News des Tages: SPD, Olaf Scholz, Elon Musk, Angela Merkel, Konsum, Weihnachten

vor 2 Tage 1

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1. Werden die Ostdeutschen und die Älteren die Wahl entscheiden?

Die Aussicht darauf, dass die SPD die vorgezogene Bundestagswahl im Februar gewinnt, mutet derzeit in etwa so realistisch an wie die Aussicht darauf, dass der Papst katholischen Priestern die Heirat erlaubt. Laut Umfragen stehen die Sozialdemokraten schlecht da, die Beliebtheitswerte des Kanzlerkandidaten sind im Keller, die wirtschaftlichen Aussichten übel. Nahezu alle politischen Beobachterinnen und Beobachter sind sich einig: Die Wahl ist gelaufen. Und die Union verteilt bereits Ministerposten.

Allein: Die Lage der Sozialdemokraten war vor der Bundestagswahl exakt die gleiche. Die Partei dümpelte Wochen vor der Wahl ebenfalls bei rund 15 Prozent rum, alle hielten die Lage für die SPD aussichtslos, die Wahl für längst entschieden. Am Ende lagen alle Umfragen falsch, die Sozialdemokraten steigerten ihr Ergebnis im Vergleich zur Wahl davor um 5,2 Prozentpunkte bei den Zweitstimmen und erreichten mit 25,7 Prozent Platz eins. Die Union stürzte um 8,7 Prozentpunkte auf 24,1 Prozent ab, den schlechtesten Wert ihrer Geschichte. Nun hing das sicher auch mit deren Kanzlerkandidat Armin Laschet zusammen, der einmal an der falschen Stelle lachte und sich auch sonst nicht besonders trittsicher und selbstbewusst präsentierte.

Der aktuelle Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz, gibt sich aktuell souverän und staatsmännisch. Doch wer sein Temperament kennt, weiß, dass kapitale Fehler bis zur Wahl nicht ausgeschlossen sind. Und eins scheinen viele vergessen zu haben: In Ostdeutschland ist Merz nicht besonders beliebt.

Und Ostdeutschland bescherte der SPD vor drei Jahren den Wahlsieg. Die stärksten Zuwächse erzielte die Partei mit einem Plus von knapp zehn Prozentpunkten genau dort. Ebenso stark schnitt die SPD bei den Älteren ab. Bei den über Sechzigjährigen wählten 34 Prozent die Sozialdemokraten. Unter den Rentnern erhielt die Partei 35 Prozent.

Auf diese beiden Wählergruppen scheint sich die SPD auch diesmal zu fokussieren. Im Osten ist die Unterstützung für die Ukraine umstritten, und Scholz inszeniert sich nicht umsonst als »besonnener« Friedenskanzler, der davon spricht, eine »Eskalation« im Ukrainekrieg »verhindert« zu haben, und sich weigert, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Genauso, wie er – anders als Konkurrent Merz – den Älteren verspricht, das Renteneintrittsalter unangetastet zu lassen, ebenso die Renten selbst.

Das mag geopolitisch und ökonomisch alles fragwürdig sein. Wahltaktisch eher nicht. »Das sozialdemokratische Potenzial liegt bei fast 50 Prozent«, sagt der Politikwissenschaftler Frank Decker im SPIEGEL-Interview.

2. Musk trollt Merkel

Heute Abend stellt Angela Merkel offiziell ihre Memoiren im Deutschen Theater in Berlin vor. Den Auftritt moderiert die Journalistin Anne Will, in deren Talkshow die frühere Kanzlerin auch am liebsten ging, wenn sie sich erklären wollte. Das Liveevent ist Teil einer großen Werbetour, in der auch die Stand-up-Comedian Hazel Brugger ein ausführliches Videointerview (hier bei YouTube ) mit der Altbundeskanzlerin führte und die Schauspielerin Corinna Harfouch als Star präsentiert wird, die die Autobiografie eingelesen hat.

Die Vermarktungsmaschinerie läuft also auf Hochtouren – und dürfte für den englischsprachigen Raum nun noch von Elon Musk befeuert werden. Der Obertroll auf X reagierte auf Merkels Aussagen im SPIEGEL-Gespräch, in denen sie seine Doppelrolle als Unternehmer und politischer Akteur kritisierte. »Wenn ein Mensch wie er Eigentümer von 60 Prozent aller Satelliten ist, die im Weltraum kreisen, dann muss uns das zusätzlich zu den politischen Fragen enorm beschäftigen« (Das ganze Interview mit der früheren Kanzlerin lesen Sie hier .) Musk antwortete auf seiner Plattform X: »Wer ist diese Angela-Merkin-Person?« Der Tippfehler dürfte Absicht gewesen sein: Merkin ist das englische Wort für Schamhaarperücke (Hier mehr dazu). Auch wenn Musk das Gegenteil bewirken will: In der Aufmerksamkeitsökonomie kann er Merkel mit diesem geschmacklosen Post keinen größeren Gefallen tun. Ihr Buch wird auch auf Englisch übersetzt, sie selbst vermarktet es am 2. Dezember in Washington im Gespräch mit Barack Obama (ausverkauft).

Sollten Sie keine Karten für das Deutsche Theater mehr bekommen haben, nicht nach Washington fliegen können oder den 700-Seiten-dicken Wälzer nicht selbst lesen wollen, hat ein SPIEGEL-Team die wichtigsten Passagen für Sie analysiert. Die Kolleginnen und Kollegen besprechen in ihrer Rezension Merkels Aufstieg in der Union, ihre Rolle in der Eurokrise, der Flüchtlingskrise, der Coronapandemie und ihren Umgang mit Russland. »Heute als falsch Eingeschätztes werde ich benennen, für richtig Gehaltenes verteidigen«, kündigt die Altkanzlerin im Vorwort an. So viel kann man vorwegnehmen: Zum ersten Teil des Satzes lässt sich nicht viel finden, dafür umso mehr beim zweiten Teil ihres Versprechens.

3. Die Deutschen und der Sparhaushalt

Vor fünf Jahren veröffentlichte meine Kollegin Heike Kleen bei SPIEGEL.de einen Text, der bis heute Gültigkeit besitzt: In ihrer Wutrede »Advent, Advent, die Mutter rennt« beschrieb Heike die Vorweihnachtszeit als Vorhölle. »Frauen mittleren Alters drücken sich in Supermärkten vor der sogenannten Quengelware herum, verbringen ihre Mittagspause in Ein-Euro-Shops und tauschen im Fahrstuhl geheime Bezugsquellen für zuckerfreie Zungentattoos aus.« Der Adventskalender muss schließlich gefüllt, Geschenke gekauft, Deko drapiert werden. Warum machen das eigentlich nie die Väter?

Immerhin retten die Frauen damit die Wirtschaft. Während Deutschland gesamtwirtschaftlich das zweite Jahr in Folge eine Rezension verkraften muss, rechnet der Handelsverband Deutschland (HDE) für das gesamte Jahr 2024 in seinem Bereich mit einem nominalen Wachstum von 1,3 Prozent. Wenigstens das. Und das Weihnachtsgeschäft ist dafür besonders wichtig. Manche Einzelhändler machen 60 Prozent des Jahresumsatzes in den letzten acht Wochen. Mein Kollege Jan Lutz beschreibt in seinem Text, dass den Deutschen zwar Inflation, Krieg und Krisen zu schaffen machen und sie deshalb zuletzt auch beim Konsum zögerten. Gleichzeitig bereitet es vielen Deutschen offenbar keinen Schmerz, sich vor Weihnachten Dubai-Schokolade für 15,90 Euro pro 140 Gramm zu kaufen.

Laut GfK planen die Haushalte in Deutschland, 2024 im Schnitt 307 Euro für Weihnachtsgeschenke auszugeben und damit so viel wie im vergangenen Jahr. Unsere Kolumnistin Lena Wittneben, systemische Coachin, erklärt, wie man diesen Jahresendstress möglichst unfallfrei überstehen kann. Einer ihrer Ratschläge: Perfektion vermeiden. Ein zweiter: Netzwerke aktivieren. Sie meint zwar damit, private Probleme auch gern mal im Kollegenkreis zu thematisieren. Man kann das Netzwerk aber auch enger fassen: Mütter, schickt einfach mal die Väter los! Mich zum Beispiel aktivierte heute meine Frau, ich muss zur Schwiegermutter. Der Adventsstern muss aufgehängt werden.

Was heute sonst noch wichtig ist

  • Israel greift kurz vor möglicher Waffenruhe Ziele in Beirut an: Stimmt Israel heute einer Waffenruhe mit der Hisbollah zu? Während die Entscheidung aussteht, hat die Armee die libanesische Hauptstadt massiv attackiert. Das Militär spricht von einem Angriff auf 20 Ziele zugleich.

  • Christian Lindner erntet Spott für Aussage, er sei auf die Straße gesetzt worden: Auf Instagram gibt sich Ex-Finanzminister Lindner als integrer Kämpfer gegen Staatsverschuldung. Zahlreichen Nutzerinnen und Nutzern stößt sein Wording übel auf.

  • Black Boxes von abgestürztem Frachtflugzeug geborgen: Nach dem Absturz eines DHL-Flugzeugs nahe Vilnius haben die Behörden die Black Boxes der Maschine geborgen. Nach SPIEGEL-Informationen soll es an Bord nicht gebrannt haben.

  • Jan Furtok ist tot: Jan Furtok spielte für den Hamburger SV und Eintracht Frankfurt und erzielte in der Bundesliga 60 Tore. Nun ist der ehemalige polnische Stürmer im Alter von 62 Jahren gestorben.

Meine Lieblingsgeschichte heute:

 »Einer der Todfeinde der guten Umgangsform«

AirPods-Trägerin: »Einer der Todfeinde der guten Umgangsform«

Foto: yunava1 / iStockphoto / Getty Images

Erinnern Sie sich noch an die Zeiten, als man Apples weiße AirPods nicht für Kopfhörer hielt, sondern für Aufsätze von Elektrozahnbürsten? Das wird sich niemals durchsetzen, so das sichere Urteil derer, die ihre Leserbriefe noch auf der mechanischen Schreibmaschine schrieben. Inzwischen gehören die Teile zum Straßenbild, mitunter auch zur Kassenschlange. Mein Kollege Markus Böhm fragt: Ist das okay? Fühlen sich die Mitarbeitenden in den Supermärkten oder Klamottenläden nicht düpiert, wenn man ihnen mit Kopfhörern in den Ohren begegnet?

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Jung, erfolgreich – und von Abschiebung bedroht: Als Präsident will Donald Trump mit aller Härte gegen illegale Einwanderer vorgehen. Das könnte auch Menschen treffen, die vor langer Zeit mit ihren Eltern kamen, in Amerika aufwuchsen und keine andere Heimat kennen .

  • Einmal wie ein Weltmeister fühlen, das ist Ihre Chance! Faszination Schach-WM: Zwei Großmeister bekämpfen sich tagelang nur mit der Kraft ihrer Gedanken. Ob auch ein Weltmeister in Ihnen steckt? Mit diesen Schachrätseln finden Sie es heraus .

  • Was hinter den Vorwürfen gegen Indiens zweitreichsten Mann steckt: Er gehört zu Indiens Superreichen und ist ein Vertrauter von Premierminister Modi. Die US-Staatsanwaltschaft beschuldigt den Milliardär Adani der Korruption. Der Industrielle hofft jetzt womöglich auf Donald Trump .

Was heute weniger wichtig ist

Coverversion: Die Journalistin Aline Abboud, 36, wechselt das Medium. Statt im Fernsehen wird sie demnächst auf einem Buchcover zu sehen sein. Nach ihrer Babypause kehrt sie nicht zu den Tagesthemen zurück, wo sie zuletzt eine der Hauptmoderatorinnen war. Sie hat ihren Lebensmittelpunkt nach Berlin verlegt und will am 2. Januar ihr autobiografisches Buch »Barfuß in Tetas Garten. Berlin, mein Libanon und ich« vorstellen, das im Ullstein Verlag erscheint. Abboud resümiert: »Ich blicke auf spannende Jahre bei den Tagesthemen zurück mit vielen tollen Kolleginnen und Kollegen.«

Mini-Hohlspiegel

Von welt.de: »Merz hegt zudem offenbar Hoffnungen auf Schwarz-Geld: Sollte die FDP bei der anstehenden Wahl auf ›sechs oder sieben Prozent‹ kommen, sei gemeinsam mit CDU und CSU ›eine stabile Mehrheit in Reichweite‹.«

Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.

Cartoon des Tages

Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.

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Illustration: Thomas Plaßmann

Bei uns lebt die Ampel heute noch einmal auf. Im »Spitzengespräch« bei Markus Feldenkirchen sind Juso-Chef Philipp Türmer, die Bundessprecherin der Grünen Jugend Jette Nietzard und JuLi-Chefin Franziska Brandmann die Gäste. Sie sprechen unter anderem über die K-Frage der SPD, das Ampel-Aus, die richtige Kommunikation im Wahlkampf und Politik für junge Menschen.

Der Talk wird ab 20 Uhr bei SPIEGEL.de und auf YouTube  abrufbar sein.

Ich wünsche Ihnen einen stressfreien Abend. Herzlich

Ihr Janko Tietz, Ressortleiter Nachrichten

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