Rashid Johnson im New Yorker Guggenheim: Der schwarze Beuys

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Von Rashid Johnson werden die meisten hierzulande noch nichts gehört haben. In den USA hingegen zählt der 1977 in Chicago Geborene zu den profiliertesten Vertretern einer „Post-Black-Art“-Konzeptkunst, die eine eigene Bildsprache für die spezifischen Probleme der Schwarzen im Land wie auch weltweit hervorgebracht hat. Doch wird man Johnson auch in Deutschland mit einiger Sicherheit auf der nächsten Documenta in Kassel wiedersehen, da deren künstlerische Leiterin im Jahr 2027, Naomi Beckwith, ihm aktuell als Kuratorin des New Yorker Guggenheim die große Überblicksschau „A Poem For Deep Thinkers“ mit neunzig Werken aus dreißig Jahren auf den spiraligen Emporen der gebauten Schnecke ausrichtet und Johnson zudem bei der ersten Vorstellung ihres Documenta-Programms in Kassel vor zwei Monaten (F.A.Z. vom 19. März) auffällig häufig erwähnte.

Schon die sich nach oben windende Spirale des Guggenheim bietet den perfekten Rahmen für Johnsons skulpturale, gemalte, fotografierte und gefilmte Arbeiten. Erst recht aber fügen die vom Art-decó-inspirierten Oberlicht mit seinen dezent floralen Stilelementen herabhängenden echten Pflanzen dem Bau etwas hinzu. Fast bis in die Mitte der knapp dreißig Meter hohen Museumsrotunde baumeln mehrere Monstera, Bananenstauden, Palmen und viele andere Pflanzen, die lose mit afroamerikanischer Flora assoziiert werden können. Die durchaus nicht kleinen Bäume und Pflanzen schweben wie ein kinetisches Mobile von Alexander Calder entwurzelt – die Wurzelballen stecken in speziellen Behältnissen – kreuz und quer frei im Raum, was ein surreales Bild erzeugt, zugleich aber auch zum alles verwebenden Ansatz Johnsons passt.

 Rashid Johnsons florale Installation in der Guggenheim-RotundeHängende Gärten voll pflegebedürftiger Pflanzen: Rashid Johnsons florale Installation in der Guggenheim-RotundeGetty

Das Guggenheim als lebendiges Treibhaus der Kunst

Ursprünglich war der Entwurf Frank Lloyd Wrights als überdimensioniertes Gewächshaus konzipiert, was sich noch in manchem ornamentalen, wenngleich versteckten Detail äußert. Auch sollte der Museumsbau einst nicht weiß, vielmehr rot wie eine Blüte leuchten, während die abgehenden Räume den Kammern einer Zitrusfrucht nachempfunden sind. Johnsons fröhliche Tempelschändung des Guggenheim durch dessen Rückverwandlung in ein Treibhaus der Kunst setzt sich auf der obersten Spiralebene fort: Dort sind in meterhohe – schwarz lackierte – Metallgerüste in Quadratmodulen weitere Dschungelpflanzen in vom Künstler handgetöpferten und mit expressiver Geste bunt glasierten und besprengelten Pflanztöpfen aufgestellt – wie in dem monumentalen Setzkasten eines ordnungsliebenden Riesen. Johnson verweist in seiner im Museum nachzulesenden Auslegung auf Inspiration durch die Grid-Rasterbilder der Doyenne der amerikanischen Abstraktion, Agnes Martin, auch die geometrischen Modulwelten eines Sol LeWitt haben ihn beeinflusst.

 Rashid Johnsons „Antoine’s Organ“ aus dem Jahr 2016 braucht auch im Museum konstante ZuneigungMozarts Gärtner aus Liebe: Rashid Johnsons „Antoine’s Organ“ aus dem Jahr 2016 braucht auch im Museum konstante ZuneigungStefan Altenburger

Hier aber ruft es in der Schau laut „Missverständnis!“ , handelt es sich doch bei der wiederholten Schubladisierung Johnsons als Konzeptkünstler im Kern um einen Irrtum. Denn für Konzeptkunst im strengen Sinn sind Johnsons Arbeiten viel zu materialverliebt und verspielt. Anstelle von Wachs, Filz und Fett wie Joseph Beuys nutzt er schwarze Seife, Muscheln und grellgelbe Sheabutter (mit der er sich in einem Video hingebungsvoll salbt und dabei – abermals ein surreales Moment – minutenlang, bis zum Einziehen der Butter, „weiß“ wird). Dennoch darf man ihn einen Beuys der schwarzen Kunst nennen, weil er sich stark auf die Ikonographie nur weniger Materialien verlässt. Tatsächlich ruft er mit seiner Arbeit „Homage to Chinua Achebe“ mit zwei weiß gestrichenen Schlitten das Vorbild Beuys auch direkt auf, wobei der eine Rodel in der Mitte zerbrochen ist, wie es wiederum Duchamp als Erfinder der Konzeptkunst mit Objektstürzen aus großer Höhe vorexerzierte.

Überhaupt zeichnet seine Arbeiten, vor allem die Videos, ein freier Umgang mit der Kunstgeschichte aus. War die erste Generation der Black Art stark mit politischen Agenden und Fragen des Zusammenhalts ihrer Community befasst, bedient sich Johnsons Generation der Kunst auch weißer Künstler wesentlich freier und mixt alles zu einem feurigen Cocktail: Für Fotoporträts nutzt er hintersinnig die alte Technik des Van Dyke Brown Print, seine Mosaike zitieren Jack Whitten, seine signethaften Brandzeichen in Holz die Pop-Art Lichtensteins und Rauschenbergs, jedoch auch durchaus den Löwen des Evangelisten Markus aus einer englischen Handschrift des zwölften Jahrhunderts wie eine frühe Vorschau auf Bob Marleys Verehrung Haile Selassies als Löwen aus Juda.

 Rashid Johnsons „Untitled Anxious Audience“ von 2019 ist nicht mit Farbe, sondern mit schwarzer Seife auf Keramikfließen gemaltBasquiat lässt grüßen: Rashid Johnsons „Untitled Anxious Audience“ von 2019 ist nicht mit Farbe, sondern mit schwarzer Seife auf Keramikfließen gemaltMartin Parsekian

Eine Überblicksschau mit enormen neunzig Werken bietet oft und so auch hier den Vorteil, dass sich schnell treibende Motive und Werkgruppen herauskristallisieren. Das die Schau einleitende Monumentalfoto Johnsons auf einem Grab liegend etwa gehört zu dessen lebenslanger Auseinandersetzung mit Tod und Innerlichkeit, die sich auch in Totems und basquiathaft aus Kritzelliniengeflechten aufgebauten schwarzen „Soul Paintings“ findet, die allerdings nicht gemalt, sondern erneut aus schwarzer Seife wie Reliefs modelliert sind. Verblüffend scheint dabei, wie nah er vielfach Caspar David Friedrich und den Romantikern kommt. Sein todesnahes Foto als junger Mann auf dem Grabmonument erinnert an Friedrichs Programmbild „Huttens Grab“, in dem nach jüngster restauratorischer Freilegung wichtige Bezugspersonen des Romantikers wieder zu entziffern sind, gerade wie bei Johnson, der seine Kunstgeschichte kennt: Oft lauten Bildtitel „Signed Angela Davis ,Civil Rights All Stars' Throwback Dashiki Jersey“, tunikaartig aufgespannt wie der Heilige Rock in Trier, oder „Soul Painting ,For Kippy‘“, die Hommagen sind zahlreich in seinem Œuvre. Bereits der Ausstellungstitel „A Poem For Deep Thinkers“ zitiert und würdigt ja den Lyriker Amiri Baraka, besser bekannt als LeRoy Jones. Der Tod aber ist für Johnson „not the end“, gerade so, wie es in dem auf Atheisten-Beerdigungen meistgespielten Song von Bob Dylan heißt.

Dass selbst das bei den Romantikern so beliebte Doppelgängermotiv bei ihm eine Rolle spielt, zeigt etwa das Bild „Birthday Boys“. Das parallele Geburtsdatum mit seinem Sohn bringt ihn zu der Überlegung, dass Männer fast immer Vater und Sohn zugleich sind, aber auch zu tiefen Reflexionen über den Tod seines Vaters.

 Rashid Johnson „Untitled (Shea Butter Table)“ von 2016 präsentiert das für sein Werk zentrale Fett auf einem Teppich und einem Tisch mit BrandzeichenDer schwarze Beuys: Rashid Johnson „Untitled (Shea Butter Table)“ von 2016 präsentiert das für sein Werk zentrale Fett auf einem Teppich und einem Tisch mit BrandzeichenMartin Parsekian

Am schlechtesten altern seine schwarzen Altar-Schrankwände mit Sheabutter und Büchern darin

Die zweite Gruppe der Installationen, häufig schwarze altarartige Schrankwände mit Spiegelmosaiken, Büchern und darin eingestellter Sheabutter, atmet schwer den Duft der Neunziger. Sie wirkt von allen Werkteilen am stärksten zeitgebunden, teils überlebt, da aseptisch steril.

Der dritte, wieder völlig überzeugende Werkblock besteht aus Gefäßen, die Zuwendung benötigen. Die „Untitled Busts“ greifen auf die menschheitsalte Tradition gesichtsförmiger Keramiken zurück, in Johnsons Ausformung auf jene schwarzer Töpfer aus South Carolina um 1850, die Pflanzen als Haarschöpfe haben, mithin auch im Museum gegossen und dauerhaft gepflegt werden müssen. Johnsons Ansatz ist somit eine Kunst, die lebt und mit der und von der man lebt.

 Rashid Johnsons „The Crisis of the Negro Intellectual (The Power of Healing)“ von 2008 gehört zu seiner Serie schrankwandartiger AltäreDesillusioniert: Rashid Johnsons „The Crisis of the Negro Intellectual (The Power of Healing)“ von 2008 gehört zu seiner Serie schrankwandartiger AltäreMartin Parsekian

Der einzige Wermutstropfen der Schau bleibt etwas, wofür Johnson nichts kann, nämlich dass sämtliche schwarze Künstler der aktuell vier großen Schauen in New York (Johnson, Jack Whitten im MoMA, Amy Sherald im Whitney und Lorna Simpson im Met) aus einer einzigen Mega-Galerie stammen, Hauser & Wirth, was in den kunstmarkthörigen USA kaum zufällig zustande kommt. Amerikanische Medien tauften diesen Frühling schwarzer Kunst daher kurzerhand in „Hauser Spring“ um. In Kassel wird sich 2027 zeigen, ob ein Sommermärchen daraus wird. Dass es im New York Trumps trotz Zusagen-Streichungen unter anderem an das Guggenheim überhaupt vier schwarze Blockbuster-Ausstellungen gibt, ist ein gutes Zeichen.

Rashid Johnson. A Poem For Deep Thinkers. Guggenheim New York; bis zum 18. Januar 2026. Der Katalog kostet 65 USD.

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