Ende 1984 war die eben noch so vielversprechende Popstar-Karriere des österreichischen Sängers und Bassisten Johann Hölzel allem Anschein nach vorbei. Bekannt geworden war er unter dem Künstlerpseudonym Falco, getragen von der Neuen Deutschen Welle hatte er 1982 mit „Der Kommissar“ einen gigantischen Hit gehabt. 1983 begann er mit den Arbeiten zu seinem zweiten Album. Hölzel steigerte sich in eine gewaltige Hybris hinein. Er erzählte sämtlichen österreichischen Journalisten, er werde künstlerisch und kommerziell eine Latte überspringen, die nie ein Österreicher zuvor genommen habe.
Die Erwartungshaltung an das Werk stieg ins Unendliche. Aber als das stylisch unterkühlte Album „Junge Roemer“ 1984 erschien, wurde es ein Flop. Offenbar war es nicht das, was die Fans nach all den großen Ankündigungen erwartet hatten. In Österreich hatte das Album zwar solide Verkaufszahlen, aber einen Hit warf es nicht ab. Und im Ausland interessierte sich niemand mehr für den NDW-Star Falco.
Ein Projekt mit Kunstfigur
Schon die Arbeiten an „Junge Roemer“ hatten den sensiblen Avantgardisten und Perfektionisten Hölzel in eine Krise gestürzt. Die Angst, den von ihm geweckten Erwartungen nicht standhalten zu können, betäubte er mit Alkohol und sämtlichen anderen Drogen, die in der Wiener Szene zu haben waren. Nach dem Flop wurde es damit nicht besser. „Junge Roemer“ war zu hundert Prozent Falco gewesen, Hölzel steckte in jedem einzelnen Detail der Konzeption dieses Kunstwerks. Dass es scheiterte, verstörte ihn zutiefst. Er reagierte mit einer Mischung aus Selbstzweifeln und rigorosen Schuldzuweisungen. Seine Angst, zur Eintagsfliege zu werden, war dabei nicht gänzlich unbegründet. Viele NDW-Stars mussten 1985 feststellen, dass sich das Publikum nicht mehr für sie interessierte.
„Falco“ war kein Ein-Mann-Betrieb, sondern ein Projekt rund um die von Hölzel personifizierte gleichnamige Kunstfigur. Die Gesamtleitung des Projekts hatte bis zum Beginn der Neunzigerjahre bei Hölzels Manager Horst Bork gelegen. Die künstlerische Leitung lag bei Hölzel. Er sah sich als „Director“, performte, textete und konzipierte. Die jeweiligen musikalischen Partner waren für die Musik verantwortlich, das Duo Hannes Rossacher und Rudi Dolezal entwarf und filmte die Videos. Bei der Produktion von „Junge Roemer“ hatten sich Hölzel und sein Hauskomponist Robert Ponger zerstritten. An eine weitere Zusammenarbeit mit dem Komponisten des Hits „Der Kommissar“ war nicht mehr zu denken. Orientierungslos trieb der ehemalige Superstar dahin. Währenddessen gab Horst Bork nicht auf. Er wollte die Karriere seines Stars wieder aufbauen und machte sich auf die Suche nach neuen musikalischen Partnern.
Er glaubte, sein Publikum werde ihn dafür verachten
Unterdessen war im September 1984 in den USA der Film „Amadeus“ angelaufen. Der mitreißende Kostümfilm des Regisseurs Miloš Forman variierte anhand der frei erzählten Lebensgeschichte des österreichischen Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart das Thema „Genie und Wahnsinn“. Der Hauptdarsteller Tom Hulce war mit bunten Rokokokleidern und zerzausten, bunt gefärbten Perücken ausgestattet worden. Er stellte Mozart als einen exaltiert lachenden, genialen New-Romantic-Punk dar. Hulce spielte einen hedonistischen Superstar, der trank, liebte und feierte, wie es ihm gerade einfiel, der über seine Verhältnisse lebte und sich schließlich selbst ruinierte. Der Film hätte auch „The Rise and Fall of Amadeus Mozart“ heißen können. Mit der Realität hatte die Handlung nur entfernt zu tun. Aber sie brachte Mozart einem zeitgenössischen Publikum in einer ansprechenden Weise nahe. Der Film wurde weltweit ein großer Erfolg und löste eine Art Mozart-Boom aus. 1985 wurde er mit acht Oscars ausgezeichnet. Mozart war ein popkulturell relevantes Phänomen geworden.
Aber Johann Hölzel interessierte sich nicht für den Amadeus-Hype. Er war inzwischen davon überzeugt, dass er mit dem Song „Munich Girls“ sein Comeback als Falco schaffen würde. „Munich Girls“ war eine Coverversion des Songs „Looking for Love“ der damals sehr angesagten amerikanischen Synthieband The Cars. Hölzel hatte dem Song ein paar neue Textzeilen verpasst und ihn sich so zu eigen gemacht. Aber Horst Bork war nicht überzeugt. Er hatte inzwischen neue Kreativpartner für seinen Star gefunden. Die Brüder Rob und Ferdi Bolland stammten aus Südafrika und hatten bereits einige Achtungserfolge im Schlager- und Popbusiness erzielt. Der größte davon hieß „In the Army Now“, der in ihrer Interpretation ein mittelgroßer Hit geworden war.
Unter den Demos, die sie an Bork und Hölzel schickten, war auch ein Song mit dem Titel „Amadeus“ – im Gegensatz zu Hölzel lauschten die Bollands mit einem Ohr stets am Gleis des Zeitgeistexpresses. Sie hielten es für eine große Chance, auf den Amadeus-Hype aufzuspringen. Während Bork in dem Amadeus-Demo einen klaren Hit erkannte, fand Hölzel den Song peinlich. Er glaubte, sein Publikum werde ihn dafür verachten, wenn er sich auf opportunistische Weise an den Hype dranhänge. Einer Aufnahme des Songs mit den beiden „Kasrollern“, wie er die in den Niederlanden lebenden Bollands spöttisch nannte, stimmte er nur deshalb zu, weil sie ihrerseits zusagten, „Munich Girls“ mit ihm einzuspielen. Horst Bork überlieferte die goldenen Worte Hölzels, bevor er „Amadeus“ im Studio einsang: „Ich singe diesen Titel nur unter größtem Widerstand und auf Druck meines Managements!“
Gravierende Fehleinschätzungen
Johann Hölzels Hang zu gravierenden Fehleinschätzungen ist legendär. In dem Song „Der Kommissar“ hatte er lediglich eine bei dem Rick-James-Hit „Super Freak“ abgekupferte Single-Rückseite für seinen Song „Helden von heute“ gesehen. Später weigerte er sich, eine englische Version des „Kommissars“ aufzunehmen. Das tat dann die Band After the Fire. Sie schaffte es mit einer ziemlich lauen Version in die Top Ten der US-Charts. 1987 schlug Hölzel sogar ein Duett mit Madonna aus, stimmte kurz danach aber einem gemeinsamen Song mit dem Starlett Brigitte Nielsen zu, der floppte. Zum Glück hörte Hölzel im Falle von „Rock Me Amadeus“ auf sein Team.
Mit klassischer Musik hat der Song nichts zu tun. Er ist zu hundert Prozent hochkarätiger, amerikanisch beeinflusster Mainstreampop. Die Qualität der im Viervierteltakt geschriebenen Komposition besteht in ihrer radikalen Reduktion auf einen Grundloop, der auf den Akkorden A-Moll, F-Dur, D-Moll und G-Dur beruht. Darüber legen die Bollands eine mal vom Keyboard, mal von der E-Gitarre gespielte, sehr schlichte, fanfarenartige Melodie. Der Refrain des Songs ist eine Variation dieser Fanfare. Unterlegt wird das mit einem groovigen Schlagzeug sowie einem streng an diesem entlangspielenden Bass. Darüber werden die übrigen Instrumente verteilt. Nach zwei Strophen steigert sich der Song immer mehr, wobei vor allem Hölzel seine Gesangsimprovisationskunst unter Beweis stellen darf, und endet schließlich abrupt mit dem als Ausrufezeichen tief gesungenen, nachhallenden Wort „Amadeus“. Falco rappt die Strophen auf seine unvergleichliche Art. Die Bollands erfanden dafür das Wort „Falconizing“.
Den Text hatte Falco gemeinsam mit seinen neuen Produzenten geschrieben. Zwar wird ein klarer zeitlicher Rahmen gesetzt („Es war um 1780 und es war in Wien …“), gleichzeitig aber werden anachronistische Begriffe eingeführt, die eher in die Gegenwart der Achtzigerjahre passten („Punker“, „Plastic Money“, „Superstar“). Was der Text dadurch leistet, beschreibt der Falco-Experte Michael Rager so: „… Falco schaffte es durch diesen Song, eine Art Personalunion zwischen ihm und Mozart zu schaffen: Selbstverständlich trafen alle Eigenschaften, die er Mozart in diesem Song zuschrieb, auch auf ihn selbst zu (Wien, Schulden, Frauen, Superstar, exaltiert, Flair etc.) …“
Plötzlich internationaler Superstar
Bei alten Kirchengemälden werden die biblischen Ereignisse oft in der Gegenwart ihrer Produktion dargestellt. So sind bei der Kreuzigung Jesu keine römischen Soldaten anwesend, sondern Landsknechte. Nicht nur Maria und die Jünger stehen unter dem Kreuz, sondern auch der Bischof, der Bürgermeister und ein paar reiche Gönner. „Chronoferenz“ nennt die Geschichtswissenschaft diese Form der Überlagerung von Vergangenheit und Gegenwart. Und genau das machen die Bollands und Falco in ihrem Text auch. Die Gegenwart („Punker“, „Plastic Money“) ist in der Vergangenheit anwesend, und die Vergangenheit (1780) in der Gegenwart.
Das Video von Hannes Rossacher und Rudi Dolezal setzt das Programm in einprägsamen Bildern um. Falco tritt in seinem Junge-Roemer-Outfit vor einem Rokoko-New-Romantics-Publikum auf, er performt aber auch vor Rockern und Punkern als Tom-Hulce-Amadeus, bis sich schließlich die beiden Zeitebenen vermischen. Für das Publikum wurde Falco zu Amadeus und Amadeus zu Falco. Die Aura des mozartischen Geniekultes erstrahlte jetzt auch über Falcos Haupt. Spätestens seit März 1986 ist es nicht mehr möglich, an Falco zu denken, ohne gleichzeitig den Widerhall des Refrains „Amadeus, Amadeus“ im Kopf zu hören.
„Rock Me Amadeus“ transformierte Falco von einer der vielen untergegangenen NDW-Kuriositäten in einen internationalen Superstar. Nachdem der Song im Mai 1985 veröffentlicht worden war, kletterte er in Österreich und Deutschland auf den ersten Platz der Singlecharts. Auch in anderen Ländern erlag das Publikum der Strahlkraft dieses genialen Popsongs. Und schließlich eroberte er als erster und bis heute einziger deutschsprachiger Popsong im März 1986 sowohl in Großbritannien als auch in den USA die Spitzenposition der Charts. In den Jahren 1985 und 1986 war Falco der Größte.
Rückzug aus dem kreativen Prozess
Der Mensch Johannes Hölzel dagegen schrumpfte immer mehr. „Falco“ war eine von ihm erschaffene extravagante und arrogante Kunstfigur gewesen, die den sensiblen Menschen Hölzel schützen sollte. Aber mit dem internationalen Erfolg wuchs ihm die Amadeus/Falco-Figur immer mehr über den Kopf. „Er freute sich aufrichtig und intensiv über jede Platzierung in den Hitparaden, aber einen Augenblick später saß er abseits in einer Ecke, trank wie zur Betäubung drei doppelte Whisky und haderte mit der Situation“, berichtete Horst Bork. Die Nachricht, dass „Rock Me Amadeus“ in den USA auf dem ersten Platz angekommen war, erreichte Hölzel bei einem Essen mit dem Chef seiner Plattenfirma. Während alle Anwesenden jubelten, schaute Hölzel ernst und meinte, so etwas schaffe er doch nie wieder. Falco benahm sich stets, als stünde ihm der Erfolg von Natur aus zu, Hölzel dagegen war voller Zweifel und Angst.
Der Verfall des kreativen Musikers Johann Hölzel hatte bereits mit dem Scheitern von „Junge Roemer“ begonnen. Mit der Ära Bolland begann sein schrittweiser Rückzug aus dem Prozess des Songwritings. Und gerade als „Rock Me Amadeus“ international abhob, wurde seine Tochter geboren. Horst Bork stellte sich einen Umzug Falcos in die USA vor, um dort seine internationale Karriere weiter zu betreiben. Aber Johann Hölzel wollte zu Hause bei seiner Familie sein und blieb in Wien. Das Schönste an der amerikanischen Flagge seien die rot-weiß-roten Streifen, zitiert ihn Bork. Hölzel merkte sehr schnell, dass ein Familienleben, wie er es sich vorstellte, mit dem zeitintensiven Leben des Superstars Falco nicht zu vereinbaren war. Und das zerriss ihn. Er und sein Team produzierten weiterhin Hits wie „Vienna Calling“, „Jeanny“ oder „The Sound of Musik“, erreichten aber nie mehr die kreative Kraft, die sie bei „Junge Roemer“ entfaltet hatten, und auch nicht mehr das kommerzielle Potential der „Amadeus“-Phase.
Dass man Falco heute noch kennt, verdankt er vor allem seinem Überhit „Rock Me Amadeus“. Er legte den Grundstein für den postumen Falco-Mythos. Dieser erzählt vom Aufstieg und Fall des tragischen Genies Falco, das mit seinen Dämonen (innere Zerrissenheit, Drogen, Karriere oder Familie) kämpft und verliert. Die Kunstfigur Falco ist in dieser Erzählung eine Art Mephisto, die mit Johann Hölzel einen teuflischen Pakt um dessen Seele abschließt. Im Kern beruht die mythische Narration auf der Filmfigur „Amadeus“ (genial, exzentrisch, tragisch), die auf die Kunstfigur Falcos übertragen wurde. Vervollständigt wurde die mythische Narration 1998 durch den tragischen Unfalltod Hölzels und seinen Song „Out of the Dark“ mit der scheinbar prophetischen Textzeile „Muss ich denn sterben / um zu leben?“. Spätere Bühnenproduktionen wie „Falco meets Amadeus“ oder „Rock Me Amadeus – Das Musical“ greifen genau dieses Motiv auf. Sie inszenieren Falco als gequältes Genie, eine Figur, die zwischen Größenwahn und Selbstzerstörung schwankt. „Rock Me Amadeus“ bleibt eine staunenswerte Teamarbeit, die den Zeitgeist des Jahres 1985 perfekt einfängt und bis heute strahlt.
Von Jens Buchholz ist 2004 das Buch „Falco: Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“ im Klartext Verlag erschienen.
Falco: „Rock Me Amadeus“
Eh!
Rap it up
Up to the top
Er war ein Punker
Und er lebte in der großen Stadt
Es war in Wien, war Vienna
Wo er alles tat
Er hatte Schulden denn er trank
Doch ihn liebten alle Frauen
Und jede rief
Come on and rock me Amadeus
Er war Superstar
Er war populär
Er war so exaltiert
Because er hatte Flair
Er war ein Virtuose
War ein Rockidol
Und alles rief
Come on and rock me Amadeus
Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus
Oh, oh, Amadeus
Come on and rock me Amadeus
Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus
Oh, oh, Amadeus
Eh!
Es war um 1780
Und es war in Wien
No plastic money anymore
Die Banken gegen ihn
Woher die Schulden kamen
War wohl jedermann bekannt
Er war ein Mann der Frauen
Frauen liebten seinen Punk
Er war der Superstar
Er war so populär
Er war zu exaltiert
Genau das war sein Flair
Er war ein Virtuose
War ein Rockidol
Und alles ruft noch heute
Come on and rock me Amadeus
Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus
Oh, oh, Amadeus
Come on and rock me Amadeus
Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus
Come on and rock me Amadeus
Oh, oh, oh
Come on and rock me Amadeus
Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus
Oh, oh, Amadeus
Come on and rock me Amadeus
Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus, Amadeus
Oh, oh, Amadeus
Na, na, na
Oh, oh, oh
Come on and rock me Amadeus
(Quelle: https://falco-compendium.at/musik/falco-3/rock-me-amadeus/)