Die Lage am Morgen Österreich sucht Antworten
Heute geht es um die erschütternde Gewalttat an einer Schule in Graz. Um das Treffen der deutschen Innenminister. Und um Polens politische Zukunft.
11.06.2025, 05.40 Uhr
Die Fragen nach der Tragödie
Der Wiener Stephansdom ist schwarz beflaggt. Die Trauerglocke des nationalen Wahrzeichens wird heute um 10 Uhr zu einer landesweiten Gedenkminute läuten. Österreich trauert um die Opfer der schwersten Amoktat seiner Geschichte.
Am Dienstag erschoss ein 21-Jähriger in seiner ehemaligen Schule in Graz zehn Menschen und nahm sich anschließend das Leben. Elf weitere Menschen wurden teils schwer verletzt.

Trauernde am Dienstagabend in Graz
Foto: Erwin Scheriau / APA / dpaBundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) rang um Worte, die seinem Land in diesen schweren Stunden Halt geben sollen. Stocker sprach von einer »nationalen Tragödie«, ordnete drei Tage Staatstrauer an. Ein Land hält inne. Und fragt zugleich, wie es zu diesem Unheil kommen konnte.
Österreich debattiert über schärfere Waffengesetze, strengere Einlasskontrollen an Schulen, mehr Schulpsychologen. Ähnlich war es auch hierzulande, nach den Amokläufen von Erfurt 2002 und Winnenden 2009. Es sind ritualisierte Debatten, die wohl dabei helfen sollen, das Gefühl der Ohnmacht nach solchen Geschehnissen ein wenig zurückzudrängen.
Der Täter war den Behörden zuvor nicht aufgefallen, besaß zwei Schusswaffen, offenbar legal. Hat jemand etwas übersehen? Die Polizei fand einen Abschiedsbrief. Das Schreiben gebe aber keinen Hinweis auf das Motiv des Schützen, hieß es. (Mehr zum Ablauf der Tat finden Sie hier.)
In Graz rücken die Menschen zusammen. Hunderte versammelten sich am Abend in der Innenstadt, zündeten Kerzen an; viele folgten dem Aufruf, Blut zu spenden.
Zur selben Zeit gewann die österreichische Fußballnationalmannschaft ihr zweites WM-Qualifikationsspiel gegen San Marino. Die Spieler liefen mit Trauerflor auf. An diesem schwarzen Tag hätten sie besser ganz aufs Spielen verzichtet.
Mehr Hintergründe: 17 Minuten Albtraum
AfD-Verbot? Pssst
Heute Nachmittag kommen in Bremerhaven die zwölf Innenminister und die vier Innenministerinnen der Länder zusammen, drei Tage lang wollen sie über Fragen der inneren Sicherheit beraten.

AfD-Verbotsverfahren: Nicht auf der Tagesordnung, trotzdem Thema
Foto: Bodo Schackow / dpaDer Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Bremens Innensenator Ulrich Mäurer, macht die zunehmende Gewalt gegen Frauen zum Thema. Der SPD-Politiker wirbt dafür, dass Gewalttätern nach richterlicher Anordnung elektronische Fußfesseln angelegt werden können. Gefährdete Frauen sollen rechtzeitig etwa per Smartwatch erkennen können, ob sich gewalttätige Ex-Partner nähern; in Spanien ist das bereits möglich (hier erfahren Sie mehr über das spanische Modell).
Auch Bundesinnenminister Alexander Dobrindt reist nach Bremerhaven, der CSU-Minister wird sicher viele Fragen zu seinen Grenzkontrollen beantworten müssen. Ein drängendes Thema wird im offiziellen Teil der Konferenz aber ausgespart: die Debatte über ein AfD-Verbotsverfahren. Zu kontrovers.
CDU/CSU und SPD sind sich nicht einig, und selbst in der Union streiten sie darüber, ob gegen die Partei ein Verbotsverfahren anlaufen sollte, nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz sie im Mai für gesichert rechtsextrem erklärt hatte (warum, lesen Sie hier ). Dobrindt ist dagegen, während sich die CDU-Länderchefs Daniel Günther (Schleswig-Holstein) und Kai Wegner (Berlin) dafür offen zeigen.
Kaum ein Thema bewegt Innenpolitiker derzeit so stark wie die AfD und die Chancen eines Verbots. Am Rande des Innenministertreffens, in einer vertraulichen Runde, die als »Kamingespräch« bezeichnet wird, dürfte es viel darum gehen.
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Tusk will's wissen
Polens Ministerpräsident Donald Tusk hatte gehofft, mit einem neuen Präsidenten an der Staatsspitze endlich seine Projekte durchbringen zu können: ein liberaleres Abtreibungsrecht, die Entpolitisierung der Justiz. Doch Tusk erlitt bei der Präsidentschaftswahl vor rund zehn Tagen eine schwere Niederlage. Nicht der Kandidat des Regierungslagers gewann, sondern der nationalkonservative Kandidat Karol Nawrocki, Ex-Hooligan, EU-Skeptiker, der nationalpopulistischen Pis-Partei verbunden.

Ministerpräsident Tusk: Harte Konflikte
Foto: Radek Pietruszka / EPATusk und Nawrocki steuern auf harte Konflikte zu, da möchte der Premier sichergehen, dass seine Mitte-links-Koalition hinter ihm steht. Tusk stellt heute im Parlament die Vertrauensfrage. Ein riskantes Manöver?
Mein Kollege Jan Puhl aus dem SPIEGEL-Auslandsressort sagt: »Tusks breite Koalition aus Linken, Liberalen und gemäßigt Konservativen steht, das Parlament – damit darf er rechnen – wird ihm das Vertrauen aussprechen.« Keine der Regierungsparteien habe derzeit Interesse an Neuwahlen, erklärt Jan, denn sie alle müssten mit schlechten Ergebnissen rechnen.
Tusk sagt, er hoffe auf einen »Neubeginn« nach bestandener Vertrauensfrage. Nawrocki hingegen kündigt »starken Widerstand aus dem Präsidentenpalast« an. Polen drohen Jahre des politischen Stillstands.
Mehr Hintergründe: Ein Präsident für noch härtere Blockaden
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Gewinner des Tages …
… ist Generalleutnant Ingo Gerhartz. Der Luftwaffenoffizier wechselt nach sieben Jahren als Inspekteur der Luftwaffe auf einen Top-Posten bei der Nato. Gerhartz, 59, wird heute zum Befehlshaber an der Spitze des Nato-Hauptquartiers im niederländischen Brunssum ernannt, eines von zwei operativen Hauptquartieren der Allianz in Europa.

Generalleutnant Gerhartz
Foto: Annegret Hilse / REUTERSAnfang vergangenen Jahres geriet Gerhartz in die Schlagzeilen, weil er sich über eine unsichere Verbindung in eine Schalte zum »Taurus« eingewählt hatte. Moskau verbreitete den Tonband-Mitschnitt. Für Gerhartz war das ziemlich peinlich, er musste eine Disziplinarbuße zahlen. Aus Sicht von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) war die Sache damit erledigt.
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
Slowakei droht mit Veto gegen Russlandsanktionen: Die EU-Kommission hat ein neues Sanktionspaket gegen Russland vorgeschlagen. Aber die Behörde muss mit Widerstand aus der Slowakei rechnen. Das Land ist stark abhängig von Moskaus Rohstofflieferungen.
Mehrere Tote nach schwerem Wintereinbruch in Südafrika: Schneemassen machen Fernstraßen unpassierbar, vor Erdrutschen wird gewarnt: In Südafrika sorgt Winterwetter für chaotische Verhältnisse. Starkregen schwemmte sogar einen Schulbus von der Fahrbahn.
Oberster Gerichtshof bestätigt Haftstrafe für Cristina Kirchner: Sie prägt Argentiniens Politik seit Jahrzehnten, zusammen mit ihrem Mann soll Cristina Fernández de Kirchner den Staat um einen Milliardenbetrag beraubt haben. Ins Gefängnis muss sie wohl dennoch nicht.
Heute bei SPIEGEL Extra: So viel Geld macht Sie wirklich glücklich

Money, Money, Money: Wenn Geld keine Rolle mehr spielt
Foto:Joe McBride / Getty Images
Armut ist eine Qual. Doch zu viel Wohlstand sorgt ebenfalls für Stress. Glauben Sie nicht? Doch, es gibt einen Garanten für Zufriedenheit: den magischen Euro-Wert der Mitte .
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihre Marina Kormbaki, stellvertretende Leiterin des SPIEGEL-Hauptstadtbüros