Hier geht es nicht nur um Kunst, sondern auch um „die Geschichten, die hinter den Bildern stehen“. Mit diesem Hinweis eröffnet die Kulturjournalistin Rebecca Casati ihren Podcast „Die Sucht zu sehen“. Der Fotograf Jürgen Teller und die Schriftstellerin Helene Hegemann waren schon zu Gast, der Sänger Max Raabe hat mit ihr über seine Kindheit gesprochen und die Autorin Paulina Czienskowski über das Patriarchat. Produziert wird der Podcast von dem auf moderne und zeitgenössische Kunst spezialisierten Auktionshaus Grisebach in Berlin. Dort fühle man sich „neben dem klassischen Kunsthandel“ auch dazu verpflichtet, „Kultur zu vermitteln und Diskurse zu fördern“, heißt es auf Spotify.
Digitalisierungsschub in der Pandemie
Grisebach war das erste deutsche Auktionshaus mit eigenem Podcast und ist mit dem Format auch international Vorreiter. Aber es ist nicht das einzige Versteigerungsunternehmen, das mit neuen Formen der Kundenansprache experimentiert. Sotheby’s hat gerade den Podcast „The Specialist“ angekündigt; in Deutschland hat sich das Münchner Auktionshaus Neumeister entschieden, gedruckte Auktionskataloge durch das „Neumeister Magazin“ zu ersetzen.

„Die Corona-Pandemie war der ,game changer‘ für den Auktionsmarkt“, sagt Diandra Donecker, die mit Daniel von Schacky das Auktionshaus Grisebach leitet. Vor der Covid-Krise sei der Handel klassisch analog geprägt gewesen. Dann galt schlagartig: „Du musstest online stattfinden – wenn nicht, warst du erledigt.“ Der Digitalisierungsschub hat das Auktionswesen verändert. Heute gehört es zum Standard, dass jedes Los umfassend auf der Website vorgestellt wird, Saalauktionen live gestreamt werden und Onlinebieter selbst sehr teure Werke ersteigern – wie bei Grisebach im vergangenen Winter Max Beckmanns Gemälde „Quappi mit Sonnenschirm“ für 4,4 Millionen Euro. „Früher hätte man das nie für möglich gehalten“, sagt Donecker. „Dass so ein hohes Gebot nicht aus dem Saal kommt – noch dazu von jemandem, der das Original nicht gesehen hat.“
Kunst erlebbar machen
Auch der Podcast des Unternehmens entstand 2020 als Antwort auf die Frage, wie Kunst erlebbar werden kann, die aufzusuchen man nicht in der Lage ist. Dass man fünf Jahre und 114 Folgen später an dem Format festhalte, habe weitere Gründe. Der Podcast soll neue, jüngere Kunden erreichen und ihnen die Schwellenangst nehmen. Das Geschichtenerzählen kultiviert Grisebach schon seit längerer Zeit: 2015 führte der Kulturjournalist und Autor Florian Illies während seiner Zeit als Geschäftsführer und Gesellschafter des Auktionshauses das „Journal“ ein, eine Kunstzeitschrift, in der etwa Wolfgang Schäuble über Adolph Menzels „Urwähler“ schrieb. Nachfolger der Publikation ist das „Grisebach Magazin“, in dem Kunst auf Mode- oder Designthemen trifft.

Vom Auktionsunternehmen Lempertz in Köln, das großen Wert auf seine gedruckten Kataloge legt, wird seit 2021 die Hochglanzkundenzeitung „À Jour“ aufgelegt, die kostenlos auch online abrufbar ist. Sie ergänzt als Vorschau komplementär das schon ältere „Bulletin“ mit Auktionsrückschauen, in dem sich gleichfalls allgemeinere Artikel wie etwa ein Beitrag der Schriftstellerin Gabriele von Arnim über das Leben mit Kunst finden können. „Manchmal habe ich den Eindruck, dass das Sammeln nicht mehr eine solche Passion ist, wie es einmal war“, sagt Mariana Hanstein. Die Frau des Inhabers und Geschäftsführers von Lempertz, Henrik Hanstein, ist Expertin für Alte Kunst und Kataloge in dem Familienunternehmen. „Mit unseren Produkten zu leben, mit antiken Möbeln, Porzellan, Kunst – das macht einen Unterschied. Sammeln ist ein Lebensstil – und den versuchen wir zu vermitteln“, sagt sie.
Worum geht es eigentlich?
Muss ein Auktionshaus, wenn es heute erfolgreich sein will, ein Multimediahaus in eigener Sache sein? Bei Ketterer Kunst, dem Marktführer in Deutschland, scheint die Antwort Nein zu lauten. Als Robert Ketterer das Unternehmen 1994 von seinem Vater übernahm, konzentrierte er sich, wie er sagt, auf das Wesentliche: Er spezialisierte sein Haus auf Kunst vom 19. Jahrhundert an. „Das nehme ich auch beim Marketing ernst“, sagt Ketterer. Die Magazine der Konkurrenz finde er „großartig“, doch hätten sie einen Fehler: Es fehle der „call to action“ – das, worum es eigentlich gehe. „Wir haben einen Auftrag: Er kommt vom Verkäufer, der uns bittet, für sein Bild den höchsten möglichen Preis zu erzielen. Und wir haben einen Job: Auktionen. Das ist, was wir können, und das kommunizieren wir“, sagt er.
Storytelling spielt bei Ketterer dennoch eine Rolle – wenn auch eher im persönlichen Gespräch oder in Katalogtexten. „Die Geschichte hinter dem Bild ist heute viel wichtiger, als die rein kunsthistorischen Eckdaten es sind“, sagt Ketterer sogar, denn man habe es heute mit anderen Kunden zu tun als noch vor zehn oder 25 Jahren. Früher kauften vor allem Händler auf Auktionen. Heute gebe es den klassischen Kunsthandel in dieser Vermittlerfunktion kaum noch, und Auktionshäuser richteten sich direkt an Sammler.

Einig sind sich Donecker, Hanstein und Ketterer in einem Punkt: Der Auktionskatalog auf Papier werde so schnell nicht verschwinden. Zwar druckten sie weniger Kataloge als früher, dafür aber aufwendiger gestaltete. Wenn man, wie vor dreißig Jahren, Bilder in Briefmarkengröße drucke und nichts außer „Öl auf Leinwand“ darunter schreibe, locke man niemanden mehr, sagt Mariana Hanstein. Ausführliche Texte begleiten in den Katalogen von Lempertz Abbildungen von hoher Qualität. „Wir bieten Luxus, und wir müssen die Objekte entsprechend schön inszenieren. Damit drücken wir auch unsere Wertschätzung für das jeweilige Kunstwerk aus“ – und für diejenigen, die Werke zum Verkauf beim Auktionshaus einliefern.
„Es kann schmerzhaft sein, sich von einem Bild zu trennen“, sagt Ketterer. „Dann ist es für den Verkäufer – oder seine Kinder, die Erben – schön, diesen Katalog weiterhin zu haben.“ Auf Papier bleibt das veräußerte Kunstwerk fassbar und wird Teil der Fachliteratur. Das lässt sich Ketterer einiges kosten: Während andere Häuser rund 25 Euro für einen Katalog verlangen, verschickt er die Bände kostenfrei – bei einer Auflage von etwa 10.000 Stück für den „Evening Sale“. Nach Doneckers Einschätzung sind gedruckte Kataloge zudem eine wichtige Referenz für künftige Einlieferer. „Beim Lesen denken sie vielleicht: Das ist ein Verständnis von und Umgang mit Kunst, das mir imponiert – da möchte ich dabei sein.“