Bei den gesetzlichen Krankenkassen droht das nächste Finanzloch: Experten fordern deshalb Reformen und schlagen vor, dass Patienten künftig mehr aus eigener Tasche bezahlen sollen, berichtet die „Bild“. Das solle die Kassen entlasten und den drohenden Anstieg der Beiträge für Arbeitnehmer und Arbeitgeber bremsen.
Patienten könnten etwa einen größeren Eigenanteil beim Kauf von Arzneimitteln übernehmen. „Es gibt 8000 Krankheiten. Aber bisher sind nur sechs oder sieben auf der Liste, bei denen die Medikamente nicht von den Kassen übernommen werden, unter anderem Erkältungserkrankungen“, kritisierte Jürgen Wasem, Gesundheitsökonom an der Universität Duisburg-Essen, in der Zeitung. Die Politik solle die Liste „sehr genau ansehen und prüfen, was davon die Kassen künftig nicht mehr übernehmen“.
Der medizinische Fortschritt ist gigantisch. Aber der kostet eben Geld.
Andreas Gassen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV)
Zudem forderte Wasem höhere Zuzahlungen: „Die Rezeptgebühr und zehn Euro Krankenhaus-Zuzahlung sind seit 20 Jahren nicht mehr erhöht worden. Auch da müsste die Politik ran.“
Auch der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, will, dass Patienten künftig mehr aus eigener Tasche bezahlen. „Der medizinische Fortschritt ist gigantisch. Aber der kostet eben Geld“, sagte er dem Blatt. Die Vorsitzende der „Wirtschaftsweisen“, Monika Schnitzer, forderte, die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern zu kippen. „Der Fehlanreiz, im Minijob zu verharren, statt selbst sozialversicherungspflichtig zu arbeiten, wird dadurch reduziert“, sagte sie der Zeitung.
Drohendes Milliardenloch bei Krankenkassen
Ohne Reformen drohe 2027 ein Loch von zwölf Milliarden Euro und ein weiterer Anstieg der Kassenbeiträge um bis zu 0,8 Punkte, hatte die Zeitung am Wochenende berichtet. Die Hälfte der Beiträge übernimmt der Arbeitgeber. Je nach Einkommen würde das eine Mehrbelastung von bis zu 22 Euro pro Monat und bis zu 264 Euro pro Jahr bedeuten. Bei einem Monatsbruttoeinkommen von 2000 Euro rechnet die Zeitung mit monatlichen Mehrbelastungen von acht Euro – 183 Euro pro Jahr.
Bereits Anfang Juli hatten die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) vor neuen Beitragserhöhungen ohne eine rasche Bremse für steigende Kosten gewarnt. „Die Ausgabendynamik ist ungebrochen. Wenn sie so hoch bleibt, dann steigen die Zusatzbeiträge zum Jahreswechsel erstmals auf drei Prozent“, sagte der neue Vorstandschef des GKV-Spitzenverbands, Oliver Blatt, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ am 1. Juli.
Hoffen auf Aufschwung „gewagt“
Die Spirale drehe sich immer weiter, warnte GKV-Chef Blatt. Bei den Kliniken legten die Kosten aktuell um fast zehn Prozent zu, bei den Praxen um sieben Prozent, bei Arzneien um mehr als sechs Prozent. Blatt betonte mit Blick auf jüngste Tarifsteigerungen, es gebe nicht zu wenig Einnahmen, sondern zu hohe Ausgaben. „Die Zuversicht der Politik, es werde schon irgendwie gut gehen, ist mehr als gewagt“, sagte er zu Hoffnungen auf einen Wirtschaftsaufschwung.
Der Verband forderte erneut, dass die Gesamtausgaben nicht stärker steigen dürften als die Einnahmen der Kassen. „Das heißt nicht, dass es Nullrunden geben wird“, sagte Blatt. Am Beispiel dieses Jahres dargestellt, könnten die Ausgaben um 5,1 Prozent steigen, also wie die Einnahmen aus den Beiträgen.
Finanzlücke für 2026 schon in Sicht
Die Bundesregierung plant, die Kassen über den regulären Jahreszuschuss von 14,5 Milliarden Euro hinaus zu stützen. Das Kabinett verständigte sich in den Eckpunkten für den Haushalt 2025 auf zwei neue Darlehen und die spätere Rückzahlung eines alten Darlehens. Das soll die Lücke für 2026 reduzieren. Dem Gesundheitsministerium zufolge reicht es aber noch nicht, um Beitragssteigerungen zu verhindern. GKV-Chef Blatt nannte die Darlehen „politische Augenwischerei“.
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) bekräftigte das Ziel, in den Haushaltsberatungen noch mehr Geld zu mobilisieren. Sie wandte sich gegen Überlegungen der mitregierenden SPD, die Beitragsbemessungsgrenze für die Krankenversicherung anzuheben. Dies bedeutete auch eine Beitragserhöhung, die man vermeiden wolle, um Arbeit nicht noch teurer zu machen, sagte Warken im ARD-„Morgenmagazin“ am 1. Juli.
Betragssteigerungen würden nicht nur Spitzenverdiener treffen, sagte Warken. „Auch Facharbeiter würden einige Hundert Euro mehr im Jahr dann zahlen müssen.“ Aktuell liegt die Grenze bei 5.512,50 Euro monatlich – bis zu dieser Schwelle müssen Beiträge abgeführt werden, Einkommen darüber bleibt beitragsfrei. (Tsp/dpa)