Rolfes über falsches Fairplay, Eckchen und Bayers Abkehr vom Weg

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Bayer 04 Leverkusen befindet sich in einer Fehlerschleife. Spätestens nach dem indiskutablen 2:2 gegen Kiel müssen die Profis sich die Frage nach ihrem Selbstverständnis stellen. Sonst verliert die Mannschaft einen wichtigen Teil ihrer Identität.

Das 2:2 gegen Kiel nach eigener 2:0-Führung hat alle bei Bayer 04 Leverkusen hart getroffen. Nach der Double-Saison mit fast unmenschlicher Konstanz und Konsequenz erlebt der Werksklub in dieser Spielzeit ein ständiges Auf und Ab.

Das Unentschieden gegen den Aufsteiger, das sich wie eine Niederlage anfühlte, stellte nach der völlig überflüssigen 2:3-Niederlage gegen Leipzig und dem glücklichen 4:3-Sieg gegen Wolfsburg die nächste Dimension der Leverkusener Wankelmütigkeit dar. Weil sich diesmal aufgrund der Qualität des Gegners nur ein totales Selbstverschulden als Ursache für den Tiefschlag in Betracht ziehen ließ.

Dementsprechend fiel auch die Analyse von Simon Rolfes aus. "Das Wie ist auch entscheidend. Wir haben gut angefangen, verdient geführt, nur dann haben wir das Spielen eingestellt. Dann haben wir das, was wir anfangs gut gemacht haben, mit Intensität zu spielen, zu attackieren sowie schnell und zielstrebig zu spielen, aufgehört", analysierte der Leverkusener Geschäftsführer.

Wir sind nie wieder aus diesem schläfrigen Modus herausgekommen.

Aus gut mach schlecht lautete das Motto, unter dem der Auftritt der Werkself nach der eigenen 2:0-Führung stand. "Wir haben langsam gespielt, sind auf einer Seite verharrt, hatten keinen Rhythmuswechsel im Spiel, die Pässe waren viel zu langsam", zählte Rolfes die Mängel auf und beschrieb deren Konsequenz treffend: "Wenn du dich in so einen schläfrigen Rhythmus bringst, ist es dann auch schwierig, wieder zurück zu switchen. Das haben wir alle schon im Fußball erlebt. Wir sind nie wieder aus diesem Modus herausgekommen."

Gegen Kiel fehlte die Konsequenz in der Offensive, gegen Wolfsburg war es das Defensivverhalten, das irgendwo zwischen naiv und unaufmerksam lag. Mal hakt es hier, mal dort. "Es sind ja unterschiedliche Themen gewesen, und wir wissen, dass wir in der Lage sind, das abzustellen. Aber das müssen wir zeigen", fordert Rolfes.

Und genau darin liegt das Problem. Es handelt sich nicht um hochkomplexe taktische Defizite, sondern schlicht um den fehlenden bedingungslosen Willen, Abläufe, die für den Double-Gewinner grundsätzlich kein Problem darstellen, konsequent von An- bis Abpfiff durchzuziehen.

Wenn wir das nicht machen, berauben wir uns unserer Stärke.

Da Bayer dies nicht macht, verlieren die Konturen des Spiels an Schärfe. Das, was die Werkself in der vergangenen Saison ausmachte, geht in Ansätzen verloren. So erklärte Rolfes auf die Frage, wann er bemerkt habe, dass etwas in die völlig falsche Richtung läuft: "Als wir angefangen haben, unser Passtempo zu verlangsamen und nicht mehr den Spielrhythmus zu bestimmen. Wenn wir das nicht machen, berauben wir uns unserer Stärke." Und dann spielt Bayer eben nicht mehr wie Bayer, sondern beliebig. "Dann ist das der Punkt, wo wir schwächer werden", weiß Rolfes.

Die Identität in der Double-Saison war eine andere

So entfernt sich das Team von Xabi Alonso langsam und in anfangs unmerklich kleinen Schritten von seiner Meister-Identität. "Wir müssen uns vorwerfen lassen, dass wir angefangen haben, ein schläfriges und langsames Spiel zu kreieren. Aber dafür stehen wir nicht", betont Rolfes.

Die Identität in der Double-Saison war eine andere. Dass Bayer ständig Vollgas gibt, scheinbar keinen Antrieb von außen benötigt, um ständig maximal leistungsbereit zu sein, war gegen Kiel nicht zum ersten Mal nicht mehr gegeben. Warum? "Vielleicht haben wir gedacht, es geht zu einfach", vermutet Rolfes, "aber es wird nach 90 Minuten abgerechnet, ob du gut Fußball spielst oder nicht. Und nicht nach 30."

Eine Frage der Gier also? Die Antwort von Rolfes lässt keinen anderen Schluss zu. "Wir haben es gegen Milan gezeigt und gegen Bayern gezeigt", urteilt der Geschäftsführer, "aber gegen Kiel nicht. Punkt."

Dass die Mannschaft nach der frühen 2:0-Führung gegen den Aufsteiger den Fokus für das Wesentliche verlor, war frühzeitig zu erkennen. So zog Bayer einmal ein Eckchen wie beim Fünf-gegen-Zwei an den Seitenlinie in der eigenen Hälfte auf. Nach dem Motto: Wir machen das jetzt so lange, bis wir sie ausgespielt haben.

Bayer hat früh den absoluten Wettkampfmodus verlassen

Eine Aktion, die Rolfes nicht schmeckte.  Das, erklärte der Ex-Profi, "muss man vielleicht auch nicht immer so machen". Auch dass Bayer in einer Situation, als ein Kieler angeschlagen außerhalb (!) des Spielfelds lag, beim Stand von 2:0 von sich aus zu spielen aufhörte, stellte für Rolfes ein Signal dar, dass Bayer den absoluten Wettkampfmodus verlassen hatte. Falsches Fairplay quasi. "Ich vermute, dass wir das gegen Mailand nicht gemacht hätten", merkte Rolfes mit Blick auf den 1:0-Sieg gegen die Italiener in der Champions League am Dienstag an.

Gegen Kiel wachte Bayer erst in der Schlussphase nach dem 2:2 auf und nahm den Gegner dann auch erst wieder als solchen wahr, als man Zeitspiel der Gäste monierte, als Kiels Porath mit Krämpfen am Boden lag. Deutlicher konnte der zwischenzeitliche Spannungsverlust nicht dokumentiert werden, dass Bayer das Schlusslicht nach dem 2:0 offenbar nicht mehr als Gefahr angesehen hatte.

Zwei Vorteile jedoch hat die "Krise". Zum einen, dass dieser Kader bereits alle Qualitäten gezeigt hat, die akut nur mal mehr und mal weniger abgerufen werden. Zum anderen, dass die offenkundige Ursache ("Das ist eine reine Kopfsache", so Kapitän Lukas Hradecky) für alle Probleme an einem Ort verankert scheint, nämlich zwischen den Ohren.

Profis müssen entscheiden, welchen Weg sie gehen möchten

Können die Spieler - und dabei kann Xabi Alonso nur unterstützend wirken - diesen Schalter umlegen, kann der Werksklub schnell wieder seinen Optimal-Modus aus der Double-Saison erreichen. Falls nicht, drohen weitere Rückschläge und damit die Rückkehr vom Besonderen zum Beliebigen und Normalen. Leverkusens Profis müssen letztlich entscheiden, welchen Weg sie gehen möchten.

Stephan von Nocks

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