Popkultur und Vatikan: Konklave ist jetzt cool

vor 13 Stunden 1

Die über 51 Millionen Follower der verschiedenen Profile in neun verschiedenen Sprachen von @Pontifex auf der Plattform X haben sicherlich bemerkt, dass sich der Name des Accounts zu Beginn dieser Woche geändert hat. Aus „Papst Franziskus“ ist „Apostolica sedes vacans“ geworden, was auf Lateinisch „vakanter apostolischer Stuhl“ bedeutet. Auch das Foto ist nicht mehr dasselbe. Das Emblem des Heiligen Stuhls wurde durch das päpstliche Wappen der Sedisvakanz ersetzt. Es zeigt über den gekreuzten Schlüsseln Petri den sogenannten Ombrellino, einen rotgelb gestreiften Schirm, der die Abwesenheit eines Papstes symbolisiert.

Zum selben Zeitpunkt gab der Vatikan bekannt, dass die Vorbereitungen für das Konklave in der Sixtinischen Kapelle begonnen haben und diese von sofort an geschlossen ist – keine Fotos, keine Touristen. Nur jahrhundertealte Tradition und eine Frage: Wer wird der nächste Papst? Der Kamin zum Verbrennen der Wahlzettel, Tische, Stühle werden hineingebracht. Die Sixtinische Kapelle wird zu einer Art Festung – kein Internet, keine Handys, kein anderer Kontakt zur Außenwelt. Nur die eingeschlossenen Kardinäle, allein unter sich. Doch schon jetzt ist eines klar: Das, was am 7. Mai beginnt, wird zugleich das erste virale Konklave der Geschichte sein und das erste, das als popkulturelles Ereignis begangen wird.

Die Kardinäle in einem Trailer der Formel 1

Davon kündet die Menge an Videos, KI-generierten Bildern, Memes und Reels, die es jetzt in den sozialen Medien gibt und die mindestens so enorm ist wie die Anzahl der Trauernden, die dem Papst die letzte Ehre erweisen wollte. Einige der Beiträge auf den Plattformen sind ehrfürchtig-fromm, sehr viele lustig oder auch informativ. Erklärt wird beispielsweise der Ablauf des Konklaves, die teilnehmenden Kardinäle werden steckbriefhaft vorgestellt, was sehr praktisch ist, da die breite Öffentlichkeit ihre Gesichter kaum kennt: Name, Herkunft, Alter, das Maß an Progressivität. Die Posts werden tausendfach gelikt, geteilt und kommentiert. Auf Tiktok sieht man Videos von Kardinälen, die auf dem Petersplatz wie Popstars in die Menge winken. Auf X wird ihre „Papability“, also die Papsttauglichkeit, analysiert. In Italien, wo das Wetten auf den nächsten Papst verboten ist, spielt man „Fantapapa“, ein Onlinespiel, das von den Fantasy-Ligen von Sportfans inspiriert ist und den Kardinälen bestimmte Spielpositionen zuweist: Der mit den geringsten Chancen ist der Torwart.

Überhaupt sind Entlehnungen aus der Welt des Sports allgegenwärtig: Eines der mit KI erzeugten Videos zeigt die als Favoriten geltenden Kardinäle mit ihren roten Roben in einem Trailer, der eigentlich zur Formel 1 gehört. Sie blicken ernst, die Hände gefaltet, oder nehmen eine typische Rennfahrerpose ein mit vor der Brust verschränkten Armen und konzentriertem Blick. Dazu läuft an- und abflauendes Motorengeräusch, als flitze ein Rennauto vorbei, sowie dramatische Musik.

Bergolios Art der Kommunikation als „Segen“

Ist das alles nur Spielerei? Oder Ausdruck eines wiedererwachten Interesses am Katholizismus und einer Sehnsucht nach Tradition und Ritualen? So oder so dürfte sich die Kirche angesichts der hohen Austrittszahlen über den flirrenden und gut gelaunten digitalen Wirbel um das Konklave freuen. Franziskus, der als erster Papst selbst aktiv die sozialen Medien nutzte, um mit den Gläubigen zu kommunizieren, war für viele in der Generation der Digital Natives auch ein Popstar. Was man jetzt auf Instagram, X und Tiktok erlebt, ist auch die Manifestation seines Erbes.

Als er als neuer Pontifex aus der Konklave 2013 hervorging, gab es weder KI noch Tiktok. Das Wort des Jahres des Oxford Dictionary war „Selfie“, und wer auf Instagram elf Likes bekam, galt als cool. Die Instagramability von betenden Menschenaufläufen, katholischem Pomp und Hochämtern war noch niemandem aufgefallen, und das Interesse der jungen Generation an einer der ältesten Institutionen der Welt überschaubar. Dann trat am 13. März 2013 Papst Franziskus mit einem einfachen „Buonasera“ auf den Balkon des Petersdoms. Ein paar Monate später zierte er das Cover des „Rolling Stone“, und das „Time Magazine“ hatte ihn zur „Person des Jahres“ gekürt.

Der alte Renault 4 des Papstes wirkte mehr als der klassische weiße MercedesDer alte Renault 4 des Papstes wirkte mehr als der klassische weiße Mercedesdpa

Seine Interpretation des Papsttums und seine Rhetorik bedeuteten einen Wandel, der dazu führte, dass jungen Menschen das Amt nicht mehr einzig als Institution für Glaubens- und Kirchenbelange erschien, sondern auch als Instanz für drängende politische und kulturelle Fragen, auf die Regierungen oftmals unbefriedigende Antworten lieferten. Franziskus wirkte rebellisch in seiner Inklusivität. Er wusch die Füße von Gefängnisinsassen, von Muslimen und Frauen. Er bestätigte, dass auch Hunde in den Himmel kommen und erklärte, Wein sei „ein Geschenk Gottes“. Er erlaubte die Segnung von LGBTQ+-Paaren und kritisierte rechtsextreme Populisten und deren Umgang mit Migranten. Er rief zu konkreten Schritten gegen den Klimawandel auf, verurteilte Israels Bombardierung des Gazastreifens. Der von ihm verkörperte Katholizismus stand für Gemeinschaft, Identität, Gewissheit – kurz gesagt für Dinge, an denen es vielen jungen Menschen der Generation Z nach eigenem Bekunden fehlt.

Franziskus öffnete so eine Institution, die viele als veraltet und ausgrenzend betrachten. Bilder spielten dabei von Anfang an eine wichtige Rolle. Der einschüchternden Ikonographie des Vatikans setzte er gezielt Alltägliches gegenüber und Hochheiligem Profanes. Statt im apostolischen Palast zu wohnen, zog Franziskus in das Gästehaus, das man als Unterkunft für die Wähler im Konklave eingerichtet hatte. Statt wie seine Vorgänger nur im weißen Mercedes herumzufahren, ließ er sich auch in einem dreißig Jahre alten Renault 4 mit Schaltgetriebe chauffieren. Diese Nahbarkeit entmystifizierte seine Botschaft des Glaubens und das Amt selbst. „Wir sind einfach sehr gesegnet, dass wir in diesem Moment jemanden haben, der in seiner Art zu kommunizieren sehr visuell ist“, sagte 2017 der Kurienbischof Paul Tighe, Sekretär des Päpstlichen Rates für Kultur, in einem Interview.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Im Gegenzug holte die junge Generation den Papst in ihre Welt der Memes und KI. Im Frühjahr 2023 ging ein Foto viral, in dem er einen auf Taille geschnittenen weißen Daunenmantel zu einem großen Kruzifix trägt. Es entpuppte sich als KI-generiert und wirkte wie ein Signal, der Phantasie freien Lauf zu lassen und Bilder des Papstes beim Rasenmähen, beim Grillen, als Footballstar zu erzeugen.

Ihr Tenor ist nicht spöttisch, aber eine ästhetische Übersetzung von Bergoglios moderner Herangehensweise an seine traditionelle Rolle. Sicherlich, die unzureichende Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in katholischen Kirchen weltweit wurde scharf kritisiert, ebenso seine Zurückhaltung bei den Rechten für LGBTQ+ und bei Frauenfragen. Doch zeigte er bei Themen, denen ein weniger progressiver Papst keinerlei Beachtung geschenkt hätte, Problembewusstsein, und deshalb beobachtet die Generation Z nun genau, ob jemand sein Nachfolger wird, der, was Franziskus säte, mit Nachdruck fortführen könnte – oder nicht.

Wie man sich die Wahl vorstellen kann oder wie es ist, im „Raum der Tränen“ das Kardinalsgewand gegen die weiße Papstsoutane einzutauschen, um so auf den sogenannten Verkündbalkon zu treten, haben Kinofilme und Serien geschildert, die das Interesse am Vatikan verstärkten und nicht zufällig in die Zeit von Franziskus’ Pontifikat fallen. Bis dahin war die Figur des Papstes im Film, sieht man von ein paar biographischen Werken ab, immer eine tabuisierte gewesen. Paolo Sorrentinos Serie „The Young Pope“, die als „The New Pope“ fortgeführt wurde, verknüpfte Katholizismus schillernd mit Popkultur und beginnt genau auf diesem Verkündbalkon, auf den Lenny Belardo, gespielt von Jude Law, sich als Papst Pius XIII. präsentiert. Er ist durch und durch reaktionär, Sorrentino schuf bewusst einen Gegenentwurf zu Papst Franziskus – und machte damit en passant deutlich, was man an dem gegenwärtigen Papst hatte. Belardo ist noch keine fünfzig, sieht gut aus, „besser als Christus“, wie er selbst sagt, raucht, trinkt morgens nur eine Cherry Coke Zero und verwehrt der Welt sein Bild. Die Erneuerung von Glaube und Kirche soll durch Schmerz und Selbsterniedrigung gehen, durch Buße und die Hinwendung zum Mysterium.

Jude Law als Papst Pius XIII. in „The Young Pope“ von Paolo SorrentinoJude Law als Papst Pius XIII. in „The Young Pope“ von Paolo SorrentinoSky

Ein solcher Papst droht auch aus der Wahl in „Konklave“ von Edward Berger hervorzugehen. Den 2024 mit einem Oscar und Golden Globe geehrten Film haben in Deutschland im Kino fast eine Million Menschen gesehen. Seit Papst Franziskus’ Tod verzeichnet er im Streaming einen Anstieg um 247 Prozent, meldete gerade die katholische Presseagentur, und einige der am meisten gelikten Memes, die in diesen Tagen wie eine Vorberichterstattung zur echten Papstwahl im Internet kursieren, nehmen auf ihn Bezug. Er ist der Film der Stunde und erzählt, wie nach dem Tod von Papst Gregor XVII. das Konklave unter der Leitung von Kardinal Thomas Lawrence (Ralph Fiennes) zusammentritt. Politische Intrigen, Klatsch und Tratsch bestimmen das Geschehen unter den Fresken von Michelangelo. Ein Traditionalist würde die Reformen und die liberalen Ansätze des vorherigen Pontifex ruinieren – in der historischen Gegenwart spricht genau diese Sorge auch aus vielen der Kommentare in den sozialen Medien.

 Ralph Fiennes gibt als Kardinal Lawrence in „Konklave“ von Edward Berger seine Stimme ab.Der Film der Stunde: Ralph Fiennes gibt als Kardinal Lawrence in „Konklave“ von Edward Berger seine Stimme ab.Leonine Studios

Fast 70 Prozent der wahlberechtigten Kardinäle wurden von Franziskus selbst ernannt. Das reicht aber nicht aus, um einen Nachfolger, der seine Vision fortführt, zu garantieren. Beobachter der Diskussion in den sozialen Medien haben drei Favoriten der Generation Z ausgemacht: Kardinal Matteo Maria Zuppi, Erzbischof von Bologna, bekannt für seine progressive Haltung und seine Nähe zum verstorbenen Papst; Kardinal Pierbattista Pizzaballa, Lateinischer Patriarch von Jerusalem, der unter anderem fließend Arabisch und Hebräisch spricht und sich für die Aufnahme von Flüchtlingen und für Frauen in Führungspositionen starkgemacht hat, sowie Kardinal Luis Antonio Tagle aus Manila, der ebenfalls gegen die Marginalisierung von LGBTQ+-Personen eintritt und den Ausschluss von Geschiedenen von der Kommunion kritisiert.

Wird das Votum in den sozialen Medien das Wahlverhalten des Konklaves beeinflussen? Wer nicht auf Instagram, Tiktok oder einer anderen Plattform unterwegs ist, bekommt von den Präferenzen der jungen Generation nichts mit. Einige Kardinäle sind dort selbst sehr aktiv. Allen voran Luis Antonio Tagle, er hat auf seinem verifizierten Facebook-Profil, wo er Gebete und Evangelisierungsvideos postet, 636.000 Follower. Andere, etwa Kardinal Matteo Maria Zuppi, haben nie einen Account eröffnet.

Viele Likes hat auch das sympathische Selfie bekommen, das die drei jüngsten Kardinäle des Konklaves in diesen Tagen von sich im Petersdom aufgenommen haben. Kardinal Américo Manuel, 51, aus Portugal, Kardinal Mykola Bychok, 45, aus der Ukraine und Kardinal Giorgio Marengo, 50, aus Italien. Keiner der drei hat allerdings eine Chance, im Konklave gewählt zu werden. Einen so jungen Papst gibt es nur im Film und nicht im echten Vatikan.

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