Als Caspar David Friedrich wirklich noch unbekannt war, im Jahr 1805 (er war damals dreißig und hatte noch kein einziges Ölbild gemalt), schickte er am 25. August zwei Sepiazeichnungen nach Weimar an den hochberühmten Goethe. Der hatte die jährliche „Weimarer Preisaufgabe“ ausgeschrieben: Darstellungen der Taten des Herkules sollten eingereicht werden. Friedrich aber lieferte zwei Motive ab, die man als um zweitausend Jahre am Thema vorbeigezeichnet ansehen musste: eine christliche Wallfahrt bei Sonnenuntergang und einen Herbstabend am winterlichen See. Keine Spur von Arkadien oder antikischer Heroik, geschweige denn irgendeines Tatendrangs.
Außer dem des in Dresden ansässigen Künstlers selbst, der sein Begleitschreiben mit dem Satz beschloss: „Sollten sich Liebhaber finden, so ist der Preiß jeder Zeichnung 25 Th.“ Friedrich wollte also gar nicht um den Sieg im Wettbewerb konkurrieren, sondern ausgestellt werden, um zu verkaufen. Aber er gewann, denn Goethe zeigte sich begeistert, ließ in der Jurybegründung statt Themenerfüllung die Perfektion der handwerklichen Ausführung würdigen, und so kamen beide Herren gut weg: Friedrich kassierte für seine beiden Bilder 180 Taler Preissumme statt des erhofften Verkaufserlöses von fünfzig, Goethe dagegen behielt die Sepiazeichnungen. Und Friedrich blieb ihm im Gedächtnis als höchst origineller Künstler. Eine Begeisterung, die Goethe seinem Herzog Carl August vermittelte, der 1810, nachdem Friedrich doch noch zu malen angefangen hatte, gleich fünf Bilder auf einmal beim Künstler erwarb – heute würde man sagen: der erste öffentliche Großankauf. Noch vor dem berühmten des „Mönch am Meer“ und der „Abtei im Eichwald“ durch den preußischen König Friedrich Wilhelm III.
Goethe übertrug seine Begeisterung auf den Herzog
Kurz gefasst also: Nirgendwo sonst hat man sich so früh für Friedrich interessiert wie in Weimar. Und gleichsam nirgendwo sonst so wenig für diese Pioniertat interessiert. Weimar sieht sich als Stadt der Klassik, nicht der Romantik. Zumal vom Friedrich-Ensemble des Jahres 1810 heute nur ein einziges Bild noch hier ist: die allerdings göttliche „Böhmische Landschaft“. Zwei Bilder aus Carl Augusts Ankauf hängen in anderen deutschen Städten, eines wurde im Sommer 1945 von amerikanischen Soldaten gestohlen (es ist bis heute verschollen), und vom fünften weiß man nicht einmal mehr, wie es ausgesehen hat. Doch das wusste man von Friedrichs Schreiben an Goethe vom 25. August 1805 lange auch nicht.
Jetzt wird dieser Brief erstmals ausgestellt, im Rahmen der gerade eröffneten Ausstellung „Caspar David Friedrich, Goethe und die Romantik in Weimar“. Er wurde im Goethe-Schiller-Archiv in einem Faszikel aufgefunden, doch dessen Erhaltungszustand ist so labil, dass die Initialzündung nur noch bis zum kommenden Wochenende leuchten kann, dann muss das heikle Schriftobjekt seinen Platz in einer Vitrine zu Beginn des Ausstellungsparcours schon wieder räumen. Also, Friedrich-Freunde: schnell nach Weimar, und keine Ausrede, dass man in diesem Jubiläumsjahr ja schon in Hamburg, Berlin, Dresden, womöglich auch Schweinfurt und Greifswald gewesen ist. Den Schlusspunkt des deutschen Friedrich-Reigens bestreitet der Ort des Beginns der Karriere. Und nach den sinnüberflutenden und bisweilen auch -unterpflügenden Materialschlachten der Großschauen lernt man hier wieder das Mitdenken. Und das gewiss auch noch in den mehr als drei Monaten, die es dann ohne Friedrich-Brief an Goethe weitergeht.
Beide trafen sich wohl nur dreimal, und nie in Weimar, wo Friedrich ein einziges Mal vorbeischaute: Am 8. Juli 1811 besuchte er die Anna-Amalia-Bibliothek und trug sich in deren Gästebuch ein (auch das liegt in der Schau aus). Beide schrieben sich nach 1805 auch nicht mehr, sondern ließen ihre wechselseitigen Mitteilungen lieber über gemeinsame Bekannte ausrichten. Herausragend war dabei die Rolle der Dresdner Malerin Louise Seidler – was die Ausstellung bei gerade einmal hundert Objekten in prägnanter Präzision zu vermitteln versteht, ist der Aufbau des mitteldeutschen Netzwerks, das sich rund um Friedrich und Goethe entspann: Philipp Otto Runge, Caroline Bardua, Carl Gustav Carus, Johanna Schopenhauer, Gerhard von Kügelgen. Aber das künstlerische Herz Deutschlands schlug in Weimar, ein Kleinstaat als Großmacht des Intellekts. Daran orientiert sich die Ausstellung, die laut Annette Ludwig, der Direktorin des Weimarer Museumsverbunds, bewusst „das kleine intime Format“ gewählt hat. Und eine Riesenleistung erbringt.
Ales, was Weimar von Friedrich noch hat - und das ist nicht wenig
Die Schau zeigt alles, was Weimar von Friedrich heute besitzt (drei Gemälde, acht Zeichnungen, ein Skizzenbuch, fünf Grafiken, zwei Autographen), und darüber hinaus Werke und Zeugnisse des erwähnten Netzwerks. Gerade einmal zehn Leihgaben hat man erbeten, und die sind auf den ersten Blick nicht einmal spektakulär. Doch es ergänzt die Idee der Ausstellung vom Zusammenhang von Klassik und Romantik perfekt, wenn aus dem Berliner Kupferstichkabinett zwei frühe Friedrich-Aquarelle kommen, mit denen er 1799 zwei Szenen aus Schillers „Räubern“ illustrierte. Der Meisterromantiker liebte die Weimarer Klassiker; auch sein seit 1945 vermisstes Weimarer Gemälde entstand als Umsetzung eines Goethe-Gedichts, „Schäfers Klagelied“ von 1803, das Friedrich in der ihm vertrauten Szenerie der Insel Rügen ansiedelte. Goethe dürfte sehr charmiert gewesen sein.
Wie sehr er Friedrichs Können schätzte, wird neu deutlich durch eine weitere Entdeckung: die bislang unbekannte Zeichnung eines Wiesenstücks, die Friedrich am 1. Januar 1807 anfertigte und an Goethe geschickt haben muss. Sie lag bis zur Vorbereitung der Ausstellung unerkannt unter dessen eigenen botanischen Zeichnungen.
Dazu hat man sich als Gegenleistung für die eigenen Ausleihen zur Dresdner Jubiläumsschau (F.A.Z. vom 24. August) von dort zwei motivähnliche Friedrich-Zeichnungen kommen lassen, die zwei Tage vor und zwei Tage nach dem 1. Januar 1807 datiert sind. Und dann ist da noch die einzige Leihgabe eines Friedrich-Gemäldes: Aus Gotha ist „Kreuz (mit Dornenkrone) im Gebirge“ von 1823 angereist und flankiert die größte Weimarer Friedrich-Berühmtheit: das gleichzeitig entstandene Bild „Huttens Grab“, von dem man nicht weiß, wann es überhaupt in die großherzogliche Sammlung einging. Dafür weiß man nun, welche Namen Friedrich darauf als Graffiti auf dem Grabdenkmal darstellte: Jahn, Arndt und Stein als Repräsentanten des deutschen Widerstands gegen den vom Künstler verabscheuten Napoleon waren bekannt, aber im neu geschaffenen Weimarer Archäometrielabor (dessen Forschungsergebnisse zum hiesigen Friedrich-Bestand ein eigenes hochinteressantes Stockwerk der Ausstellung bilden – Zeit dafür einplanen, schon wegen der Rekonstruktionsphantasie über das drastisch zum Panoramaformat beschnittene Bild „Mond über dem Riesengebirge“ (Weimars drittes Gemälde) konnten jetzt auch die drei anderen Namen entziffert werden: Krug, Görres und Tzschirner – jeweils Propagandisten des griechischen Freiheitskampfs. Der als Nationalist verschriene Friedrich wird plötzlich Internationalist.
Im selben Raum hängt auch eine von Friedrichs größten Sepiazeichnungen: „Hünengrab am Meer“, als erstes Werk vom Weimarer Hof schon 1808 angekauft. Für dessen Szenerie bediente sich der Zeichner seiner Vorlagen aus dem „Karlsruher Skizzenbuch“, das unlängst für die Museen in Berlin, Dresden und Weimar erworben werden konnte und jetzt hier zu sehen ist. Allerdings nur bis Januar, dann reist es nach New York, um die erste amerikanische Friedrich-Retrospektive (im Metropolitan Museum) zu zieren. Seinen Platz in Weimar wird für den Rest der Ausstellungslaufzeit das „Dresdner Skizzenbuch“ einnehmen, das nach Friedrichs Tod im Jahr 1840 noch nie die sächsische Landeshauptstadt verlassen hat. So geht es weiter mit dem Ausstellungsreigen. Aber nirgendwo sonst war und wird es sein wie in Weimar: so konzentriert und so sinnenfroh.
Caspar David Friedrich, Goethe und die Romantik in Weimar. Im Schiller-Museum, Weimar; bis zum 2. März 2025. Der umfassende Katalog, erschienen bei Hatje Cantz, kostet in der Ausstellung 29, sonst 40 Euro.