Schriftsteller Martin Pollack gestorben: Topograf der Erinnerung

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Als Verteidiger der Demokratie hatte er stets einen wachsamen Blick auf alles, was in Osteuropa vor sich geht: Der österreichische Journalist und Schriftsteller Martin Pollack, Jahrgang 1944, war viele Jahre „Spiegel“-Korrespondent in Mittel- und Osteuropa. Er war Zeuge der Epochenwende von 1989, die er auf dem Prager Wenzelsplatz miterlebte; er berichtete aus Warschau, wo er bis 1998 das „Spiegel“-Büro leitete.

Der studierte Slawist trat auch als Übersetzer aus dem Polnischen sowie als Autor zahlreicher Erzählungen und Reportagen hervor. Dem kulturgeschichtlichen Reiseführer „Nach Galizien“ von 1984 folgten in den Nullerjahren erfolgreiche Bücher wie „Anklage Vatermord“ (2002), „Der Tote im Bunker“ (2004) und „Kaiser von Amerika“ (2010), in denen er die leidvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts beleuchtete, indem er sie mit der eigenen, NS-belasteten Familiengeschichte verknüpfte.

Mit seinen Texten setzte er Maßstäbe in der Erinnerungskultur, fand darin seine neue Bestimmung. 2014 folgte der Essay „Kontaminierte Landschaften“, ein Begriff, den Pollack verwendete, um die Spuren der Menschheitsverbrechen im 20. Jahrhundert topografisch sichtbar zu machen. 2016 legte er mit dem Essay „Topografie der Erinnerung“ nach.

Seine Bücher wurden in vierzehn Sprachen übersetzt und mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Leipziger Buchpreis im Jahr 2011. In Österreich erhielt er zuletzt 2024 den Preis der Stadt Wien für Kulturpublizistik. Nur das Burgenland, wo er ein Vierteljahrhundert in einem alten Bauernhof in Bocksdorf lebte, hat ihn nie gewürdigt.

Im Residenz Verlag wird im Mai der Reportagen-Band „Zeiten der Scham“ erscheinen – posthum, wie heute bekannt wurde: Martin Pollack hat seinen langen Kampf gegen den Krebs verloren. Er wurde achtzig Jahre alt.

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