Serie von Amanda Knox: Im Gefängnis der falschen Geschichten

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Dokumentationen, Fernsehfilme, Bücher, zahllose Zeitungsstorys und TV-Interviews – die Geschichte von Amanda Knox ist so oft erzählt worden, dass die Grenze zwischen Wahrheit und Projektion längst nicht mehr zu erkennen ist. Vielleicht ist es deshalb verständlich, dass Knox in dem achtteiligen Dokudrama „The Twisted Tale of Amanda Knox“ nun das Ganze noch einmal aufgreift, um ihre Version zu erzählen. Sie hat dies schon in dem Buch „Waiting to Be Heard“ von 2013 getan, das dieser Verfilmung zugrunde liegt. Dann folgte „The Twisted Tale of Amanda Knox“ und kürzlich ein drittes Buch mit dem Titel „Free: My Search for Meaning“. Offenbar ist die heute Achtunddreißigjährige derart in diesem Kreis der Hölle gefangen, dass sie nicht anders kann, als immer weiter selbst den Zirkus zu füttern, der sie vereinnahmt hat. Man könnte auch sagen, sie schlachtet ihre eigene Geschichte aus.

Amanda Knox wurde 2007 beschuldigt, gemeinsam mit ihrem damaligen Freund Raffaele Sollecito im italienischen Perugia ihre englische Mitbewohnerin Meredith Kercher erstochen zu haben. Der Fall kam 2009 zur Verhandlung; Die Öffentlichkeit nahm die Vermutungen, die in der Presse und im Gerichtssaal über Knox kursierten, dankbar auf: eine junge Frau, die fernab der Heimat ihre Unabhängigkeit und das Erwachsensein kostete, Partys, Marihuana, Alkohol, Ausgelassenheit, Sex.

Vier Jahre im Gefängnis

Knox und Sollecito wurden schuldig gesprochen und zu 26 und 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Vier Jahre saßen die beiden im Gefängnis, bevor sie 2011 in einem neuen Prozess wegen Ermittlungsfehlern freigesprochen, 2014 erneut angeklagt und schuldig gesprochen und 2015 endgültig für unschuldig am Mord an Meredith Kercher befunden wurden. Als verurteilter Täter verbüßte Rudy Guede, dessen blu­tige Fingerabdrücke am Tatort gefunden worden waren, von 2008 bis 2021 eine dreizehnjährige Haftstrafe.

Die Serie, in weiten Abschnitten auf Italienisch gedreht, zieht ihre Zuschauer gekonnt in die Geschichte und auf die Seite von Amanda Knox. Sonnendurchflutete Gassen, europäischer Lebensstil, pittoreske Ziegeldächer kennzeichnen hier das malerische Perugia, in das Knox (Grace Van Patten) als lebenslustige, liebenswerte und naive junge Frau zum Studieren kommt. Sie verliebt sich in einen stillen Italiener namens Raffaele Sollecito (Giuseppe Domenico). Sie verkennt nicht nur den Ernst der Lage, als ihre Hausgenossin ermordet aufgefunden und sie zur „wichtigsten Zeugin“ der Polizei wird, sondern verstrickt sich aufgrund sprachlicher Missverständnisse und ihrer Naivität auch derart in Widersprüche, dass sie und Sollecito Hauptverdächtige werden.

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Die Serie, produziert von Monica Le­winsky, gedreht von einer Virtuosin der Emotion, K. J. Steinberg („This Is Us“), führt einfühlsam durch Knox’ Story: die Verhaftung, Angst und Ungewissheit im Gefängnis, die Gerichtsverhandlung und öffentliche Vorverurteilung, die Schwierigkeit, wieder ins Leben zu finden. Van Patten spielt dies mit emotionaler Wucht, und die dramatischen Appelle kommen nicht zu kurz: „Mein Gefängnis würden für immer die falschen Geschichten über mich, das Monster, sein“, heißt es an einer Stelle aus dem Off.

Der „Vanity Fair“ sagte Knox, die die Schlussepisode selbst gemeinsam mit Steinberg schrieb, bisher habe immer jemand anderes ihre Geschichte erzählt, jetzt endlich sei sie selbst am Steuer. Steinberg sagte, die Serie sei kein Whodunit, sondern ein Stück darüber „wie und warum das alles passiert ist.“ Tatsächlich malt „The Twisted Tale of Amanda Knox“ all dies detailliert aus. „Fünfzehn Jahre lang wurde ich durch etwas definiert, das ich nicht getan habe“, sagt Van Pattens Amanda, „und zum ersten Mal, seit ich zwanzig bin, habe ich das Gefühl, etwas zu tun, um mich meines Lebens wieder zu bemächtigen.“ Freilich gilt es, sich daran zu erinnern, dass es noch eine andere Familie gibt, der es nicht vergönnt ist, sich das Verlorene zurückzuholen – darüber tröstet ein nostalgischer Tribut an Meredith Kercher nicht hinweg.

Knox erscheint als Märtyrerin, die ihren Peinigern am Ende großherzig vergibt. Das mag ihre echte Geschichte sein; man kann sich nach zwei Schuldsprüchen und zwei Freisprüchen darauf einlassen, oder auch nicht. Das Problem dieser Serie ist, dass sich die viel beschworene Wahrheit, auf der Van Pattens Amanda immer wieder besteht, im Format eines Melodrams schlecht verhandeln lässt. Und so verkehrt sich die Ambition von Amanda Knox in ihr Gegenteil: Erneut wird das Publikum mit dieser Story bloß manipuliert.

The Twisted Tale of Amanda Knox startet am Mittwoch bei Disney+.

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