine Momentaufnahme. Die smarte Pille liefert hingegen kontinuierliche Messwerte aus dem Verdauungstrakt über, im Normalfall, mindestens einen Tag sowie aus der normalen Lebensführung des untersuchten Menschen.

Smarte Pille des OnePlanet Research Center.

(Bild: c’t Magazin, C. Windeck)

Der schluckbare Sensor misst freilich nur wenige physiologische Werte. Er liefert auch keine Bilder, anders als die sogenannte Kapselendoskopie, für die man eine winzige Kamera herunterschluckt. Bei dieser Methode muss der Darm allerdings leer sein und arbeitet folglich nicht wie im Alltag. Sie dient primär zur Untersuchung des Dünndarms, der sich nicht normal spiegeln lässt.

Das Ingestible Technologies Project am OnePlanet Research Center des belgischen IMEC arbeitet seit mehr als fünf Jahren an der smarten Pille. Es sucht Kooperationspartner, um die smarte Pille zur Marktreife zu entwickeln. Aniek Even ist Senior Researcher und Project Lead Ingestible Technology. Sie startete ihren Selbstversuch auf der IMEC-Veranstaltung ITF World 2025 in Antwerpen.

Selbstversuch: Aniek Even vom OnePlanet Research Center, darin eine smarte Pille.

(Bild: c’t Magazin, C. Windeck)

Auch ein Team am MIT forscht an einer smarten Pille zur Diagnose von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Anderen Zwecken dient eine vibrierende "Abnehmpille", die ein Sättigungsgefühl auslöst.

Eine 2012 vorgestellte Technik dient zur Kontrolle, ob und zu welchem Zeitpunkt Tabletten geschluckt wurden. Dazu wird in das jeweilige Medikament ein etwa sandkorngroßer Chip eingebettet, der Energie mithilfe des Magensafts erzeugt. Ein Pflaster auf der Haut des Patienten enthält einen Datenlogger, der die Einnahme protokolliert.

Der japanische Pharmakonzern Otsuka brachte das Medikament Abilify MyCite mit dem Wirkstoff Aripiprazol und eingebautem Chip ab 2017 auf den US-Markt. Mit dem Neuroleptikum Aripiprazol wird Schizophrenie behandelt. Laut der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zog Otsuka den Zulassungsantrag für die EU Mitte 2020 zurück.

(ciw)

Gesamten Artikel lesen